Musiktheater

Ausgrabung eines rätselhaften Werks

Szene aus »Der Schatzgräber« in Berlin Foto: MONIKA RITTERSHAUS

Wirklich Fahrt aufgenommen hat die Franz-Schreker-Renaissance nicht. Wenn überhaupt, dann gibt es mal seine Gezeichneten oder den Schmied von Gent. Für den Schatzgräber von 1920 müssen schon ambitionierte Ausgräber am Werke sein. An der Deutschen Oper haben sich Marc Albrecht und Christof Loy dieses seltsame Stück vorgenommen. Der Regisseur setzt damit nach Korngolds monumentaler Oper Das Wunder der Heliane und Riccardo Zandonais Francesca da Rimini eine kleine Ausgrabungsserie an der Bismarckstraße fort.

Der 1878 geborene Franz Schreker gehörte in die Phalanx der Komponisten, die die Oper am Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Dominanz des Wagnerschen Musikdramas in die Moderne zu führen versuchten. Er starb 1934 nach der Vertreibung aus seinen Ämtern und von den Spielplänen, noch bevor er, wie viele seiner Kollegen, vor den Nazis hätte fliehen müssen.

Diese brutal abgebrochene Entwicklungslinie in der Oper gehört zu den Langzeitschäden der Nazi-Herrschaft. Wenn heute die Handlung des selbst gemachten Librettos mindestens skurril anmutet, liegt das auch daran, dass uns Schrekers Helden eben nicht so vertraut sind wie die seines übermächtigen Zeitgenossen Richard Strauss.

MÄRCHEN Den hochoffiziellen Rahmen des doppelbödig aufgeladenen Märchens vom Schatzgräber bildet eine Staatskrise. Der Königin sind ihre Juwelen, eigentlich aber ihre Jugend und Schönheit, und wohl auch dem Staatswesen seine Vitalität abhandengekommen. Ausgerechnet der Narr (Michael Laurenz) kennt jenen singenden Schatzgräber, der hier Abhilfe schaffen kann. Elis (Daniel Johansson) ist der naive Künstler-Gutmensch, der mit seiner Laute Schätze finden kann.

»Seine« Els (Elisabet Strid) ist eine Frau, die (bei Loy einfach aus sich heraus wie eine Kreuzung aus Salome und Lulu) keine Skrupel hat, ungeliebte Bewerber aus dem Weg zu räumen und Elis sein Wunderinstrument und den Schatz abzujagen. Um ihm die Schmuckstücke dann gegen ein »Nie sollst du mich befragen« als Liebesgabe zu offerieren.

Für dieses zentrale Paar der Oper hat Schreker eine Liebesszene im Tristan-Format vorgesehen. Dabei balancieren beide immer auf einem Grat, der ihn unschuldig unter den Galgen und sie (nicht ganz so unschuldig) in die Nähe des Scheiterhaufens führt. Wovor sie einzig der Narr bewahrt, weil er sie vom König als die versprochene Frau einfordert. Lange überlebt sie dieses »falsche« Leben an der Seite des Ungeliebten nicht.

In dem imperial dunkel marmorierten Saal, mit dem Johannes Leiacker die Bühne füllt und in den auf die Herrschenden von heute verweisenden Kostümen von Barbara Drosihn unterläuft Loy die emotionale Dauererregung der Musik nicht, sondern verstärkt sie eher. Etwa, wenn die behauptete magische Wirkung von Elis’ Gesang nach seinem großen Liebesduett mit Els in eine effektvoll ins Bild gesetzte Orgie des unbewusst ausbrechenden »Jeder mit jedem« mündet.

PERSONENREGIE Die Personenregie von Loy ist wie immer detailgenau und erlaubt allen Interpreten, ihre Figuren ins rechte Licht zu setzen. Zu einer über die Nacherzählung wirklich hinausgehenden Position zur Geschichte hat er sich aber nicht entschlossen. Wie schon bei der Aufführung 2006 in Amsterdam, gelingt Marc Albrecht auch jetzt, mit dem Orchester der Deutschen Oper eine faszinierend pulsierende Fin de Siècle-parfümierte Orchester-Klangpracht in den Saal fluten zu lassen.

Dabei gelingt es auch, die Stimmen in dieses Klangfeuerwerk einzubetten, wobei der hohe pathetische Ton dominiert. In Berlin bekommt man vor allem beim Hören eine Ahnung, warum diese heute rätselhaft bleibende Oper vor 100 Jahren so überaus erfolgreich war.

Nächste Vorstellungen: 14. Mai sowie 4. und 11. Juni

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