Schriftrolle

4Q41 – das Original

Ausschnitt der Schriftrolle, die 1952 in Qumran entdeckt wurde Foto: Flash 90

Sie misst gerade einmal 46 mal acht Zentimeter, ist rund 2000 Jahre alt und befindet sich normalerweise im völligen Dunkel eines klimatisierten Hochsicherheitstraktes, verborgen irgendwo in den Archiven des Israel-Museums in Jerusalem. Auch wurde sie bis dato nur ein einziges Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und zwar in den Vereinigten Staaten. Die Rede ist von der ältesten erhaltenen Fassung der Zehn Gebote, die derzeit im Rahmen der Ausstellung »Eine kurze Geschichte der Menschheit« erstmals überhaupt in Israel zu sehen ist.

»Im Original aber nur für wenige Wochen«, betont Kuratorin Tania Coen-Uzzielli. »Dann erfolgt der Austausch durch eine Kopie.« Schließlich ist die unter der Bezeichnung 4Q41 bekannte Schriftrolle, die zusammen mit Tausenden anderen Textfragmenten zwischen 1947 und 1952 in den Höhlen von Qumran nahe dem Toten Meer gefunden wurde, hochempfindlich. Sie verträgt überhaupt kein Licht und mag nur ein Minimum an Luftfeuchtigkeit.

Harmonisierung »In dem Fundus der damals entdeckten Schriftstücke befanden sich zwar zahlreiche Schriftrollen, auf denen Teile der Zehn Gebote niedergeschrieben waren«, weiß Shani Tzoref vom Institut für Jüdische Theologie an der Universität Potsdam, eine ausgewiesene Qumran-Rollen-Expertin, zu berichten. »Aber nur diese eine blieb so wunderbar erhalten.«

Zudem ist 4Q41 von ganz besonderer Bedeutung. »Eines ihrer interessantesten Merkmale ist die ›Harmonisierung‹ des Textes mit den Gesetzen zum Schabbat«, erklärt Tzoref. »Sie kombiniert gleich zwei verschiedene Versionen, die man im Buch Exodus sowie im Deuteronomium, dem 5. Buch Mose, finden kann. Zudem scheint die Schriftrolle mit den Zehn Geboten vor allem für den liturgischen Gebrauch geschrieben worden zu sein.« Wer der Verfasser dieser einzigartigen Entdeckung war, die nicht nur die archäologische oder theologische Fachwelt in hellen Aufruhr versetzte, ist leider nicht bekannt.

Artefakte Die Zehn Gebote gehören zu den 14 historischen Artefakten, die Teil einer ambitionierten Ausstellung sind, mit der das Israel-Museum sein 50-jähriges Jubiläum feiern will.

Vom Titel und Konzept her orientieren sich ihre Macher an dem gleichnamigen Bestseller des israelischen Geschichtswissenschaftlers Yuval Harari, zu sehen ist das Ganze bis Anfang Januar 2016. Gezeigt werden unter anderem 1,5 Millionen Jahre alte Werkzeuge zur Mammutjagd, Reste einer Feuerstelle von vor 800.000 Jahren sowie eine Sichel aus der Steinzeit.

»Nach gerade einmal einem halben Jahrhundert seit seiner Gründung dürfte es weltweit wohl nur wenige Institutionen geben, die in der Lage wären, aus ihrem Bestand Objekte zu präsentieren, die einen derart langen Zeitraum der menschlichen Entwicklung widerspiegeln«, sagt Museumsdirektor James Snyder nicht ohne Stolz. »Und die meisten stammen aus der Region hier.« Wie auch die Schriftrolle mit den Zehn Geboten.

Die Ausstellung selbst basiert auf einem Narrativ, das die Geschichte der Menschheit in jeweils drei wesentliche Abschnitte gliedert: die kognitive Revolution, in der die Fähigkeiten zur Kommunikation erworben wurden, sowie die landwirtschaftliche und die industrielle. Dabei werden existenzielle Fragen angesprochen, zum Beispiel, wieso die Menschheit im Rahmen der Evolutionsgeschichte überhaupt bestehen konnte und warum sie letztendlich die Welt beherrschen sollte.

Manuskript In diesem Kontext werden gleichfalls Schriftstücke im Original ausgestellt, die das Denken der Menschheit maßgeblich beeinflusst haben, wie etwa ein handschriftliches Manuskript von Albert Einstein, in dem er die Relativitätstheorie erläutert, oder die 4000 Jahre alte Tontafel aus Babylonien, auf der der berühmte Hammurabi-Kodex zu lesen ist, der wichtige frühzeitliche Gesetze beinhaltet. »Wenn man aber an den mit Abstand bedeutendsten Textkorpus denkt, der die universellen ethischen Prinzipien verkörpert, dann fallen einem natürlich als Erstes die Zehn Gebote ein«, meint Coen-Uzzielli. »Sie regeln nicht nur die Verhältnisse der Menschen untereinander, sondern auch zu Gott selbst.«

Für alle, die an Geschichte oder Religion interessiert sind, ist die Ausstellung natürlich ein Muss. Doch nicht jeder hat die Möglichkeit, in diesen Tagen oder naher Zukunft nach Jerusalem zu fahren und sich die Zehn Gebote im Original anzuschauen. Aber auch ihnen kann geholfen werden. Gemeinsam mit Google hat Israels Altertumsbehörde nach Jahren detaillierter Arbeit das Projekt Digitale Schriftrollen durch mit Nasa-Technik bestückte Spezialkameras verwirklicht, sodass man von zu Hause aus in der Leon Levy Dead Sea Scrolls Digital Library (www.deadseascrolls.org.il/about-the-project/the-digital-library) einen Blick auf die Textfragmente werfen kann.

Die Ausstellung »A Brief History of Humankind« ist noch bis zum 2. Januar 2016 im Israel-Museum, Jerusalem, zu sehen.

www.imj.org.il

Musik

Yuval Weinberg wird Chefdirigent des Rundfunkchors Berlin

Ab der Spielzeit 2028/29 übernimmt der Israeli auch die Position des Künstlerischen Leiters

 31.10.2025

Bochum

Peter-Weiss-Preis geht an Regisseurin Yael Ronen

Die Preisträgerin nutze Kunst als Instrument gesellschaftlicher Aufklärung, erklärte die Jury

 30.10.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  30.10.2025

Hollywood

Gegenwind für Boykotteure

Wie anti-israelische Kampagnen die Filmindustrie in den USA spalten

von Jana Talke  30.10.2025

Kulturkolumne

Motty Goldman sei Dank!

Meine Mutter ist mir nicht mehr peinlich

von Maria Ossowski  30.10.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 30. Oktober bis zum 6. November

 30.10.2025

Ehrung

Demokratiepreis für Graphic Novel über Schoa-Überlebende

Die Schoa-Überlebenden Emmie Arbel gewährte Zeichnerin Barbara Yelin vier Jahre lang Einblicke in ihr Leben

 30.10.2025

Analyse

Psychiater Otto Kernberg: Dieses Symptom verbindet Trump und Putin

von Anita Hirschbeck  29.10.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 29.10.2025