Brasilien

Wahlkampf am Amazonas

Mentor und Zögling: Präsident Lula mit Kandidatin Dilma Rousseff Foto: dpa

Es herrscht Wahlkampf in Brasilien. Wer wird auf Lula folgen? Am 3. Oktober sind allgemeine Wahlen im größten Land Lateinamerikas. Da möchte die Konföderation der jüdischen Gemeinden Brasiliens den Spitzenkandidaten gern auf den Zahn fühlen. Wie halten diese es mit der Religion, mit den Menschenrechten, und wie ist ihre Haltung zu Israel?

Marina da Silva, die Grüne aus Amazonien war schon dran, Mitte September kam Dilma Rousseff, Lulas Wunschkandidatin, nach São Paulo um »vorzusingen«. 80 Honoratioren der jüdischen Gemeinde hörten sich an, was Dilma Rousseff zu sagen hatte. Schließlich hat sie den Umfragen nach die besten Aussichten, die nächste Präsidentin Brasiliens zu werden.

fettnäpfchen Sie humpelte mit einem bandagierten Bein herein, denn sie hatte sich den Fuß vertreten. Und das war beinahe symbolisch. Denn ihr Mentor, der amtierende Präsident Luis Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei PT, war mit seiner »Freundschaft« zu Mahmud Ahmadinedschad international ins Fettnäpfchen getreten. Lula hatte geglaubt, er könne den iranischen Diktator persönlich davon abbringen, mit der Atombombe zu spielen: eine groteske Fehleinschätzung.

Deshalb war denn auch das Treffen in São Paulo äußerst delikat: Wie würde sich Dilma, die zahlreiche höchste Funktionen in der Lula-Regierung innehatte, aus der Affäre ziehen?

Sie flüchtete sich ins Allgemeine: Man müsse alle Mittel suchen, um die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Man solle den Iran nicht in die Ecke drängen, und es gehe nicht um die Person von Ahmadinedschad. Dessen Leugnung des Holocaust sei inakteptabel, und in Menschenrechtsfragen gäbe es im Iran Nachholbedarf. Das Existenzrecht von Israel stehe nicht zur Debatte. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Claudio Luiz Lottemberg, nickte zufrieden.

nahost Was nun die Position der brasilianischen Regierung im Nahost-Konflikt betrifft, so zeichnet sie sich nicht gerade durch besondere Bemühungen um den Frieden aus: Brasilien treibt gerne Handel mit den arabischen Staaten. Dilma Rousseff, ganz Stimme ihres Mentors, wird diese Politik ohne Zweifel fortsetzen.

Über die glänzende wirtschaftliche Bilanz Brasiliens mochte die Kandidatin weit lieber sprechen. Auch hier gedenkt Rousseff in Lulas Fußstapfen zu treten und die Marktwirtschaft fortzusetzen. Also: Alles weiter so wie bisher mit Dilma Rousseff? Ist sie mehr als eine Marionette von Lula, der nach vier Jahren Dilma möglicherweise zurückkehren will?

spendierhosen So einfach wird es nicht sein: Wer immer am Sonntag gewählt und am 1. Januar 2011 das höchste Amt in Brasilien antreten wird, muss sich darauf gefasst machen, eine leere Staatskasse vorzufinden. Denn Lula hat in seiner zweiten Amtszeit die Spendierhosen angezogen und Geld ausgegeben, das – wie alle hoffen – in 7.000 Metern unter dem Meer liegt, nämlich in den enormen Erdölreserven vor der Küste. Bloß ist bisher davon noch kaum ein Tropfen geflossen.

Dilma Rousseff hat nicht Lulas Charisma – und das hat José Serra, der brave Gouverneur aus São Paulo, der für die konservative Opposition antritt, noch weniger. Aber die Grüne Marina da Silva hat eine besondere politische Aura. Sie dürfte bei der Wahl bis zu zehn Prozent der Stimmen erlangen, ein erstaunliches Ergebnis. Mit Dilma oder Serra hingegen zeichnen sich für die Zeit nach Lula die Mühen der Ebene ab. Noch sonnt sich Brasilien im Rufe einer Boom-Nation. Doch wer länger im Land gelebt hat, weiß, dass der Kater nach der Wahl so sicher kommt wie nach dem Genuss von Cachaça.

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

 12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025

Literatur

Nobelpreis für Literatur geht an László Krasznahorkai

Die Literaturwelt blickt erneut gebannt nach Stockholm. Dort entscheidet man sich diesmal für einen großen Schriftsteller aus Ungarn - und bleibt einem Muster der vergangenen Jahre treu

von Steffen Trumpf  09.10.2025

Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Wie ist es in diesen Tagen, Jude in einer europäischen Metropole zu sein? Ein Besuch bei Künstler Gabriele Levy im jüdischen Viertel von Rom

von Nina Schmedding  06.10.2025

Großbritannien

Empörung über Israels Einladung an Rechtsextremisten

Jüdische Verbände und Kommentatoren in Großbritannien sind entsetzt, dass Diasporaminister Chikli und Knesset-Sprecher Ohana ausgerechnet nach dem Anschlag von Manchester einen rechten Agitatoren hofieren

von Michael Thaidigsmann  06.10.2025

Türkei

»Zionist«: Robbie-Williams-Konzert in Istanbul am 7. Oktober abgesagt

Die Stadt verweist auf Sicherheitsbedenken – zuvor gab es online massive Proteste wegen jüdischer Familienbezüge des Musikers

 05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025