Russland

Vorhang auf im Plattenbau

Immer wieder müssen die Darsteller des des Bühnenstücks »Wandersterne« an diesem Abend aus der Kulisse kommen. Die fast 200 Zuschauer sind begeistert von den Tänzen und Liedern des Musicals über das Liebespaar Rejsl und Lejbl. Erst nach dem fünften Vorhang verlassen sie gut gelaunt und zufrieden das Theater »Schalom« an der Warschawskoje-Chaussee im Süden Moskaus. Seit mehr als 20 Jahren schon begeistert die jüdische Bühne das Publikum in der russischen Hauptstadt mit selbst geschriebenen Stücken.

Feierabend für das Ensemble. Feierabend auch für den 78-jährigen Alexander Lewenbuk, der das jüdische Theater leitet. Die Wand hinter seinem Schreibtisch ist mit Fotos bedeckt. Sie erzählen die Geschichte der Bühne und unterstreichen zugleich deren Status – eines zeigt die berühmte Schauspielerin und Sängerin Alla Pugatschowa, die die Rede bei der Eröffnung des Theaters hielt, ein anderes den einflussreichen Duma-Abgeordneten und Schlagersänger Josif Kobson, der die Zusammenarbeit zwischen »Schalom« und dem vielfach ausgezeichneten Dramaturgen Arkadi Chajt einfädelte.

tradition »Wir knüpfen an die Tradition des jüdischen Theaters in Russland an, die bereits in den 20er- und 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts begann«, erzählt Lewenbuk und zieht an seiner Zigarette. In der jungen Sowjetunion begünstigte die Nationalitätenpolitik die Entwicklung eines lebendigen jüdischen Kulturlebens. Bald gab es 22 Theater, die die Stücke vorwiegend auf Jiddisch aufführten.

Doch bereits in den 40er-Jahren schlug die liberale Haltung der Sowjetführung in Repression um. 1948 ließ Stalin Solomon Michoels ermorden, den damals bekanntesten jüdischen Regisseur. Bis zum Ende des darauffolgenden Jahres waren alle jüdischen Theater in der Sowjetunion geschlossen. Der staatliche Antisemitismus verschwand erst Ende der 80er-Jahre. Mit der Perestroika-Politik wurde auch die Gründung des Theaters »Schalom« im Jahr 1988 wieder möglich.

repertoire »Auch wenn wir in der Tradition des jüdischen Theaters in Russland stehen, unser Repertoire unterscheidet sich deutlich von dem, das die jüdischen Theater der 20er- und 30er-Jahre aufführten«, sagt Lewenbuk. »Schalom« spielt keine alten Stücke. Die Theaterleitung lässt alle Werke entweder von Dramaturgen ausarbeiten oder aber schreibt sie selbst nach Vorlagen jüdischer Literatur. »Wir haben uns für diesen Weg entschieden, weil wir das Theater als Ort kreativen Schaffens verstehen, an dem Neues entsteht«, erklärt Lewenbuk.

Das Ergebnis ist ein abwechslungsreicher Spielplan. Dazu gehören ebenso die Musik-Komödie »Meine koschere Lady« über die »Umerziehung« einer russischen Bierverkäuferin zur jüdischen Braut wie das Drama »Karussell oder die niederträchtige Sonja« über Repression in und Emigration aus der UdSSR.

In der Maske ist Gennadi Abramow mittlerweile mit dem Abschminken fertig. In »Wandersterne« hat er an diesem Abend Benja gespielt, den Vater des Helden Lejbl. Abramow ist einer der ältesten Darsteller des Ensembles. Er ist stolz darauf, noch gemeinsam mit Schauspielern aus der Truppe um Solomon Michoels auf den Bühnenbrettern gestanden zu haben.

»Natürlich haben sich die Zeiten geändert«, sagt Abramow. »Alle Stücke führen wir in russischer Sprache auf. Jiddisch, die ursprüngliche Sprache des jüdischen Theaters, verstehen heute selbst die Juden nicht mehr.«

atmosphäre Lediglich einzelne, leicht verständliche Worte und Sätze werden auf Jiddisch gesprochen. Das schafft die Atmosphäre, in die die Zuschauer eintauchen sollen. Auch die Lieder und Tänze in den Stücken sind keine Originalvolkslieder und -tänze, wie sie einst im osteuropäischen Schtetl vorgetragen wurden.

»Die Sprache, die stilisierten Lieder und Tänze sind Zugeständnisse, die wir heute machen. Das ist auch gut, denn nur so sind die Stücke für das breite, nichtjüdische Publikum interessant und verständlich«, findet Abramow.

Seit der Perestroika-Zeit sind sogar Auslandstourneen selbstverständlich. »Schalom« tourte unter anderem durch England, Israel, die USA und Australien. Auch in Berlin, Hamburg und Stuttgart ist die Moskauer Truppe bereits aufgetreten.

USA

Angriff auf Cousin einer ermordeten Geisel

Ariel Yaakov Marciano wurde in Santa Monica angegriffen und geschlagen, weil er Hebräisch sprach

 17.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025