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Wie in einer anderen Welt

Monty Ott Foto: privat

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Wie in einer anderen Welt

Früher konnten israelische Fans durch europäische Städte schlendern, heute scheint das undenkbar

von Monty Ott  08.11.2024 14:55 Uhr

Der Rauch wurde durch das Licht von Pyrotechnik rot gefärbt. Er breitete sich am Millerntor aus, als Hapoel Tel Aviv dort im Juli 2023 bei einem Freundschaftsspiel gastierte. In den Tagen und Nächten vor dem Spiel waren etliche israelische Fans aus der Mittelmeermetropole in die Hansestadt gereist. Nachts standen sie vor der Szene-Kneipe Jolly Roger und sangen auf Hebräisch. Heute wirkt das wie aus einer anderen Welt. 

Einige Fans vom Stadtrivalen Maccabi Tel Aviv galten nach den antisemitischen Ausschreitungen in Amsterdam als vermisst, mehrere sollen verletzt worden sein. Die israelische Regierung wollte Flugzeuge mit Rettungsteams in die niederländische Hauptstadt entsenden, sagte diese wohl aufgrund von innerisraelischer Kritik aber wieder ab. Es herrschte absolutes Chaos in der Nacht.

Was war passiert? Die Maccabi-Fans waren ihrem Verein in der Europa League nach Amsterdam gefolgt. Für viele ein sehr verlockendes Match. Denn so wie bei St. Pauli und Hapoel Tel Aviv besteht auch eine Fanfreundschaft zwischen einigen Gruppen, die zu der Fanszene von Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv zählen. Die Fans von Ajax sind für ihre pro-israelische Haltung bekannt. Ob jüdisch oder nicht-jüdisch bezeichnen sie sich als »Superjoden« oder lassen sich sogar Davidsterne tätowieren. Es gehört zur Vereinsidentität. Doch die guten Verbindungen zu Teilen der Fans stehen auf einem anderen Blatt. 

Böse Vorahnungen ließ bereits die Nations-League-Partie zwischen Belgien und Israel aufkommen. Das Heimspiel von Belgien im September musste in Budapest ausgetragen werden, weil sich die Stadt Brüssel aus Sicherheitsgründen nicht in der Lage sah, die israelische Fußball-Nationalmannschaft für ein Spiel zu empfangen. 

Hetzjagd auf Israelis

Der Sportjournalist Felix Tamsut hat die gestrigen Ereignisse in Instagram-Stories dokumentiert: In der Nacht vor dem Spiel zogen Fans von Maccabi durch die Straßen der niederländischen Hauptstadt. Einige rissen palästinensische Flaggen ab, die an Häusern angebracht waren. Zeitgleich kam es wohl aber auch zu ersten Angriffen auf Maccabi-Fans, einer wurde Tamsut zufolge in einen Kanal geworfen. 

Zum Maccabi-Fanlager zählen politisch rechte Ultra-Gruppierungen. Bereits in den Stunden vor dem Spiel hatten anti-israelische Demonstrationszüge versucht, zur Johan-Cruyff-Arena zu gelangen. Die Polizei schien diese Situation noch unter Kontrolle zu haben. 

Doch nach dem Spiel gegen Ajax schlug die Situation um. Anti-israelische Akteure waren aufmerksam geworden, dass Israelis in der Stadt waren und hatten sich vorbereitet. Nach Abpfiff wurden die Maccabi-Fans an etlichen Orten überfallen. Gruppen umzingelten sie und warfen Feuerwerkskörper.

Schnell machten Videos in sozialen Netzwerken die Runde, die Hetzjagden zeigten. Ein Mob, der Menschen fragte, ob sie jüdisch oder israelisch seien und dazu zwang, sich durch einen Pass auszuweisen. Menschen, die über die offene Straße gejagt wurden. Offenbar waren einige der Angreifer auch mit Messern bewaffnet.

Es sind verstörende Szenen, auch weil mutmaßlich vielerorts kein Eingreifen der Polizei stattfand. Dabei verlautbarten israelische Offizielle, dass es bereits vor dem Spiel Hinweise auf eine solche Bedrohungslage gegeben habe, aus denen die niederländischen Behörden allem Anschein nach keine weitreichenden Konsequenzen gezogen haben. Über lange Zeit sollen Anhänger der Ultra-Gruppe Maccabi Fanatics die einzigen gewesen sein, die sich organisierten und dem Mob entgegentraten. 

Immer wieder antiisraelische Vorfälle

Im Kontext von europäischen Pokalspielen kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu antiisraelischen Vorfällen. So war der Auswärtsblock in Dortmund nach dem Spiel des BVB gegen Celtic Glasgow mit antisemitischen Botschaften übersät. Auch beim Spiel von Galatasaray Istanbul gegen Tottenham Hotspurs – deren Fans ebenfalls für ihre pro-jüdische Perfomance bekannt sind – wurden durch die Fans der Heimmannschaft antisemitische Spruchbänder gezeigt (u.a. »Palestinian Genocide« und »Let Gaza Babies Live«).

Bei der Champions-League-Partie von Paris Saint Germain und Atlético Madrid entrollten mutmaßlich Mitglieder der Gruppe »Auteuil Kop« ein riesiges Banner, das die Aufschrift »Free Palestine« trug. Ebenfalls waren darauf ein Kämpfer, mit durch eine Kufiya verdeckten Gesicht, sowie eine Karte mit den Umrissen Israels und der palästinensischen Gebiete, die ganz mit dem Muster der Kufiya ausgefüllt war, zu sehen. Auf einem Spruchband darunter wurde »Krieg auf dem Spielfeld, aber Frieden in der Welt« gefordert.

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Und auch im Berliner Jugendfußball kam es wohl zu einem Übergriff. So berichtet Rabbiner Shlomo Afanasev von einem Spiel einer Jugendmannschaft von Makkabi Berlin, während und nach dem es zu antiisraelischen Äußerungen und mutmaßlich einen Angriff mit Stöckern und Messern auf die jüdische Mannschaft gekommen sei.

In all den Monaten seit dem 7. Oktober waren Fußballstadien für mich ein Raum, um mich abzulenken. Dabei war der Antisemitismus in europäischen Stadien immer präsent. Nach dem Spiel im Juli 2023 schlenderten wir leicht angetrunken mit vielen israelischen Fans aus dem Millerntor-Stadion – ohne Angst vor Übergriffen. Es war eine andere Zeit, es fühlt sich an wie eine andere Welt. 

Der Autor ist Publizist und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Marlene Schönberger (Grüne).

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