Rumänien

Welcher Holocaust?

Dan Sovas jüngster Karrieresprung kam unerwartet: Bei einer Regierungsumbildung vergangene Woche in Rumänien wurde der Posten des Ministers für die Kommunikation mit dem Parlament plötzlich vakant. Da dachte der sozialdemokratische Ministerpräsident Victor Ponta an seinen Kollegen Sova, der bis März Pressesprecher der Partei war. Damals musste Sova zurücktreten und im US Holocaust Memorial Museum in Washington einen dreitägigen Nachhilfekurs besuchen, denn seine Behauptungen schockierten zumindest einen Teil seiner Landsleute.

Massenmorde Der Politiker hatte in einer Fernsehsendung den Holocaust in Rumänien geleugnet. »Auf unserem Staatsgebiet musste kein Jude leiden, und das haben wir Antonescu zu verdanken«, behauptete Sova. Nach Schätzungen von Historikern liegt die Zahl jüdischer Opfer der rumänischen Massenmorde bei mehr als 300.000. Der faschistische Marschall und damalige rumänische Staatschef Ion Antonescu war ein Verbündeter Hitlers und ließ in eigener Regie Juden ermorden. Darüber hinaus wurden viele Roma und politische Oppositionelle in die besetzte ukrainische Provinz Transnistrien deportiert, um dort, weit weg von den Augen der Öffentlichkeit, ermordet zu werden.

Für das kaum zu leugnende Pogrom in der rumänischen Stadt Iasi gab Sova der deutschen Wehrmacht die Schuld. Auch hier belegen die historischen Dokumente, dass die rumänischen Faschisten dahintersteckten. Nach der Fernsehsendung im März brach in Bukarest ein Sturm der Entrüstung aus. Mehrere rumänische Nichtregierungsorganisationen wie das Zentrum für die Bekämpfung des Antisemitismus, aber auch Romani Criss, einer der größten Roma-Vereine im Land, erstatteten Strafanzeige gegen Sova.

Antonescu »Nur in Rumänien kann man den Holocaust leugnen und dann zum Minister ernannt werden«, spottet Erwin Simsensohn, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Bukarest. »Alles, was Herr Sova gesagt hat, ist schlicht falsch. In Iasi wurden keine 24, sondern 14.000 Juden ermordet. Und der Täter war nicht die Wehrmacht, sondern Antonescu, den Herr Sova, wie viele andere Rumänen, nach wie vor für einen Helden hält«, erklärt Abraham Giltman, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Iasi. Zahlreiche rumänische NGOs und auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem kritisierten vergangene Woche Sovas Nominierung und forderten seine sofortige Entlassung. Die Anti-Defamation League (ADL) schickte Premier Ponta einen Brief und rief den neuen Minister auf, öffentlich um Entschuldigung zu bitten.

Auf Druck der Öffentlichkeit nahm Sova Ende vergangener Woche seine Behauptungen vom Frühjahr zurück: »Sie waren völlig falsch«, gab er zu und kündigte an, das Sozialdemokratische Institut in Bukarest wolle künftig einen Kurs zur Geschichte des rumänischen Holocaust anbieten.

signal »Es ist schwer zu akzeptieren, dass ein junger gebildeter Mann behaupten kann, in Rumänien habe es keinen Holocaust gegeben«, kommentierte Aurel Vainer, Vorsitzender des Verbands der jüdischen Gemeinden in Rumänien, am Montag vergangener Woche in einem Fernsehinterview. »Sovas Nominierung hat ein falsches Signal an die Jugend gesendet.« Laut jüngsten Daten leben heute in Rumänien noch knapp 6.000 Juden. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es rund 750.000.

Viele Menschen im Land »teilen eine angenehm idealisierte Version der nationalen Geschichte, die bis heute in der Schule gelehrt wird«, sagt der Bukarester Historiker Lucian Boia. »Diese traditionelle Geschichtserzählung unterdrückt unbequeme Kapitel wie den Holocaust.«

USA

Der reichste Mann der Welt – für einen Tag

Larry Ellison gehört zu den Großen des Silicon Valley und hält Künstliche Intelligenz für die wichtigste Erfindung der Menschheit

von Sara Pines  26.10.2025

Nachruf

Letzter Kämpfer des Aufstands des Warschauer Ghettos gestorben

Michael Smuss wurde 99 Jahre alt

 24.10.2025

Wien

Nobelpreisträger warnt vor technischer Abhängigkeit von den USA

Joseph E. Stiglitz kritisiert Präsident Trump und ruft Wissenschaft und Medien zur Verteidigung der Medienfreiheit weltweit auf

von Steffen Grimberg  24.10.2025

Polen

Antisemitische Hetzer verhindern Konzert jüdischer Musiker

Der Chor der Pestalozzi-Synagoge in Berlin war eingeladen, in Września gemeinsam mit dem dortigen Kinderchor den Komponisten Louis Lewandowski zu ehren. Nach Hetze und Drohungen wurden alle Veranstaltungen abgesagt

von Sophie Albers Ben Chamo  23.10.2025

Großbritannien

Jiddisch verbindet

Zwischen Identitätssuche, Grammatik und Klezfest. Unsere Autorin war beim Sprachkurs »Ot Azoy« in London

von Sabine Schereck  23.10.2025

Rabbiner Noam Hertig aus Zürich

Diaspora

Es geht nur zusammen

Wie wir den inneren Frieden der jüdischen Gemeinschaft bewahren können – über alle Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten hinweg

von Rabbiner Noam Hertig  23.10.2025

Großbritannien

Ärztin wegen antisemitischer Agitation festgenommen

Dr. Rahmeh Aladwan wurde vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, weil sie die Hamas-Verbrechen vom 7. Oktober verherrlicht hatte. Nun muss der General Medical Council über ihre Approbation entscheiden

von Michael Thaidigsmann  22.10.2025

Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion Natalie Rickli lehnte die unverbindliche Anfrage des Bundes ab, 20 Kinder aus Gaza in der Schweiz aufzunehmen.

Schweiz

Kinder aus Gaza bald in Zürich?

In der Schweiz wird eine politische Debatte darüber geführt, ob verletzte Kinder aus dem Gazastreifen aufgenommen werden sollen

von Nicole Dreyfus  22.10.2025

Mexiko

»La Doctora« liefert

Die Sozialdemokratin und Physikerin Claudia Sheinbaum ist seit einem Jahr Präsidentin. Eine erste Bilanz

von Michael Ludwig  21.10.2025