Die Welt nach der Wahl

»Trump spricht ähnlich wie Putin«

»Dieses Jahr beten wir alle für die Ukraine« steht auf diesem Plakat im ukrainischen Uman, wohin auch zu diesem jüdischen Neujahr Tausende pilgerten. Foto: copyright (c) Flash90 2024

Neulich erzählte ein jüdischer Freund, dessen Eltern aus der Ukraine stammen, er sei einmal aus Neugier zu Rosh Hashanah nach Uman gereist – die kleine ukrainische Stadt, in die zum jüdischen Neujahr zehntausende Chassiden pilgern. Zwischen dampfenden Suppenständen, klapprigen Feldbetten und tanzenden Streimeln, entdeckte er ein riesiges Plakat: »Uman loves Trump« stand dort. Daneben wehten eine ukrainische und eine US-amerikanische Fahne.

Das war vier Jahre vor dem Angriff Russlands. Heute feiert in Uman wohl keiner mehr so ausgelassen den ehemaligen und neuen US-Präsidenten. Denn Donald Trumps Sieg birgt mitten im Krieg dramatische Unsicherheiten für die Ukrainer – mitsamt ihrer rund 40.000 jüdischen Bürger.

2018 hing noch ein »Uman loves Trump«-Poster auf den StraßenFoto: privat

»Trump ist – immerhin da sind sich beinah alle einig – unberechenbar«, sagt der jüdische Journalist Andreas Tölke, der mit seinem Verein »Be an Angel« regelmäßig Evakuierungen aus der Ukraine nach Deutschland organisiert. Auch Kristina, die selbst aus der jüdischen Gemeinde Kyivs nach Berlin geflohen ist, sieht das so: »Als ich heute Morgen die Nachrichten gecheckt habe, schoss mir nur ein Wort in den Kopf: unpredictable«.

Eins dieser unberechenbaren Szenarien ist der von Trump bereits im Juli angekündigte »Frieden in 24 Stunden«. Trump stellt sich einen Deal zwischen den Staatschefs Selenskyj und Putin vor, den er praktisch per Telefonanruf erzwingen könnte. Bereits vor seiner offiziellen Amtseinführung im Januar könne er das an nur einem Tag klären, prahlte Trump in einem Interview auf Fox-News.

»Trump will den Konflikt einfrieren«

»Trump will keinen Frieden, sondern den Konflikt einfrieren«, stellt Eugene nüchtern fest. Seine jüdischen Eltern stammen aus der Ukraine, er fühle sich mit dem Schicksal des Landes »sehr stark verbunden«, sagt er. So wie viele andere Juden in Deutschland: 45 Prozent der Gemeindemitglieder haben ukrainische Wurzeln. Nicht wenige stammen aus den östlichen Gebieten, die Russland besetzt hält – und die in einem von Trump verhandelten Deal wohl ganz offiziell an Moskau abgetreten werden müssten. Für die jüdischen Ukrainer, die weiter dort ausharren – oft alte und arme Menschen – rückt damit ein Wiedersehen mit ihren Angehörigen, die nach Kyiv, Berlin oder Tel Aviv geflohen sind, in unerreichbare Ferne.

Auch Andreas Tölke, der von Odessa aus über 24.000 Flüchtlinge evakuiert hat, fürchtet einen »Diktatfrieden mit einer geteilten Ukraine, jahrelangen Unruhen inklusive Unterdrückung.« Und fügt hinzu: »Geteilte Länder – Deutsche wissen – sind keine Option für Frieden.«

Die Freiheit der Ukrainer interessiert Trump herzlich wenig

Die Werte, für die die Ukraine seit drei Jahren erbittert kämpft: Demokratie, Freiheit, Schutz der Minderheiten – all das droht Donald Trump bereits im eigenen Land zu zerstören. »Kamala Harris thematisierte im Wahlkampf die Souveränität der Ukraine. Trump spricht, ähnlich wie Putin, nur über Macht. Ich bezweifle, dass ihm viel an der Integrität der Ukraine gelegen ist«, sagt Eugene. In der Ukrainepolitik muss Trump vor allem den eigenen Wählern belegen, was er im Wahlkampf versprochen hat: Weniger Millionen nach Kyiv zu überweisen. Welche Konsequenzen das für die Menschen vor Ort hat, scheint ihm egal.

Die meisten Ukrainer, mit denen ich am Tag nach Trumps Sieg spreche, klammern sich daran, dass man bei Trump eben nie wisse, wie es dann wirklich kommt – einer hofft gar, der impulsive Präsident könne sich mit Putin genauso schnell in die Haare kriegen, wie er sich einst mit ihm anfreundete – und sich dann überzeugt hinter die Ukraine stellen. Ein eingeschnappter Trump würde vielleicht mehr Munition liefern als der zögerlich-solidarische Biden, so die Überlegung.

Andere sind pessimistischer. »Ich bin ich einfach nur müde von immer neuen schlechten Nachrichten«, sagt Lina, die 2022 nach Deutschland geflohen ist, zurzeit jedoch ihre Familie in der Ukraine besucht. »Ich habe Angst, dass wir keine Zukunft hier haben. Dass wir keine Unterstützung mehr bekommen.« Die Ukrainer haben Trump nicht gewählt – aber sie müssen sich um seine Präsidentschaft schon jetzt große Sorgen machen.

Kommentar

Der »Tages-Anzeiger« und das Geraune von der Lobby

Die Zeitung unterstellt, erst eine Intervention des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes habe zur Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese durch die Uni Bern geführt. Dabei war die Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025