Griechenland

»Tickets in den Tod«

Erinnert an die Deportation der Juden – das Holocaust-Mahnmal Foto: imago

Auf der Platia Elefterias, dem Freiheitsplatz im Zentrum Thessalonikis, geht es in diesen sonnigen Herbsttagen so turbulent zu wie eh und je: Der Verkehr ist hektisch, das Hupen von Autos schallt durch die Gassen, und die Menschen sprechen sehr laut, weil man vor dieser Geräuschkulisse oft sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Nur der dumpfe Klang eines Schiffshorns im nahe gelegenen Hafen kann dieses Wirrwarr aufbrechen.

Die meisten Juden von Thessaloniki haben eine enge Verbindung zur Platia Elefterias. Mehrmals im Jahr treffen sie sich auf diesem Platz, um zu gedenken. Häufig sieht man auch Touristen aus Israel am Rande des Platzes stehen, entweder direkt am Schoa-Mahnmal oder genau gegenüber, wo die heutigen Stadtväter historische Aufklärungsarbeit betreiben. Säulen mit Texten und Bildern informieren über die Ereignisse von 1943.

Der Freiheitsplatz gehört zu den bedeutendsten Orten der griechischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Hier mussten sich im Sommer 1943 die Juden der Stadt sammeln. Von hier aus wurden sie in die deutschen Konzentrationslager deportiert, wo die meisten von ihnen ermordet wurden. Von den rund 50.000 Juden Thessalonikis kehrten nach der Schoa nur knapp 1000 zurück.

Selbstbewusstsein Viele Jahre haben die Juden von Thessaloniki gebraucht, um über die Schoa sprechen zu können und mit ihren Erinnerungen weiterzuleben. Inzwischen haben sie an Selbstbewusstsein gewonnen und empfinden sich wieder als Teil der Stadtgesellschaft.

»Wir wollen jetzt die verlorene Zeit aufholen«, sagt Daniel Saltiel, der Präsident der jüdischen Gemeinde Thessalonikis, der wohl größten und wirtschaftlich stärksten Gemeinde des Landes. Diese Rolle nehmen die Thessaloniker Juden sehr ernst, vor allem in den vergangenen Jahren der wirtschaftlichen Not. Ohne die finanzielle Unterstützung aus Thessaloniki hätte auch in anderen Städten so manches Gemeindemitglied kaum eine Chance gehabt, in Würde weiterzuleben. Wer auch immer in der Vergangenheit an die Türen der Gemeinde klopfte, dem wurde geholfen. Und das, obwohl die Finanzen der Gemeinde knapper geworden sind.

Vor einigen Wochen wandte sich die Gemeinde in einem Brief an die Deutsche Bahn. Die soll ihr eine Entschädigung von 89 Millionen Euro zahlen. 2,3 Millionen Reichsmark forderten die deutschen Besatzer von Thessalonikis Juden für die Bahnfahrt in die Vernichtungslager. Mit Zinsen sind dies heute etwa 89 Millionen Euro. »Das Ticket in den Tod mussten meine Vorfahren aus der eigenen Tasche bezahlen – jetzt wollen wir das Geld zurück«, erklärt Saltiel und wirkt sehr entschlossen. Die Deutsche Bahn habe die Forderung zurückgewiesen, sagt Saltiel. Er werde sich bald mit den Mitgliedern seiner Gemeinde zusammensetzen, um darüber zu diskutieren, wie man nun weiter verfahren werde.

»Beförderungsentgelt« Thessalonikis Juden stehen mit ihrer Forderung nicht allein. Seit Jahren fordert die deutsche Initiative »Zug der Erinnerung« eine Rückerstattung des »Beförderungsentgelts« nach Auschwitz und Treblinka.

Dafür, dass man das Geld für die Fahrscheine zurückfordert, spricht sich auch Rena Molho aus. Sie ist Mitglied der jüdischen Gemeinde in Thessaloniki und Dozentin für jüdische Geschichte. Als Historikerin weiß sie, dass »nicht nur die Deutschen Schlimmes angerichtet« haben. Zwar »konnte niemand so perfekt und so einzigartig vernichten wie sie«, aber »wenn wir schon dabei sind, über historische Verantwortung zu sprechen, dann sollte man einmal im griechischen Wirtschaftsministerium anfragen, wie man in jenen Tagen mit den Deutschen kollaboriert hat«, empfiehlt Molho. Und man sollte bei der griechischen Bahn anfragen, fügt sie hinzu. »Ohne die Hilfe der Griechen wären die Verbrechen der Nazis und der deutschen Wehrmacht nicht so groß gewesen.«

Die jüdische Gemeinde Thessaloniki wandte sich bereits vor einigen Jahren mit einer Entschädigungsforderung an Deutschland. Dabei ging es um Lösegeld, das ihr abgepresst wurde. Der Wehrmachtsbefehlshaber von Saloniki, Max Merten, hatte Anfang der 40er-Jahre rund 10.000 Juden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Kurz darauf bot er der Gemeinde an, die Menschen für viele Millionen Dollar freizukaufen. Man sammelte, zahlte, und die Menschen kamen frei – doch wurden sie wenig später nach Auschwitz deportiert.

lösegeld Weil Deutschland ablehnte, das Lösegeld zurückzuzahlen, zog die jüdische Gemeinde Thessaloniki im Februar 2014 vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch die Straßburger Richter wiesen die Klage ab.

»Kein Geldbetrag kann wiedergutmachen, was wir erlebt haben«, sagt Monis Halegoua. »Niemand könnte mich jemals genügend dafür entschädigen, dass ich meine gesamte Familie verloren habe.« Der 57-jährige Halegoua stammt aus Thessaloniki und lebt heute in Athen. Sein Vater war der Einzige aus der Familie, der aus Auschwitz zurückkam. »Wir müssen daran arbeiten, dass so etwas nie wieder passiert – das ist für mich das Allerwichtigste« sagt er. »Aber die Wahrheit ist auch, dass die Juden in Thessaloniki das Geld gut gebrauchen könnten, um die Krise zu bewältigen und die Zukunft dieser historischen Gemeinde zu sichern.«

Allerdings komme die Forderung an die Deutsche Bahn ein wenig spät, glaubt Monis Halegoua, während er mit Freunden an der Platia Elefterias steht. »Doch besser spät als gar nicht«, sagt er.

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025