Westeuropa

Wissen, was passiert

Robin Sclafani ist Realistin. »Homophobie, Xenophobie, Antisemitismus: Wir haben noch einen langen Weg vor uns«, sagt die Direktorin der Brüsseler Organisation CEJI – A Jewish Contribution to an Inclusive Europe. Der erste Schritt steht nun bevor: Vergangene Woche gab die EU-Kommission bekannt, das von CEJI initiierte Projekt »Facing facts!« mit knapp 230.000 Euro zu unterstützen. Zur Bekämpfung von Hassverbrechen sollen zunächst einheitliche Kriterien aufgestellt werden, um europaweit entsprechende Daten für auf Diskriminierung basierende Übergriffe sammeln zu können. Auch den Schutz potenzieller Opfergruppen und die Zusammenarbeit betroffener Organisationen will man verbessern.

Die Idee dazu entstand vor anderthalb Jahren. »In den meisten EU-Ländern ist die Sammlung solcher Daten unvollständig«, erklärt Sclafani. Um das zu ändern, hat CEJI erfahrene Mitstreiter gewonnen: das Israel-Dokumentations- und Informationszentrum in Den Haag, eine der wichtigsten Instanzen zur Registrierung antisemitischer Vorfälle in den Niederlanden, sowie den britischen Community Security Trust (CST), der sich für die Sicherheit jüdischer Gemeinden im Vereinigten Königreich einsetzt. Mit im Boot sind auch die renommierte niederländische Homosexuellenvertretung COC sowie das internationale Netz- werk ILGA, das Homo- und Bisexuelle sowie Transgenders repräsentiert. »Eine jüdisch-homosexuelle Allianz, die sich ausdrücklich auch an Migranten und Muslime richtet«, betont Sclafani.

Monitoring Prävention und Intervention – auf diesen Nenner lässt sich das Ziel von »Facing Facts!« bringen. Elise Friedmann, Leiterin der CIDI-Abteilung für Antisemitismusforschung, erklärt: »Um Hassverbrechen zu bekämpfen, muss man wissen, was passiert.« Ein entsprechendes Monitorsystem sei zwar innerhalb der EU abgesprochen, doch kämen ihm längst nicht alle Mitgliedsstaaten nach und die bestehende Registrierung folge keinen einheitlichen Standards. Der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) zufolge wird die Mehrzahl der Übergriffe nicht gemeldet. Robin Sclafani ergänzt, Hassverbrechen würden von der Polizei oft nicht als solche eingestuft.

Entsprechend eines Ratschlags ihrer Grundrechte-Agentur will die EU diese Mängel nun mit Hilfe der Zivilgesellschaft beheben. Die Betroffenen sehen dies ambivalent. Michael Whine, CST-Direktor im Bereich Governmental & International Affairs, bringt es auf den Punkt: »Wir sehen darin eine Anerkennung unserer Kompetenz und der Arbeit, die wir seit 20 Jahren leisten. Es ist ein Eingeständnis dessen, dass die Regierungen, deren Aufgabe dies eigentlich wäre, dabei scheitern.« Dass jüdische Organisationen dabei federführend sind, spiegelt laut Whine »das Klima in Europa wider, das für Juden wieder einmal schwieriger wird«.

Sachkenntnis Die drei beteiligten jüdischen Projektpartner unterhalten seit Längerem gute Beziehungen untereinander. Ihre wichtige Rolle bei »Facing Facts!« findet Robin Sclafani daher logisch: »Die Bedingungen in Europa sind sehr unterschiedlich. In Belgien gibt es ein Zentrum für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung, in Großbritannien kooperieren die Gemeinschaften mit der Polizei, aber das ist nicht überall so. Daher gilt es, Sachkenntnis von dort in Anspruch zu nehmen, wo die Datenerhebung funktioniert.« Hier könnten jüdische Gemeinschaften einen Beitrag liefern, so Sclafani. »Auch bei uns geschieht das immer noch unvollständig, aber besser als irgendwo anders.«

Standort von »Facing Facts!« ist Brüssel, wo das Projekt in den CEJI-Räumen untergebracht wird. Ab 2013 soll das System funktionieren. Noch werden allerdings weitere 50.000 Euro benötigt, um das Budget zu decken. Robin Sclafani hofft daher auf weitere Finanzquellen für das erste internationale Projekt dieser Art. »Wir haben einiges an Erfahrung zu bieten. Und unser aller Sicherheit verbessert sich, wenn wir Solidarität zeigen.«

www.ceji.org
www.thecst.org.uk
www.cidi.nl

Großbritannien

Aufsicht rügt BBC wegen »schwerwiegender Irreführung«

Eine BBC-Doku aus Gaza drehte sich um den 13-jährigen Sohn eines hochrangigen Hamas-Funktionärs. Doch davon erfuhren die Zuschauer nichts. Jetzt beschloss die Ofcom Sanktionen gegen den Sender

 17.10.2025

Meinung

Das moralische Versagen der Linken

Wenn Antisemitismus offen auf der Straße marschiert, dann hört man aus den linken Reihen: nichts.

von Nicole Dreyfus  17.10.2025

USA

Auf der Suche nach dem »Jewish Glam«

Wie jüdische Fotografinnen und Fotografen Hollywood zu seinem berühmten Glamour verhalfen

von Ute Cohen  17.10.2025

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

von Nicole Dreyfus  12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025

Literatur

Nobelpreis für Literatur geht an László Krasznahorkai

Die Literaturwelt blickt erneut gebannt nach Stockholm. Dort entscheidet man sich diesmal für einen großen Schriftsteller aus Ungarn - und bleibt einem Muster der vergangenen Jahre treu

von Steffen Trumpf  09.10.2025

Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Wie ist es in diesen Tagen, Jude in einer europäischen Metropole zu sein? Ein Besuch bei Künstler Gabriele Levy im jüdischen Viertel von Rom

von Nina Schmedding  06.10.2025