Europa

Zwischen Aufbruch und Niedergang

Historiker Michael Brenner Foto: Marina Maisel

Ist Europa ein kultureller und politischer Raum, in dem sich jüdisches Leben ebenso wie in den USA und in Israel entfalten kann, oder ist die jüdische Diaspora auf dem Kontinent im Schwinden begriffen? Dies war eine der Fragen, die im Zentrum eines vom Jüdischen Museum Frankfurt organisierten Symposiums standen.

Die zweitägige Veranstaltung mit dem Titel »Zwischenzeiten – Symposium zur jüdischen Diaspora in Europa« fand am vergangenen Sonntag und Montag online als Livestream statt. Unterstützt wurde die virtuelle Tagung von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« (evz). »In dem Jahr, in dem wir 1700 Jahre jüdische Geschichte in Deutschland feiern, wollen wir die Aufmerksamkeit auf das jüdische Leben im heutigen Europa lenken«, sagte Museumsdirektorin Mirjam Wenzel.

Entwicklungen Das Symposium hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die paradoxen Entwicklungen, die die europäisch-jüdische Diaspora im 21. Jahrhundert kennzeichnen, zu reflektieren und zu diskutieren. »Auf der einen Seite ist jüdisches Leben zunehmend bedroht, und die Zahl der Mitglieder in den jüdischen Gemeinden geht europaweit zurück«, konstatierte Wenzel. Auf der anderen Seite erlebe man, dass in vielen Ländern vor allem junge Juden ihr Jüdischsein selbstbewusst in der Öffentlichkeit artikulierten und somit dazu beitragen, dass die Pluralität jüdischer Stimmen in Europa deutlicher werde.

In der ersten Diskussionsrunde des Symposiums ging es vor allem um eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation. Mit Bernard Wasserstein, Michael Brenner, Diana Pinto und Alfred Bodenheimer waren dafür gleich vier ausgewiesene Experten der jüdisch-eu­ropäischen Geschichte und Gegenwart zusammengekommen.

Mit Blick auf die demografische Entwicklung zeichnete Wasserstein, emeritierter Geschichtsprofessor an der Universität von Chicago, ein ernüchterndes Bild: Lebten 1939 noch neuneinhalb Millionen Juden in Europa, sind es heute weniger als eineinhalb Millionen, konstatierte er. »Das sind nicht einmal mehr zehn Prozent der Juden auf der Welt«, so Wasserstein, der schon 1996 mit seinem Buch Vanishing Diaspora ein Europa ohne Juden vorausgesagt hatte.

»Die demografischen Statistiken sprechen keine eindeutige Sprache.«

Michael Brenner, Historiker

»Der demografische Abwärtstrend hat sich aufgrund weitgehender Assimilation, niedriger Geburtenraten und Emigrationsbewegungen fortgesetzt«, sagte der Historiker. Der grassierende Antisemitismus in Ländern wie Frankreich habe zu einer regelrechten Emigrationswelle französischer Juden nach Israel geführt.

Demografie Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Direktor des Center for Israel Studies an der American University in Washington, wollte das Bild nicht ganz so schwarzmalen. »Die demografischen Statistiken sprechen keine eindeutige Sprache«, sagte Brenner. So würden die Zahlen etwa nur die offiziell gemeldeten Mitglieder jüdischer Gemeinden erfassen. Juden, die sich außerhalb der Gemeindestrukturen bewegen, würden nicht mitgezählt. Zudem sei unklar, wie viele Israelis heute in europäischen Ländern leben. »Ich denke, dass es weiter Juden und gelebtes Judentum in Europa gehen wird«, sagte Brenner.

Die französische Historikerin Diana Pinto stimmte dieser Einschätzung grundsätzlich zu. »Ich bin nicht verzweifelt pessimistisch, wenn es um die Zukunft jüdischen Lebens in Europa geht«, sagte Pinto. Von Europa als einer dritten Säule in der jüdischen Welt neben Israel und Nordamerika, von der sie noch Anfang der 90er-Jahre geschrieben hatte, wollte Pinto aber nicht mehr sprechen. Zu groß sei der Bedeutungsverlust der europäischen Gemeinden geworden.

Alfred Bodenheimer, Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel, brachte das Grundgefühl der Diskutanten auf den Punkt: Bodenheimer sieht das europäische Judentum in einer Phase des Kampfes um seine Existenz. »Dieser Kampf ist nicht verloren, aber Gemeindevorsitzende müssen große Anstrengungen unternehmen, um jüdisches Leben auf Dauer lebendig zu halten«, so der Wissenschaftler.

Kommentar

Zürich sollte Francesca Albanese keine Bühne bieten

Die antisemitische UN-Sonderberichterstatterin tritt am Freitag in der Zürcher Zentralwäscherei auf - subventioniert durch die Steuerzahler der Stadt

von Ronny Siev  03.07.2025

Großbritannien

Unterhaus: Palestine Action als Terrororganisation eingestuft

Mitglieder der radikalen Anti-Israel-Gruppe waren im Juni auf einen britischen Luftwaffenstützpunkt eingedrungen und hatten dort Flugzeuge beschädigt

 03.07.2025

Ukraine

Putins Krieg und Trumps Frieden

Während sich die Medienaufmerksamkeit auf Nahost konzentriert, bombardiert Russland weiterhin das Land. Nun schlägt sogar der US-Präsident neue Töne an

von Michael Gold  03.07.2025

Australien

Zwei Krankenpfleger, die damit drohten, jüdische Patienten zu töten, haben Arbeitsverbot

Im Februar sorgte ein TikTok-Video für Abscheu und Empörung, in dem zwei Krankenpfleger ihrem blanken Judenhass freien Lauf ließen. Nun stehen sie vor Gericht

 02.07.2025

Großbritannien

Warten auf »Bridgerton«

Die Sehnsucht nach der vierten Staffel des Netflix-Hits ist groß. Aber wie war eigentlich das reale jüdische Leben in der Regency?

von Nicole Dreyfus  29.06.2025

Glastonbury Festival

Kritik an antiisraelischen Parolen

Neben der Musik sorgt Hetze gegen Israel für Aufsehen – mit Folgen für die BBC, die alles live übertragen hat

 29.06.2025

Glastonbury

Bob Vylan ruft »Death, death to the IDF« – BBC überträgt es

Beim größten Open Air Festival Großbritanniens rufen Musiker antiisraelische Parolen

 28.06.2025

Militär

Name des schwulen Bürgerrechtlers Harvey Milk von US-Kriegsschiff gestrichen

Das nach Milk benannte Versorgungsschiff heißt jetzt »USNS Oscar V. Peterson«

 28.06.2025

Meinung

Francesca Albaneses Horrorshow

Die UN-Berichterstatterin verharmlost den Hamas-Terror und setzt die Israelis mit den Nazis gleich. Mit ihren Ansichten tourt sie nun durch die Schweiz

von Nicole Dreyfus  30.06.2025 Aktualisiert