Tschechien

Zwischen Sorge und Hoffnung

Für Besucher geschlossen: die Maisel-Synagoge in Prag Foto: imago images/Volker Preußer

Tschechien

Zwischen Sorge und Hoffnung

Die jüdischen Gemeinden im Land leiden finanziell unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie

von Michael Heitmann  21.10.2020 16:26 Uhr Aktualisiert

Tschechien war glimpflich durch die erste Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr gekommen. Doch seit Wochen vergeht kaum ein Tag, ohne dass bei den Infektionszahlen neue Höchststände vermeldet werden. Die Regierung hat den Notstand verhängt. Es gibt immer mehr Einschränkungen im Alltag. Auch an den zehn jüdischen Gemeinden mit rund 3000 Mitgliedern geht die Krise nicht spurlos vorbei.

MINJAN Am Mittwochnachmittag beschloss die Regierung weitere und sehr drastische Einschränkungen: Vom 22. Oktober an werden die meisten Geschäfte mit Ausnahme von Supermärkten, Apotheken und Drogerien geschlossen. Die Menschen wurden aufgefordert, zu Hause zu bleiben und ihre Kontakte zu anderen Leuten auf die »absolut notwendige Zeit« zu begrenzen. Ausnahmen gelten unter anderem für den Weg zur Arbeit.

Am Mittwochnachmittag beschloss die Regierung weitere und sehr drastische Einschränkungen.

Auch kleinere Versammlungen sind damit untersagt. Bei Hochzeiten und Beerdigung dürfen nur noch maximal zehn statt bisher 30 Menschen anwesend sein. Für Religionsgemeinschaften gibt es keine weiteren Ausnahmen. Einen Minjan kann man so nicht bilden, das Quorum von mindestens zehn Männern für einen vollständigen jüdischen Gottesdienst nicht erreichen.

Doch für Tomáš Kraus, den Generalsekretär der Föderation jüdischer Gemeinden in Tschechien, ist das keine ganz neue Erfahrung. Im Sozialismus vor der Wende von 1989, als die Religionsgemeinschaften politisch unterdrückt wurden, seien auch nicht immer zehn Beter eingetroffen. «Der Gottesdienst findet zwar statt, aber in sehr gekürzter Form», erläutert Kraus. Man müsse Gebete weglassen. «Auf irgendeine Weise läuft das religiöse Leben weiter.»

PREDIGTEN Eine immer größere Rolle spielt der Austausch über das Internet, so veröffentlichen viele Rabbiner ihre Predigten zum Nachlesen online. Der in Deutschland ausgebildete David Maxa erreiche online vielleicht sogar mehr Gläubige, als zu ihm in die Synagoge kommen würden, sagt Kraus. Nur die progressiven Gemeinden nutzen auch moderne Videoplattformen, um zum Beispiel ihre Schabbatgottesdienste im Internet zu übertragen.

Mit den Museumseinnahmen finanziert die Gemeinde den Großteil ihrer sozialen Programme, die auch Holocaust-Überlebenden zugutekommen.

Große Sorgen bereitet ein anderes Problem: Wegen des Coronavirus bleiben die Touristen weg. Normalerweise besuchen in einem Jahr fast eine Million Menschen das Jüdische Museum in Prag. Dazu gehören Sehenswürdigkeiten wie der Alte Jüdische Friedhof, die Maisel-Synagoge aus dem 17. Jahrhundert und die Spanische Synagoge im maurischen Stil. Doch über den Sommer kam nur ein Zehntel der üblichen Besucherzahl. Nun ist das Museum wie alle Kultureinrichtungen im Land geschlossen – mindestens bis Anfang November, wahrscheinlich länger.

RISIKO «Das ist ein riesiger wirtschaftlicher Einbruch, der für uns ein enormes Risiko darstellt», berichtet Kraus. Denn mit den Museumseinnahmen finanziert die Gemeinde den Großteil ihrer sozialen Programme, die unter anderem alten Menschen und Holocaust-Überlebenden zugutekommen. Selbst wenn die Touristen im nächsten Jahr zurückkehren sollten, womit im Moment niemand rechnet, dürfte es Jahre dauern, bis man wieder auf dem Niveau von 2019 ist.

Viele Gemeindemitglieder hätten bereits eine Coronavirus-Infektion durchgemacht und überstanden, berichtet Kraus, darunter auch Landesrabbiner Karol Sidon. Strenge Hygienevorschriften gelten im Altersheim Hagibor der Prager jüdischen Gemeinde, in dem rund 60 überwiegend hochbetagte Menschen leben. Als großer Vorteil erweist sich nun, dass der Gebäudekomplex über ein innenliegendes Atrium mit Garten verfügt. Die Umgestaltung und Revitalisierung des Altersheims hatte 2008 sogar einen Architekturpreis gewonnen.

Die Bewohner können jetzt in einem geschützten Bereich nach draußen gehen. «Sie müssen nicht das Gefühl haben, in einer klaustrophobischen Situation zu sein und ihr Zimmer nicht verlassen zu können», berichtet Tomáš Kraus.

Shlomo Graber anlässlich eines Vortrags in einer Schule in Rosenheim im Jahr 2017.

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