Schwere Vorwürfe gegen die spanische Fluggesellschaft Vueling und die Polizei Guardia Civil: 44 überwiegend jüdische Jugendliche aus Frankreich und ihre sieben erwachsenen Begleiter sind am Mittwoch am Flughafen Valencia vom Kapitän der Maschine von ihrem Flug nach Paris ausgeschlossen worden. Sie waren auf der Rückreise von einem Ferienlager an der Costa Dorada, das die französische Reiseorganisation »Club Kineret« organisiert hatte.
Mitgliedern der Reisegruppe zufolge habe die Besatzung des Flugzeugs die Polizei herbeigerufen, weil angeblich einer oder mehrere Jugendliche vor dem Abflug ein Lied auf Hebräisch angestimmt hatten.
Die Fluggesellschaft teilte am Donnerstag hingegen mit, einige Mitglieder der Reisegruppe hätten die Sicherheitsunterweisung gestört, das Notfall-Equipment an Bord manipuliert und gegenüber dem Kabinenpersonal »eine sehr konfrontative Haltung« eingenommen. Man habe daher keine andere Wahl gehabt, als die Polizei zu rufen. Auch im Terminalgebäude sei es zu aggressivem Verhalten gekommen.
Auf einem Video ist zu sehen, wie die 21-jährige Leiterin der Gruppe von Polizisten im Terminal zu Boden geworfen wird und ihr Handschellen angelegt werden. Zuvor soll sie sich laut Angehörigen der Reisegruppe dem Ansinnen widersetzt haben, dass die Jugendlichen ihre Handys abgeben und etwaige Aufnahmen des Vorfalls löschen müssten.
Crew-Mitglieder sollen wegen des Lieds mit der Polizei gedroht haben
Einige Teilnehmer des Feriencamps mussten eine weitere Nacht in Valencia verbringen, sagte Karine Lamy, die Mutter eines der Jugendlichen, im TV-Sender »i24 News«. Sie schilderte die Vorkommnisse so: »Sie steigen ins Flugzeug. Sie setzen sich, und einer der Jungen beginnt, ein Lied auf Hebräisch zu singen. Aber einfach so, er fängt einfach so an zu singen.«
Einige der zwischen 13 und 15 Jahre alten Jugendlichen erzählten laut der spanischen Nachrichtenseite »Enfoque Judío« ihren Eltern, dass Mitglieder der Besatzung sie mit »Terroristen« verglichen und Israel als »Mörderstaat« bezeichnet hätten. Dies konnte zunächst nicht verifiziert werden. Laut Besatzung, die den Polizeieinsatz auslöste, hatten die Jugendlichen wiederholte Aufforderungen, sich vor dem Start ruhig zu verhalten, missachtet, was zu einer angespannten Situation an Bord geführt habe.
Laut Karine Lamy sei das Kabinenpersonal auf die Gruppenleiterin zugekommen und habe ihr mitgeteilt: »Wenn sie weiter singen oder Lärm machen, rufen wir die Polizei.« Ohne dass es zu einem weiteren Vorfall gekommen wäre, seien nach ein paar Minuten die Ordnungskräfte in der Kabine erschienen und hätten die Gruppe aufgefordert, das Flugzeug zu verlassen.
Zudem seien alle aufgefordert worden, ihre Mobiltelefone herauszunehmen und auf den Boden zu legen, damit Videos, die sie möglicherweise aufgenommen hatten, gelöscht werden könnten. Die Gruppenleiterin habe das verweigert. Daraufhin hätten die Guardia-Civil-Beamten gerufen »Wenn wir die Telefone nicht bekommen, verhaften wir Sie« und die junge Frau anschließend zu Boden geworfen und ihr Handschellen angelegt.
Die Mutter eines anderen Kindes, die anonym bleiben wollte, sagte der französischen Zeitung »Le Parisien«, dass die Jugendlichen zwei Stunden lang in einen Raum gesperrt worden seien. »Sie mussten ihr Gepäck holen und wurden dann aus dem Flughafen geworfen.« Nach den Gesprächen mit ihrem Sohn sei jedoch im Flugzeug nichts Ungewöhnliches vorgefallen. »Anscheinend hat ein Kind einmal auf Hebräisch geschrien, und dann ging es los.«
Ähnlich äußerte sich auch einer der Teilnehmer des Feriencamps selbst. Bei der Ankunft am Donnerstag in Paris sagte er dem Sender »CNEWS«: »Wir waren insgesamt 50 Personen aus dem Ferienlager. Und einer meiner Freunde sagte ein Wort auf Hebräisch. Da kam das Bordpersonal zu ihm und sagte ihm, wenn er das noch einmal mache, weil er laut gesprochen habe - und er war ein wenig laut - werde man die Polizei rufen, um uns aus dem Flugzeug zu holen. Von diesem Moment an haben wir uns still verhalten und keinen Mucks mehr gemacht.«
Dennoch sei fünf Minuten später die Guardia Civil ins Flugzeug gekommen, so der Junge. »Sie gingen direkt zur Leiterin, um mit ihr zu sprechen. Eine der ersten Fragen, die sie stellten, betraf die Staatsangehörigkeit der Teilnehmer. Die Leiterin bestätigte, dass die Teilnehmer Franzosen waren und nach Frankreich zurückkehren wollten. Da sagte uns ein Mitglied der Guardia Civil, dass sie informiert worden seien, dass einige Teilnehmer israelische Nationalisten seien. Und kurze Zeit später, obwohl wir uns ruhig verhielten und ganz still waren, forderten sie uns auf, das Flugzeug zu verlassen.«
Auch ein Passagier, der nicht zur Reisegruppe gehörte, bestätigte laut »Le Parisien« diese Version des Vorfalls. Er sei zusammen mit seiner dreijährigen Tochter in dem Flugzeug gewesen und mit Mitgliedern der jüdischen Reisegruppe an Bord gegangen. »Ich habe weder Geräusche noch Schreie gehört. Während der Sicherheitshinweise sagte Vueling, dass sie aus Sicherheitsgründen die Polizei rufen würden. Niemand hat wirklich verstanden, was los war”, sagte der Mann »Le Parisien«. Er sei »etwa zehn Reihen” vor der Gruppe gesessen und sich sicher, dass alle Mitglieder ruhig geblieben seien. »Ich habe erwartet, jemanden betrunken stehen zu sehen, aber nein. Nichts”, sagte er ironisch.
Vueling: Reisegruppe wurde mehrfach auf unangemessenes Verhalten hingewiesen
Vueling erklärte hingegen in seiner Stellungnahme, das Bordpersonal habe »mehrfach« auf das seiner Ansicht nach unangemessene Verhalten hingewiesen, sodass die festgelegten Sicherheitsprotokolle sofort aktiviert werden mussten. »Die Besatzung handelte absolut professionell und gemäß den Vorschriften von Vueling und forderte die Guardia Civil an, die nach Einschätzung der Lage die Gruppe aus dem Flugzeug entfernte, um die Sicherheit der übrigen Passagiere zu gewährleisten«, so die Fluglinie in ihrem Statement.
Club Kineret: Rauswurf war ein »rein antisemitischer Akt«
Dass die Kinder aus dem Flugzeug geworfen worden seien und anschließend ihr Gepäck abholen mussten, bevor sie aus dem Flughafengebäude geleitet wurden, nannte Club Kineret einen »rein antisemitischen Akt«. Sie kündigte an, gegen die Fluggesellschaft Beschwerde einzureichen. Die von Vueling aufgestellten Behauptungen wies Club Kineret zurück.
In einer noch am Donnerstag durch eine Pariser Rechtsanwaltskanzlei verschickten Stellungnahme heißt es: »Diese Kinder, die von sieben Erwachsenen begleitet wurden, ... saßen auf ihren Plätzen, verhielten sich respektvoll und hielten sich an die Vorschriften ... Es gab keinen Zwischenfall, keine Drohung, kein unangemessenes Verhalten.«

Auch Israels Diasporaminister Amichai Chikli sieht in dem Vorfall antisemitische Motive. »Wir erleben in letzter Zeit zahlreiche schwere antisemitische Vorfälle; dies ist einer der schwerwiegendsten«, schrieb er auf X.
Auch die französische Parlamentarierin Caroline Yadan verlangte Konsequenzen: »Sollten sich die in diesem Artikel geschilderten Tatsachen bestätigen, muss sich die spanische Fluggesellschaft Vueling vor Gericht verantworten. Das wäre ein schwerwiegender Vorfall.«
Der französische Philosoph und Publizist Bernard-Henri Lévy schrieb auf X: »Das ist das Ergebnis des Hasses derjenigen, die Israel in einen Völkermordstaat und die Juden zu dessen Komplizen machen, und das geschieht überall, immer häufiger und mit erschreckender Regelmäßigkeit.«
Jüdischer Gemeindebund fordert Aufklärung von Vueling
Spaniens Dachverband jüdischer Gemeinden (FCJE) verlangte in einer Pressemitteilung von der Fluggesellschaft, den Vorfall anhand von Beweisen transparent zu dokumentieren und eine interne Untersuchung einzuleiten. »Wir fordern daher Vueling auf, detaillierte Erklärungen mit dokumentarischen Belegen zu den Ereignissen an Bord vorzulegen, wobei wir besonders daran interessiert sind, zu klären, ob möglicherweise religiös motivierte Diskriminierung gegenüber Minderjährigen vorlag.«
Sprechchöre und Jubelbekundungen in Flugzeugen kämen schließlich öfters vor, so die FCJE, und Fluggesellschaften seien verpflichtet, die Würde und Achtung aller ihrer Passagiere zu gewährleisten. Das Vorgehen der Beamten der Guardia Civil, die auf Ersuchen des Flugkapitäns eingriffen, stellte der Gemeindebund hingegen nicht infrage.