Lesen!

»Antiquities«

Grande Dame der amerikanisch-jüdischen Literatur: Cynthia Ozick (93) Foto: picture alliance / Effigie/Leemage

Lesen!

»Antiquities«

Der vielschichtige Roman von Cynthia Ozick ist brillant erzählt

von Sophie Albers Ben Chamo  07.02.2022 08:23 Uhr

Was bleibt von einem gelebten Leben? Und ist das, was wir uns wünschen, dass es bliebe, am Ende nicht nur ein weiteres Götzenbild, das niemandem weiterhilft, am wenigsten uns selbst? Cynthia Ozick hat wieder zugeschlagen. Mit einem erstaunlich leichten Hammer diesmal, 192 Seiten lang, erledigt sie das, was Menschen für ihre Wahrheit halten.

Ozick, geboren 1928 in New York als Tochter russisch-jüdischer Einwanderer, schreibt seit mehr als 70 Jahren Götzenbilder in tausend Stücke. In mehr als 20 Romanen, Novellen und Kurzgeschichtensammlungen über Menschen, die mal mehr, mal weniger verzweifelt ihr Leben zu rechtfertigen suchen und daran meist scheitern.

GRANDE DAME Mittlerweile ist die Grande Dame der amerikanisch-jüdischen Literatur 93 Jahre alt, und ihr bisher leider nur auf Englisch erschienener Roman Antiqui­ties hat so viele Schichten und Ebenen, dass man sich darin wunderbar verlieren kann. Angefangen mit dem elitär-antisemitischen Lloyd Wilkinson Petrie, einem alten weißen, protestantischen früheren Anwalt, der 1949 in einem alten Internat lebt und seine Memoiren zu Ehren der Bildungseinrichtung schreibt.

Dabei mäandert er immer wieder in die eigene Familiengeschichte, die geprägt ist von der »verrückten« Episode seines Vaters, der eines Tages ausriss, um in Ägypten Archäologe zu spielen. Nach Wiederaufnahme des normalen Lebens zeugten allein ein paar Artefakte von dem, was möglich gewesen wäre. Als der Vater stirbt, erbt sie der Sohn, der darin sein ganz eigenes, spezielles Geheimnis sieht, das er meint, niemandem zumuten zu können.

Bis eines Tages, in den 1890ern, in der Schule ein Junge namens Ben-Zion Elefantin auftaucht, in dem der kleine Lloyd einen Freund vermutet, obwohl dieser jüdisch und rothaarig ist.

ELEFANTINE Elefantin wiederum bringt eine ganz unglaubliche Geschichte der Herkunft mit: die der jüdischen Gemeinschaft von der Nil-Insel Elefantine in Ägypten, die, so der Junge, aus Juden bestanden habe, die sich weigerten, um das Goldene Kalb zu tanzen, als Moses am Sinai auf Gottes Wort wartete – und an den Nil zurückkehrten.

Brillant erzählt, in seiner menschlichen Verfahrenheit geradezu zärtlich, stellt Ozick am Ende der archäologischen Reise fest, dass Geschichten niemals Gefäße hervorbringen können, aber dass Gefäße immer Geschichten erzählen. Wir sollten niemals vergessen, dass es Menschen sind, die diese Gefäße füllen.

Cynthia Ozick: »Antiquities«. Knopf, New York 2021, 192 S., 21 $

ANU-Museum Tel Aviv

Jüdische Kultobjekte unterm Hammer

Stan Lees Autogramm, Herzls Foto, das Programm von Bernsteins erstem Israel-Konzert und viele andere Originale werden in diesen Tagen versteigert

von Sabine Brandes  25.12.2025

Menschenrechte

Die andere Geschichte Russlands

»Wir möchten, dass Menschen Zugang zu unseren Dokumenten bekommen«, sagt Irina Scherbakowa über das Archiv der von Moskau verbotenen Organisation Memorial

 25.12.2025

Rezension

Großer Stilist und streitbarer Linker

Hermann L. Gremliza gehört zu den Publizisten, die Irrtümer einräumen konnten. Seine gesammelten Schriften sind höchst lesenswert

von Martin Krauß  25.12.2025

Glastonbury-Skandal

Keine Anklage gegen Bob-Vylan-Musiker

Es lägen »unzureichende« Beweise für eine »realistische Aussicht auf eine Verurteilung« vor, so die Polizei

 24.12.2025

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025