Karl Pfeifer

Wiener Gewissen

Als er nach der Schoa nach Österreich zurückkehrte, habe er keine Hilfe erhalten, sagt Karl Pfeifer. »Der Staat unterstützte nur diejenigen Heimkehrer, die in der Wehrmacht oder in der Waffen-SS gedient hatten.« Foto: Stefan Streicher

Anfang der 40er-Jahre stand er auf der Todesliste der Nazis, doch es gelang ihm, nach Palästina zu fliehen und die Schoa zu überleben. Im Unabhängigkeitskrieg 1948 kämpfte er in der israelischen Armee für den jungen jüdischen Staat. Drei Jahre später, zurück in Wien, musste er im selben Schlafsaal übernachten wie einst Hitler vor dem Ersten Weltkrieg. Bis heute streitet er unermüdlich für Gerechtigkeit und gegen Antisemitismus, er geht in Schulen und berichtet als Zeitzeuge: Karl Pfeifer.

Am 22. August wird der Journalist und Zeitzeuge 90 Jahre alt. Vor wenigen Wochen hat ihn Österreich mit dem Goldenen Ehrenzeichen für sein Lebenswerk und für Verdienste um die Republik geehrt.

rassenwahn Karl Pfeifer ist einer jener Schoa-Überlebenden, die niemals nachlassen, den Rassenwahn der Nationalsozialisten anzuprangern, um die Wiedergängerschaft eines NS-Unrechtsstaates zu verhindern. Die Welt braucht Menschen wie ihn in einer Zeit erneut aufkeimenden Antisemitismus, in der populistische Parteien wie die FPÖ in Österreich und die AfD in Deutschland mit ihren Parolen Wähler in Scharen von den orientierungslosen bürgerlichen Parteien abfischen.

Geboren wurde Karl Pfeifer 1928 in Baden bei Wien. Als Zehnjähriger floh er mit seinen Eltern vor den einmarschierenden Nazi-Truppen rechtzeitig aus Österreich nach Ungarn. Doch das Nachbarland bot nur einen kurzen Zeitaufschub. Der junge Karl wurde Mitglied der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Hashomer Hatzair und flüchtete am 5. Januar 1943 mit 50 jüdischen Jugendlichen Richtung Palästina – ein ge­fährliches Unterfangen. Noch gefährlicher jedoch wäre es gewesen, in Europa zu bleiben.

Im britischen Mandatsgebiet Palästina lebte Karl Pfeifer in einem Kibbuz, diente ab 1946 in der Palmach, nach der Staatsgründung in der Zahal und verteidigte Israel im Unabhängigkeitskrieg 1948 gegen seine die junge Demokratie angreifenden Nachbarn. Und er lernte Hebräisch. Doch seine deutschsprachigen Bücher halfen ihm, sich von seiner Muttersprache nicht zu entfremden.

1951 entschied er sich für den Weg zurück und kam im Herbst nach Innsbruck. Als geborener Österreicher erhielt er sofort die Staatsbürgerschaft zurück. »Doch nach den Gesetzen unterstützte der Staat nur diejenigen Heimkehrer, die in der Wehrmacht oder in der Waffen-SS gedient hatten«, sagt Pfeifer mit bitterer Ironie. Ohne Geld und nur mit dem, was er am Körper trug, kam er nach Wien. Da war er 23 Jahre alt.

Karl Pfeifer wollte sich integrieren. Und er wollte Arbeit. Doch ihm begegnete immer noch unverhohlener Antisemitismus, sei es beim Beantragen eines Dokuments auf dem Amt oder im Alltag. So habe ein Beamter zu ihm gesagt: »Wozu braucht ein Jude zwei Vornamen im Ausweis?« Als er einmal in Grinzing beim Heurigen saß, hörte er andere Gäste ungeniert Witze über die Gaskammern in den KZs erzählen. Noch heute prangert er an, dass auch unter dem jüdischen Sozialdemokraten Bruno Kreisky als Bundeskanzler (1970–1983) der Antisemitismus in Österreich nicht zurückgegangen ist.

Kommentare Seit 1979 arbeitet Karl Pfeifer als freier Journalist für Medien in Deutschland, Österreich, Israel, England und Ungarn. Immer wieder schreibt er auch Berichte und Kommentare für diese Zeitung. Dabei spürt er wachsam antisemitischen Tendenzen und Taten nach, um sie öffentlich zu machen.

»Der Antisemitismus ist auch Jahrzehn­te nach dem Holocaust ein Teil der Medien und der Politik«, so seine Beobachtung. Er sei heute vermischt mit dem Hass auf die israelische Politik. »90 Prozent der Berichte über Israel sind antisemitisch gefärbt«, sagt Pfeifer. Gleichwohl hegt er nicht viel Sympathie für die Politik von Israels Premier Benjamin Netanjahu: »Er ist ein Vertreter des absoluten Stillstands.«

Viel Wirbel verursachte Karl Pfeifers Disput mit dem Politikwissenschaftler Werner Pfeifenberger. Dieser hatte 1995 im FPÖ-nahen Jahrbuch für politische Erneuerung einen Beitrag mit dem Titel »Internationalismus gegen Nationalismus – eine unendliche Todfeindschaft?« veröffentlicht und darin die Mär eines jüdischen Krieges gegen Deutschland verbreitet. Er drehte damit das Täter-Opfer-Verhältnis ins Gegenteil.

Karl Pfeifer sprach in seiner Rezension von Nazidiktion, Pfeifenberger antwortete mit einem Rechtsstreit. Doch Pfeifer gewann durch alle Instanzen.

Im Jahr 2000 klagte die Wiener Staatsanwaltschaft Pfeifenberger wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung an. Kurz vor Beginn der Verhandlungen beging der Politikwissenschaftler Selbstmord. Die rechte österreichische Zeitschrift »Zur Zeit« brachte Pfeifenbergers Tod mit Karl Pfeifer in Zusammenhang. Dieser klagte wegen Rufmord, wurde aber vom Gericht abgewiesen. Wieder folgte ein Weg durch die Instanzen, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der gab Karl Pfeifer 2007 recht, und Österreich musste 5000 Euro Entschädigung an ihn zahlen.

Verantwortung
In den vergangenen Jahren habe er bei Journalisten, aber auch bei anderen Bürgern eine höhere Sensibilität gegenüber Schoa und Antisemitismus feststellen können, sagt Pfeifer. »Die schreckliche Vergangenheit kann nicht geändert werden. Doch für die Gegenwart tragen wir alle die Verantwortung.«

Seit seiner Rückkehr nach Österreich nur sechs Jahre nach der Befreiung von den Nazis habe sich das Land sehr geändert, sagt er. »Es wäre ein fataler Fehler zu glauben, antisemitisches Gedankengut wäre in Österreich und Deutschland heute mehrheitsfähig.«

Dennoch beobachtet Karl Pfeifer die aktuelle österreichische Politik äußerst wachsam: »Unser junger Bundeskanzler hat nichts zu den braunen Flecken seines Koalitionspartners zu sagen«, beklagt Pfeifer. Das beunruhige viele Österreicher, die nichts für die »völkische Gedankenwelt, die in der FPÖ verbreitet ist«, übrig haben. Erst jüngst wollte ein FPÖ-Politiker eine Liste der religiösen Juden erstellen. »Auch deswegen nehme ich die Versicherung dieser Partei, sie hätte mit ihren antisemitischen Traditionen gebrochen, nicht für bare Münze.«

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025