Polen

Zum Zweiten

In Polens Hauptstadt Warschau wird es künftig zwei jüdische Museen geben: das Jüdische Historische Institut, das direkt nach dem Zweiten Weltkrieg anstelle der Judaistischen Bibliothek wiederaufgebaut wurde, und das Museum der Geschichte der polnischen Juden, das seinen Platz gegenüber dem Denkmal für die Helden des Ghettoaufstandes 1943 gefunden hat. Offiziell soll das neue Museum im April 2013 zum 70. Jahrestag des Aufstandes eröffnet werden. Doch je näher das Datum rückt, desto dringlicher stellt sich die Frage: Braucht Warschau tatsächlich zwei jüdische Museen?

sprinkleranlage Beim Kampf hinter den Kulissen geht es ums Ganze: Anfang des Jahres musste Jerzy Halberstadt, der Gründungsdirektor des neuen Museums, seinen Hut nehmen. Offiziell hieß es, er habe den letzten Bauabschnitt nicht richtig abgenommen und akzeptiert, dass die Sprinkleranlage das mehrstöckige Gebäude vollständig unter Wasser setzen würde, wenn der Rauchmelder auch nur an einer Stelle Feueralarm geben würde.

In Wirklichkeit scheinen aber Bedenken gegenüber der Professionalität der Ausstellungsmacher wie auch die Finanzfrage den Ausschlag für die Nichtverlängerung seines Vertrages gegeben zu haben.

So soll beispielsweise durch den mit 700 Quadratmetern größten und wichtigsten Ausstellungssaal des Warschauer Ghettos eine »arische Straße« führen, die es in Wirklichkeit natürlich nicht gab. Hier möchte man zeigen, wie Juden auf der »arischen Seite« der Ghettomauer den Krieg überlebten, welchen Gefahren sie ausgesetzt waren, wer ihnen half oder sie verriet.

Unklar ist, was die »arische Seite« mit der Nazi-Ideologie von den »arischen Herrenmenschen« zu tun hat. Dem Ausstellungskonzept zufolge sollen vor allem christliche Polen auf jener ominösen »arischen Straße« in Warschau gewohnt haben.

kritik Mehrfach kritisiert wurde der Name der Website »Virtuelles Schtetl«. Es festige das stereotype Bild von den armen Kaftanjuden mit Schläfenlocken und Pelzmütze, statt den Blick auf alle Juden, auch die assimilierten in den größeren Städten, zu erweitern.

Das Museum hat den Anspruch, auch über das Leben derjenigen Juden Zeugnis abzulegen, die vor dem Krieg in Schlesien, Pommern und Ostpreußen lebten, in Gebieten also, die nach 1945 an Polen fielen. Doch wer kommt schon auf die Idee, unter dem Begriff »Virtuelles Schtetl« nach Breslau, Oppeln oder Allenstein zu suchen?

Ein neuer Chef oder eine neue Chefin für das Museum konnte trotz großer Kandidatenzahl bislang nicht gefunden werden. Kommissarisch führt die Geschäfte zurzeit Agnieszka Rudzinska-Rytel, die bisherige Stellvertreterin Halberstadts.

Auch am Jüdischen Historischen Institut schlagen die Wellen hoch. Eleonora Bergman, die die Einrichtung seit 2007 als Direktorin leitet, hatte es von einem Forschungs- in ein Kulturinstitut verwandelt. In der Vergangenheit stand die Finanzierung durch das Wissenschaftsministerium immer wieder auf der Kippe, da das Institut nicht an die Warschauer Universität angekoppelt ist, sondern den rechtlichen Status einer wissenschaftlichen Gesellschaft hat.

Der Kulturminister erklärte sich bereit, die Einrichtung unter seine Fittiche zu nehmen, verlangte aber eine Schwerpunktverlagerung von der wissenschaftlichen auf die pädagogische Arbeit mit Lehrern. Auch Wechselausstellungen und regelmäßige Vorträge und Seminare für allgemein Interessierte gehören seither zum Programm. Daneben wird geforscht und im institutseigenen Verlag publiziert.

kündigung Doch etliche Mitarbeiter waren mit dem finanziell attraktiveren, aber wissenschaftlich weniger renommierten Status einer Jüdischen Volkshochschule nicht einverstanden und protestierten öffentlich gegen die eigene Direktorin. Schließlich reichte Bergman die Kündigung ein. Neuer Direktor soll am 1. Oktober der Soziologieprofessor Pawel Spiewak werden.

Spiewak wurde in ganz Polen bekannt, als er sich 2005 als unabhängiger Kandidat in den Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, wählen ließ, um als Soziologe die politische Szene von innen heraus beschreiben zu können. Er publiziert vor allem in liberalen und linksliberalen Zeitschriften, bislang allerdings nur wenig zu jüdischen Themen.

Anregend finden viele seine Kommentare zu den Wochenabschnitten der Tora, die er regelmäßig in der katholischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny veröffentlicht. Unter seiner Ägide wird sich nun entscheiden, ob Warschau sich künftig zwei jüdische Museen leisten will.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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