Interview

»Wir müssen Geld beschaffen«

Herr Ryvlin, Estlands Metropole Tallinn ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas. Beteiligt sich die jüdische Gemeinde an dem Projekt?
Ja, es gibt große Konzerte mit hierzulande sehr bekannten jüdischen Musikern wie dem Sänger Timur Fishel und seiner Gruppe »Shiri«. Außerdem wird dank des Kulturhauptstadtbudgets das jüdische Musikfestival »Ariel« wieder stattfinden, das wegen der Wirtschaftskrise ein Jahr ausgesetzt wurde. Und unser großer Stolz ist das Festival des israelischen Films, das dieses Jahr erstmals in großem Stil aufgezogen wird.

Wie haben Sie sich auf das Kulturhauptstadtjahr vorbereitet?
Wir arbeiten eng mit dem Kultusministerium zusammen und haben gemeinsam mit anderen Minderheiten im Land Kulturprojekte erarbeitet. Gerade sind wir dabei, für unser jüdisches Museum einen Audioguide zu erstellen, den wir im März der Öffentlichkeit präsentieren wollen.

Ihre Gemeinde ist ziemlich arm. Haben Sie Ideen, wie Sie vom Kulturhauptstadtjahr profitieren können?
Wir Juden in Estland sind die einzige Gemeinde in Europa ohne jeglichen Besitz. Wir haben weder Grundstücke noch Gebäude und bekommen auch keine Unterstützung vom Staat. Wir müssen für jedes einzelne Projekt Geld beschaffen. Unsere finanzielle Basis sind Mitgliedsbeiträge und Sponsorengelder. Wir haben Freunde in den USA und Schweden und gute Verbindungen zum Joint, der amerikanisch-jüdischen Wohlfahrtsorganisation. Aber all das reicht bei Weitem nicht. Die Touristen sind für uns eine zusätzliche Einnahmequelle. Und vielleicht können wir in diesem für unsere Stadt so besonderen Jahr neue Sponsoren gewinnen.

Was erwarten Sie über das Finanzielle hinaus vom Kulturhauptstadtprojekt?
Ich hoffe sehr, dass es eine Brücke zwischen den im Land lebenden Esten und Russen schlagen wird. Jeder Dritte hier ist russischsprachiger Herkunft. Auch in unserer Gemeinde kommen die meisten aus Russland, Weißrussland oder der Ukraine. Wir haben nur 300 estnische Juden, 2.500 sprechen Russisch. Trotzdem haben wir es geschafft, sie zu integrieren. Wir Juden versuchen, eine tolerante Gesellschaft vorzuleben.

Vor drei Wochen ist in Estland der Euro eingeführt worden. Was bedeutet die Währungsumstellung für die Gemeinde?
Das ist für uns ein sehr ernstes Problem. Seit der Ankündigung vor einem halben Jahr sind die Preise enorm gestiegen. Gleichzeitig geht Estland durch eine schwere Wirtschaftskrise. Mehr als 20 Prozent der Menschen sind arbeitslos, darunter viele Juden. Wir haben die Alten, deren Renten nicht mehr zum Leben reichen und die neuen Armen, die ihre Kredite nicht bedienen können, Wohnungen oder Häuser verloren haben und auf der Straße stehen. Das bedeutet vor allem, dass ab sofort noch mehr Menschen soziale Unterstützung von der Gemeinde erwarten.

Mit dem Direktor der Jüdischen Gemeinde Tallinn sprach Birgit Johannsmeier.

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025

Belgien

Aus der Straße des Antisemiten wird die Straße der Gerechten

In Brüssel gibt es jetzt eine Rue Andrée Geulen. Sie ist nach einer Frau benannt, die im 2. Weltkrieg mehr als 300 jüdische Kinder vor den deutschen Besatzern rettete. Doch bei der Einweihung herrschte nicht nur eitel Sonnenschein

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025