Essay

Auf dem Scheiterhaufen

Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin: Im Rahmen der Aktion »Wider den undeutschen Geist« spricht Propagandaminister Joseph Goebbels zu Mitgliedern der »Deutschen Studentenschaft«. Foto: picture-alliance / brandstaetter images/Schostal Archiv

»Dichter und Denker / holt in Deutschland der Henker«, reimte der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann einmal und setzte mit diesem Vers den Kontrapunkt zu den romantischen Vorstellungen von den Deutschen als Volk der Dichter und Denker. Vor nunmehr 90 Jahren, am 10. Mai 1933, waren es nicht Henker, sondern Scheiterhaufen, aufgeschichtet in zahlreichen deutschen Universitätsstädten, zu denen als Richtstätte Hunderte von Werken deutscher, aber auch ausländischer Autoren gebracht wurden.

Das Feuer sollte das Volk von »undeutschem Geist« reinigen. Einige wenige Autoren waren Zeugen dieser Hinrichtungen, zum Beispiel Erich Kästner und Arnold Zweig. Der Görlitzer Jurist Paul Mühsam, ein Cousin von Erich Mühsam, hat in seinen Lebenserinnerungen Ich bin ein Mensch gewesen geschrieben, dass er als Vorsichtsmaßnahme, sollte »eine fanatisierte Horde (…) auf den Einfall kommen (…), dem erreichbaren Autor das gleiche Schicksal zu bereiten wie seinen Werken«, für kurze Zeit nach Dresden ausgewichen sei.

auswanderung Zu der vor und unmittelbar nach der Bücherverbrennung erfolgten Auswanderung zahlreicher deutscher Autoren, ob jüdisch oder nichtjüdisch, hat Bertolt Brecht, dessen Werke ebenfalls verbrannt wurden, mit der Bemerkung, dem deutschen Volk sei die Literatur »ausgetrieben« worden, auch die Kehrseite der nationalsozialistischen Aggression aufgewiesen.

Zu der Literatur, die nach diesem Autodafé übrig geblieben war, wollte der Schriftsteller Oskar Maria Graf nicht gehören. In seinem am 12. Mai 1933 in der Wiener »Arbeiter-Zeitung« veröffentlich­ten Aufruf »Verbrennt mich« hat er für seine Bücher »die reine Flamme des Scheiterhaufens« gefordert, die sie vor den »blutigen Händen« der Nationalsozialisten bewahrt.

Deren Aktion war jedoch, obwohl durch Listen zu verbrennender Bücher gründlich vorbereitet, letztlich auch dilettantisch, von jugendlichem Übermut geprägt. Will Vesper, Herausgeber der nationalsozialistischen »Neuen Literatur«, schreibt in seiner Zeitschrift: »Man regt sich jetzt mancherorts darüber auf, daß die Studenten bei ihren Verbrennungen der Schundliteratur nicht immer die Richtigen ins Feuer geworfen hätten. Das mag sein. Die Absicht der Studenten aber war gut und richtig.« Diese Sätze geben der Aktion, die nicht nur außerhalb Deutschlands für Empörung gesorgt hat, eine etwas lächerliche Note, die sie beileibe nicht gehabt hat.

pranger Denn zahlreiche Autoren wurden durch sie wiederholt in der Presse und der Öffentlichkeit hervorgehoben und dadurch an den Pranger gestellt. Unter ihnen sind zum Beispiel Max Brod, Sigmund Freud, Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Franz Werfel und Arnold Zweig.

Oskar Maria Graf forderte am 12. Mai in einem Aufruf: »Verbrennt mich!«

Das Autodafé von 1933 hat nicht nur Bücher verbrannt, es hat auch das geistige Fassungsvermögen und die Urteilsfähigkeit der Deutschen so weit ausgeglüht, dass die Revision dieses Ereignisses Jahrzehnte in Anspruch genommen hat.

1957 hat Arno Schmidt in seiner Rezension von Alfred Anderschs Sansibar oder der letzte Grund geschrieben: »Auch bei uns geht allenthalben wieder ›Uniformiertes Fleisch‹ um. Auch ›uns‹ gilt – seien wir ehrlich – Barlach oder Expressionismus längst wieder als ›entartete Kunst‹!« 1983 klassifizierte in Hildesheim ein deutscher Richter Heinrich Heine, Heinrich Mann und Alfred Döblin als Terroristenliteratur.

Autoren wie Döblin und Arnold Zweig, aber auch Lion Feuchtwanger, sind erst Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg zu klassischen Autoren der Moderne in Deutschland geworden. Ihr Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit entspricht zum Glück inzwischen schon längere Zeit ihrem Rang als Literaten.

WIEDERENTDECKUNG Sie bilden jedoch nur die herausgehobenen Autoren aus einer Vielzahl verfemter Literaten und ihrer Bücher. Um deren Wiederentdeckung und Wiederveröffentlichung haben sich verschiedene Verlage und Initiativen in den vergangenen Jahrzehnten verdient gemacht.

Aus der Menge der verbrannten Bücher sei hier exemplarisch nur auf ein Werk hingewiesen, auf Arnold Zweigs 1931 veröffentlichten Roman Junge Frau von 1914. Er wurde zwar 1949 sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik erneut veröffentlicht, jedoch dauerte es weitere 14 Jahre, bis 1963 ein großer westdeutscher Verlag den Roman wieder verlegte. Inzwischen war das Buch in der DDR bereits bei der 12. Auflage angelangt. Junge Frau von 1914 ist weniger brisant als Zweigs große Antikriegsromane Erziehung vor Verdun, zu dem es die Vorgeschichte bildet, oder Der Streit um den Sergeanten Grischa. Es enthält jedoch im sechsten Buch das Kapitel, das den Titel »Verstand ist die beste Vaterlandsliebe« trägt.

Bei der Lektüre dieses Kapitels hält man den Atem an. Ein Sohn erzählt seinem Vater von einem Gespräch zwischen deutschen Militärs im besetzten Polen, im Gebiet zwischen Windau und Białystok, dessen Bevölkerung die deutsche Verwaltung aus völkerrechtlichen Gründen zu ernähren hat.

schicksal Ein junger, schneidiger Hauptmann habe die damit verbundenen Schwierigkeiten referiert und zu ihrer Lösung vorgeschlagen, die jüdische Bevölkerung des Gebietes einfach auf Schiffe zu deportieren und sie weitgehend ihrem Schicksal in der minenverseuchten Ostsee zu überlassen.

»Durfte man Herr sein ohne ausreichendes Gewissen«, fragt sich der Vater daraufhin. »Militarismus (ist) kein gutes Prinzip«, resümiert der Sohn seine eigenen Überlegungen zu diesem unerhörten, grausamen Vorschlag des Hauptmanns. Solche Sätze haben jedoch deutsche Leser erst wieder lesen können, als es nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust bereits zu spät war.

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