Berlin

Balagan in der Brauerei

Was kann einen Künstler dazu bringen, sein Atelier mit einem anderen Künstler zu tauschen und dort für drei Monate zu arbeiten?

Norbert Bisky, 1970 in Leipzig geboren und einer der wichtigsten zeitgenössischen Maler Deutschlands, hat das getan. Als er 2012 an einer Gruppenausstellung in Tel Aviv teilnahm, lernte er Friederike Schirr kennen, die die Schau betreute. Norbert Bisky dachte laut über einen längeren Arbeitsaufenthalt in Tel Aviv nach, Friederike Schirr setzte den Gedanken kurzerhand in einen Ateliertausch um. Anfang dieses Jahres war es so weit: Norbert Bisky bezog für drei Monate das Atelier des Künstlers Erez Israeli in Tel Aviv. Israeli lebte im Gegenzug drei Monate lang in Friedrichshain.

provokativ »Ich war schon oft in Tel Aviv«, sagt Bisky. »Dort hat man den Eindruck, dass die Menschen mindestens 20 Prozent lebendiger sind als anderswo. Aber ich wollte den touristischen Status mal verlassen, um mir mein eigenes Bild vom Alltag dort machen zu können.« Für Erez Israeli, der als einer der innovativsten und sicherlich provokativsten Künstler Israels gilt, war Berlin sowieso ein Wunschort: Ihn als passionierten Berghain-Clubgänger musste man nicht zu dem Tausch überreden.

Nach diesen drei Monaten belegen nun zwei bemerkenswerte Ausstellungen in Berlin die Ergebnisse dieses Ateliertausches: Unter dem Titel »Balagan« sind in der früheren Bötzow-Brauerei in Prenzlauer Berg noch bis zum 30. August die Arbeiten Biskys zu sehen. Wer die Bilder Erez Israelis besichtigen will, muss sich hingegen beeilen: Bis zum 25. April stellt die Galerie Crone in Kreuzberg unter dem Titel »The Difference between OOOOH and AAAAH« dessen Werke aus.

Die Besuche an beiden Ausstellungsorten lohnen sich. Auf seltsame Art und Weise berühren sich die Arbeiten der zwei Künstler immer wieder: Während Bisky vor allem mit großformatigen Bildern den Betrachter bannt, lässt Israeli die Galeriebesucher mit schwarzem Humor, Wortwitz, brennenden Schtetl-Bildern, Skulpturen und einem Video nachdenklich zurück.

Spaziergänge »Ich lief jeden Morgen drei Kilometer durch Tel Aviv vom Apartment zum Studio«, sagt Bisky, »und abends wieder zurück«. Dazwischen habe er immer wieder fotografiert. Über 3000 Fotos sind auf diesen Spaziergängen entstanden – Grundlagen für weitere Werke, die noch in Arbeit sind. Im Moment ist er damit beschäftigt, das zu sichten, was er noch nicht umgesetzt hat.

Bereits jetzt ist aber schon zu sehen, dass das Licht in Tel Aviv ein zentrales Motiv von Bisky ist – ganz gleich, ob es trauernde israelische Soldaten sind oder graublaue Wolkenkratzer, die unweit des Strandes in Tel Aviv dicht beieinander stehen. Und immer fliegen Fledermäuse direkt auf den Betrachter zu. Tel Aviv, das ist auch die Stadt der Fledermäuse.

»Die Ausstellung ist sehr gut besucht«, sagt eine Galerie-Mitarbeiterin. »Die Besucher stehen lange vor den Bildern, fragen oft, viele diskutieren miteinander oder mit uns.« Auch der Ort, an dem die Werke hängen, ist klug gewählt: Die alten Räume mit den Rohren, Ventilen und Leitungen der ehemaligen Bötzow-Brauerei verstärken die ohnehin schon leuchtenden Bilder.

Erstaunen »Ooooh und Aaaah«, sagt Erez Israeli, »bezeichnet den Moment irgendwo zwischen Erstaunen und Verwunderung, womöglich sogar Schmerz. Das zieht sich generell durch meine Arbeiten. Das ist vielleicht der Augenblick, an dem das Erlebte zurück zum Betrachter kommt.«

»Das ist wohl eher eine literarische Kunst«, lautet der Tenor von drei Männern, die vor Israelis Zeichnungen in der Galerie Crone stehen. Die Serie »Jokes« provoziert mit illustrierten Juden- und Deutschen-Witzen. So beschäftigt sich Israeli denn auch mit seinen Skulpturen, Installationen und Bildern immer wieder mit den Themen Provokation, Schoa und dem deutsch-israelischen Verhältnis. »Für viele ist all das Vergangenheit«, sagt er. »Doch für mich ist es aktuell wie eh und je.«

Wie konkret Israeli das meint, ist in der ausgestellten Videoarbeit »Jewish Lesson« zu sehen. Mit Nadel und Faden nähte sich der Künstler vor der Kamera einen Davidstern in die Brust. Schmerzhafter lässt sich der Magen David kaum darstellen. Den Einlassstempel des Techno-Clubs Berghain ließ er sich in die Haut tätowieren – auch das eine konnotative Verbindung zu den KZ-Tätowierungen.

schock Alexander Hartwig, Direktor der Galerie Crone, berichtet, dass die Leute lange vor den Arbeiten stehen bleiben. »Besonders uns Deutsche treffen manche Arbeiten sehr hart.« Dazu zählt auch das ausgestellte »Narrenschiff«, das aus einem Holzboot besteht, in dem Männer stehen, Narrenkappen auf dem Kopf, die Glieder durch Hampelmann-Stricke beweglich. Ablehnung und Vernichtung sind die thematischen Hintergründe für diese Arbeit.

Vielleicht sollte dieser Ateliertausch Schule machen, bei solchen Ergebnissen. Denn wann immer man vor den Arbeiten beider Künstler steht: Geschichte, Gegenwart, Lebensfreude und Trauer – was sich immer wieder neu, stets kraftvoll, in den Werken formuliert, beeindruckt tief.

www.boetzowberlin.de
www.cronegalerie.com

Berlinale

Voneinander getrennt

Die Doku »A Letter to David« erzählt von David Cunio, der seit dem 7. Oktober Geisel der Hamas ist – und von dessen Bruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Katrin Richter  14.02.2025

Meinung

Kann die Berlinale diesmal Israel-Bashing verhindern?

Das Film-Festival hat eigens FAQ zum Nahostkonflikt veröffentlicht und distanziert sich darin gleich von der Antisemitismus-Resolution des Bundestages

von Maria Ossowski  14.02.2025

Berlinale

Warten auf die Entschuldigung

Die 75. Berlinale sollte besser werden. Doch Ehrenbär-Gewinnerin Tilda Swinton und das Gala-Publikum haben da weitergemacht, wo das Filmfestival im vergangenen Jahr aufgehört hat

von Sophie Albers Ben Chamo  14.02.2025

Potsdam

Filmmuseum Potsdam zeigt Ausstellung über NS-Verbrecher Eichmann

Gezeigt werden Kurzfilme, 70 Fotografien und 60 Exponate

 13.02.2025

Berlinale

Solidarität mit David Cunio

Promis und Demonstranten erinnern an den israelischen Schauspieler, der seit dem 7. Oktober Geisel der Hamas in Gaza ist

von Ayala Goldmann  14.02.2025 Aktualisiert

Potsdam

Rausch der Formen und Farben - Barberini zeigt Ausstellung »Kosmos Kandinsky«

Das Potsdamer Barberini-Museum zeigt ab Freitag eine neue Ausstellung zu abstrakter Kunst. Unter dem Titel »Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert« werden 125 Werke gezeigt

von Sigrid Hoff  13.02.2025

TV-Tipp

Sky zeigt Doku über die Familie von Auschwitz-Kommandant Höß

Die Dokumentation »Der Schatten des Kommandanten« porträtiert Hans-Jürgen Höss. Er ist der Sohn jenes Mannes, der in Auschwitz die Tötungsmaschinerie am Laufen hielt

von Manfred Riepe  13.02.2025

Film

Das Erbe des Rudolf Höß

Die Doku »Der Schatten des Kommandanten« ist eine wichtige Ergänzung zu Jonathan Glazers Spielfilm »The Zone Of Interest«

von Ayala Goldmann  13.02.2025 Aktualisiert

Markus Lanz

»Sonst ist nie wieder nie wieder«

Die Holocaust-Überlebende Éva Szepesi und der TV-Journalist Marcel Reif sprachen über die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  13.02.2025