Polen

Vorläufig nur milchig

Reduziertes Menü: jüdisches Café in Warschau Foto: n-ost

»Religiöse Grausamkeit«, »Exportware Horror« und »Rituelles Schlachten ist verfassungswidrig« – so lauteten die Schlagzeilen in fast allen polnischen Zeitungen. Kurz vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts, ob das Tierschutzgesetz das direkte Töten eines Tieres im Schlachthof erlaubt, oder ob es zuvor zu betäuben sei, kochte in Polen die Debatte über das Schächten hoch. Human sei allein das katholische Schlachten, war die Ausgangsthese. In einer Umfrage der linksliberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza sprachen sich knapp 80 Prozent aller Teilnehmer für ein Verbot der rituellen Schlachtung aus.

kampagne »Ich war selten so niedergeschlagen wie in den letzten Tagen«, bekennt Piotr Kadlcik, der Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes in Polen. »Diese hasserfüllte Atmosphäre nimmt einem schier die Luft zum Atmen.« Dass Polens Verfassungsgericht nun das Schächten verboten habe, führt Kadlcik auch auf die einflussreiche linksliberale Gazeta Wyborcza zurück. »Von dieser Zeitung hätte ich zuallerletzt eine Kampagne im Stil des Nazi-Hetzblattes ›Der Stürmer‹ erwartet«, klagt er.

Bislang erlaubte eine Verordnung des Landwirtschaftsministers von 2004 das Schächten von Rindern nach den Regeln des Judentums und des Islam. In Polens Tierschutzgesetz von 1997 ist allerdings festgelegt, dass Vieh vor dem Schlachten betäubt werden muss. Nach Beschwerden polnischer Tierschützer, die das Schächten für Quälerei halten, überwies Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet den Fall an das Verfassungsgericht des Landes.

Betäubung Tatsächlich, so Richter Zbigniew Cieslak, durfte der Landwirtschaftsminister in seiner Verordnung lediglich die verschiedenen Formen der Betäubung regeln, nicht jedoch Ausnahmen. Die Verordnung von 2004 sei daher verfassungswidrig, so Cieslak. Zugleich betonte er, dass mit diesem Urteil nicht das Schächten an sich für verfassungswidrig erklärt werde. Es sei vielmehr Aufgabe des Parlaments, nun eine Gesetzesnovelle zu verabschieden, die die von der Verfassung geschützte Religionsfreiheit und den Tierschutz miteinander in Einklang brächte. Die Verordnung werde daher erst am 31. Dezember ungültig. Wie ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums sagte, arbeite man an einer Neuregelung.

EU-REgelung Zwar tritt am 1. Januar 2013 eine EU-Regelung in Kraft, die das Schächten erlaubt, doch ist es jedem EU-Mitgliedsstaat vorbehalten, dieses Recht zu übernehmen oder eine eigene Regelung zu finden. Zurzeit ist Schweden das einzige EU-Mitglied, das das Schächten ausdrücklich verbietet.

»Ich weiß nicht, wie es nun weitergehen soll«, sagt Kadlcik. Die koscheren Gemeindeküchen könnten künftig zwar Fleisch aus dem Ausland importieren, aber: »Es geht ums Prinzip.« Das Urteil »Schächten ist grausam« sei schnell gefällt, sagt Kadlcik, doch Forschungen zeigten, »dass die eigentlichen Schmerzen und der Todesstress der Tiere bei der angeblich so humanen Betäubung vor der Massenschlachtung entstehen«. In Polen sind Bolzenschuss, Elektroschock, ein Schlag mit einem Holzprügel und CO2 erlaubt. In dem einen Fall röcheln sich die Tiere fast zu Tode, im anderen verlieren sie vor Schmerz das Bewusstsein.

Miriam Gonczarska, Religionslehrerin in der Jüdischen Gemeinde von Warschau, wundert sich, dass weder das Verfassungsgericht noch Tierschützer oder Journalisten die Juden in Polen zur Schechita befragt hätten. Vielmehr schienen alle ganz genau zu wissen, dass die »jüdische Tradition blutig und grausam« sei.

Export Betroffen von dem Urteil sind in Polen nicht nur die kleinen jüdischen und muslimischen Gemeinden, sondern etliche Schlachtbetriebe, die sich auf den Export von geschächtetem Fleisch spezialisiert haben: 17 von insgesamt 801 Rinderschlachthöfen und zwölf von 194 Geflügelschlachtereien.

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts triumphierte die Gazeta Wyborcza. Angesichts des »guten Geldes«, das die Schlachter in den vergangenen acht Jahren mit Koscher- und Halal-Schlachtungen verdient hätten, sei das »Gerede« vom Recht religiöser Minderheiten auf freie Religionsausübung »blanker Unsinn«.

Entnervt von den Dauerattacken stellte Przemyslaw Wiszniewski von der jüdischen Gemeinde in Warschau das Bild eines mit einem Beil geschlachteten, bluttriefenden Schweins ins Internet: »Gewidmet den polnischen Tierschützern. So sieht das christlich-humane Schlachten in Polen aus.«

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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