Norwegen

Teures Alter

Endlich im Heim. Ienny Tangen (l.), hier im Gespräch mit ihrer Tochter Rita Foto: Knut Snare

Dass Jenny Tangen die Schoa überlebt hat, verdankt sie einem Lippenstift und einem Zugschaffner. Mit dem Lippenstift hatte sie 1942 das »J« in ihrem norwegischen Pass übertüncht; ein Schaffner sah darüber hinweg und ließ die damals 25-Jährige unbehelligt die Grenze ins neutrale Schweden passieren. Weniger als 30 norwegische Juden überlebten als Gefangene die Konzentrationslager, aus dem schwedischen Exil kehrten knapp 900 nach dem Krieg in ihre Heimatstadt Oslo zurück. Jenny Tangen ist eine von ihnen.

Dass ausgerechnet Schoa-Überlebende wie Jenny Tangen seit Jahren um einen Platz in Norwegens einzigem jüdischen Altersheim kämpfen müssen, ist für die heute 91-Jährige und ihre Familie ein Skandal. Drei Jahre lang stand die alte Dame auf der Warteliste der Osloer Stadtverwaltung. Erhöhter Pflegebedarf werde mit mehr Hauskrankenpflege kompensiert, so die Antwort der Behörden. Dabei ging es vor allem darum, Kosten zu sparen. Denn für die einzelnen Osloer Bezirke ist es oft billiger, den Antragstellern acht Pflegedienste pro Tag ins Haus zu schicken, als Bewohner anderer Bezirke in ihre Betreuungseinrichtungen aufzunehmen. Und das, obwohl im jüdischen Altersheim genügend Plätze frei sind. Die Jüdische Gemeinde Oslo kämpft seit Jahren für das Recht ihrer rund 1.200 Mitglieder, auch im Alter jüdisch zu leben.

Bente Larsgaard winkt müde ab. Die 58-jährige Chefin des jüdischen Altersheims Oslo hat längst aufgehört, die Sitzungen mit der kommunalen Gesundheitsverwaltung zu zählen. »Viele Ältere können einfach nicht mehr allein wohnen. Was nützt da der beste Pflegedienst«, schimpft sie. Larsgaard ist froh, dass Jenny Tangen nach drei Absagen und mehreren Klagen Ende 2009 endlich ein Appartement in dem weißen Altbau im Bergstien 12 beziehen durfte. Seitdem blüht die alte Dame zusehends auf.

»Hier teilen die Bewohner gemeinsame Erfahrungen und eine gemeinsame Geschichte. Koschere Mahlzeiten, die Feiertage und die Synagoge direkt nebenan – viele Ältere wollen ganz einfach jüdisch leben«, sagt die Altersheimchefin.

Bei den langen Wartezeiten beträgt das Durchschnittsalter beim Einzug ins Heim in der Regel rund 90 Jahre. »Ich kenne Leute, die gestorben sind, während sie auf einen Platz gewartet haben«, empört sich Larsgaard. Absurd sei dies, meint auch Sidsel Levin, die Chefin des Jüdischen Museums Oslo. »Nun sind wir schon so wenige, was sollen wir da einsam verstreut in unseren Wohnungen sitzen, wenn wir stattdessen zusammen Schabbat und Pessach feiern könnten?« Genau dafür sei das jüdische Altersheim schließlich gebaut worden, so die Museumschefin.

Auch Levins hochbetagte Tante steht auf der kommunalen Warteliste und hofft auf einen Platz im Heim. »Es ist ihr unangenehm, immer wieder das Schoa-Argument anzubringen, um sich endlich Gehör zu verschaffen«, erzählt Levin. Doch je mehr Zeit vergeht, umso ängstlicher werde die Tante.

Ohnehin ist die Zahl der Antragsteller inzwischen deutlich zurückgegangen. Altersheimchefin Larsgaard führt dies auf den »doppelten Angstfaktor« zurück. »Viele haben Angst, entweder durch ein Pogrom oder während des jahrelangen Wartens zu sterben.« Denn die Schüsse auf die Osloer Synagoge im September 2006 sind vielen norwegischen Juden noch in frischer Erinnerung. Damals hatten vier Unbekannte das Bethaus mit einer Maschinengewehrsalve attackiert. Verletzt wurde zwar niemand; doch die Angst vor antisemitischen Ausschreitungen sitzt tief.

Jenny Tangens langes Warten – und das vieler anderer Überlebender – auf einen Platz im jüdischen Altersheim sind für Larsgaard ein trauriges Beispiel für verfehlte Sozialpolitik. Besonders seit den Parlamentswahlen im vergangenen September, bei denen die rot-rot-grüne Regierung im Amt bestätigt wurde, rückt Altersbetreuung wieder zunehmend ins Zentrum politischer Debatten. Norwegen gilt als das Land mit dem weltweit höchsten Sozialstandard. Dass alte Menschen im reichsten Land der Welt jahrelang um einen Heimplatz kämpfen müssen, findet Larsgaard unwürdig. »Schließlich hat bei uns doch auch jedes Kind Anspruch auf einen Betreuungsplatz.«

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  17.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  17.11.2025

Mexiko

Antisemitisches Graffiti gegen Claudia Sheinbaum sorgt für Empörung

Die Worte »puta judía« wurden auf Gebäude des Obersten Gerichtshofs geschmiert. Die jüdische Gemeinschaft des lateinamerikanischen Landes verurteilt den sich immer wieder äußernden Judenhass

 17.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

"Stiller & Meara"

Abschied von den Eltern

Leinwandstar Ben Stiller hat eine erstaunlich persönliche Doku über seine berühmte Familie gedreht

von Patrick Heidmann  16.11.2025

Jerusalem

Nach Streit: Zionistischer Weltkongress einigt sich

Zwei Wochen lang zogen sich die Verhandlungen in dem globalen jüdischen Gremium hin. Nun gibt es ein Abkommen, das der Mitte-links-Block als Sieg für sich wertet

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Kiew

Bargeldberge, Geschäfte und Liebschaften auf Russisch 

Eingeschweißtes Bargeld aus US-Notenbanken, Liebe unter Ministern, heimlicher Hauskauf im Ausland und alles in der falschen Sprache. Die Korruption in der Ukraine bietet Stoff für einen Thriller

von Andreas Stein  14.11.2025

Award

Sarah Jessica Parker erhält Golden-Globe-Ehrenpreis

Die Schauspielerin soll für besondere Verdienste um das Fernsehen ausgezeichnet werden

 14.11.2025

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  13.11.2025