Kino

Als Juden plötzlich Feinde sein sollten

Foto: Framefilm

Kino

Als Juden plötzlich Feinde sein sollten

Nachbarn»: ein betörend schöner und bedrückend grausamer Film des kurdischen Regisseur Mano Khalil

von Britta Schmeis  13.10.2022 15:54 Uhr

Symbolhaft steht sie da, die Palme, vor dem Schulgebäude in dem kargen Landstrich Syriens an der Grenze zur Türkei. Gepflanzt hat sie der neue Dorflehrer (Jalal Altawil). »Auf kurdischem Boden wachsen keine Palmen«, prognostiziert ihm ein Einheimischer und meint damit nicht nur die klimatischen Bedingungen.

Er wird recht behalten. Denn ebenso wie der Lehrer das Symbol der arabischen Welt in die Gemeinschaft tragen will, versucht er, nationalistisches Gedankengut und Judenhass in die Kinder einzupflanzen. Und ebenso wie die Palme zunächst gedeiht, gelingt es ihm auch, Misstrauen zu schüren – selbst bei dem sechsjährigen Sero (Serhed Kahlil), der mit seiner Familie schon sein ganzes Leben, freundschaftlich mit den jüdischen Nachbarn verbunden ist.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Am Schabbat zündet er ihnen seit jeher die Kerzen an. Seinen von ihm verehrten Onkel Aram (Ismail Zagros) verbindet eine zarte Liebe mit Hannah (Derya Uygurlar), der Tochter der jüdischen Nachbarn. Doch mehr und mehr werden die Menschen in dem kleinen Dorf von der nationalistischen Willkür und Gewalt erdrückt.

In Anlehnung an die eigenen Kindheitserinnerungen erzählt der 1964 in Kurdistan geborene und seit vielen Jahren in der Schweiz lebende Filmemacher Mano Khalil die Geschichte des kleinen Sero. Liebevoll umsorgt von Eltern und Großeltern, wächst er unweit der streng bewachten Grenze auf. Sein einziger Wunsch ist ein Fernseher, um endlich Cartoons schauen zu können, wie die Stadtkinder.

Doch Anfang der 80er Jahre gibt es in dem Dorf keinen Strom. Außer­dem, so sagt ihm seine Mutter, solle er erst mal Arabisch lernen, bei jenem neuen ­Lehrer, der Sero nicht nur wegen der fremden Sprache ein Mysterium bleibt. Dessen Geschichten sind schaurig, seine Methoden brutal.

Khalil findet für seine Geschichte ebenso eindringliche wie poetische Bilder, die sein feines Gespür für skurrile Momente offenbaren, ohne jemals die Tragik zu verleugnen. Mit seinem Onkel lässt Sero gelbe, rote und grüne Ballons in die Luft steigen, die Farben der Kurden, »um die Grenzsoldaten zu ärgern«, wie Aram ihm sagt.

Mit Langmut und Gelassenheit beobachten alte Männer Sonnenblumenkerne knabbernd, rauchend und Gebetsketten massierend das Treiben des Dorflehrers, der sich mit seinem Fanatismus in dem abgelegenen Dorf der Lächerlichkeit preisgibt und zugleich mit seiner Macht die Dorfgemeinschaft bedroht. 

Khalil gelingt die Balance zwischen erlösender Heiterkeit und bedrückendem Grauen. Auch Sero bekommt die Willkür der Mächtigen nicht nur in Form von Stockschlägen des Lehrers zu spüren. Der Regisseur blickt mit Versöhnlichkeit auf seine Figuren und lässt eine vage Hoffnung mitschwingen in einem Konflikt, der bis heute andauert.

»Nachbarn« ist ein berührendes Plädoyer für die Menschlichkeit, das lange nachhallt. Das liegt auch an dem beeindruckenden Spiel von Serhed Kahlil, der in seinem kindlichen Gesicht alle Gefühlslagen, seien sie rein kindlicher Natur oder politischen Repressionen geschuldet, so herzzerreißend wie herzerfrischend darstellt.

Ab heute im Kino.

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025

Fernsehen

Zieht Gil Ofarim ins Dschungelcamp? 

RTL kommentiert noch keine Namen - doch die Kandidaten-Gerüchte um Gil Ofarim und Simone Ballack sorgen schon jetzt für reichlich Gesprächsstoff

von Jonas-Erik Schmidt  27.11.2025

Rezension

Ein Feel-Good-Film voller kleiner Wunder

Ein Junge, der nicht laufen kann, Ärzte, die aufgeben, eine Mutter, die unbeirrt kämpft. »Mit Liebe und Chansons« erzählt mit Herz und Humor, wie Liebe jede Prognose überwindet

 27.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  27.11.2025

Kino

Echte Zumutung

Ronan Day-Lewis drehte mit seinem Vater Daniel als Hauptfigur. Ein bemühtes Regiedebüt über Gewalt und Missbrauch

von Maria Ossowski  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Ausmalen gegen die Realität

Kinderbücher sollten nicht dazu instrumentalisiert werden, Kinder niederschwellig zu prägen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025

Hommage

Pionier des Erinnerns

Der Filmemacher und Journalist Claude Lanzmann wäre diese Woche 100 Jahre alt geworden. Unser Autor ist ihm mehrmals persönlich begegnet

von Vincent von Wroblewsky  26.11.2025