Peru

Synagogen in San Isidro

Die Calle Manzanos ist hoffnungslos verstopft. Energisch versucht ein Polizist auf einem Motorrad, die Autoschlange an sich vorbeizuwinken – ohne Erfolg. Er steigt von seiner geländegängigen Maschine, greift zur Trillerpfeife und dirigiert ein paar Schulbusse und einige Privatautos an sich vorbei. Doch die nachrückenden Wagen lassen sein Bemühen sinnlos erscheinen, denn es sind zahlreiche Eltern, die ihre Kinder von der Schule abholen, und ein rundes Dutzend Kleinbusse, die das mit Betonsperren gesicherte Gebäude ansteuern. Aufmerksam beobachten vier muskulöse Männer das Gewimmel auf der Straße vor der Schule.

»Sicherheit wird an unserer Schule groß geschrieben, aber das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme«, erklärt Damian Guerda. Der Anfang-40-Jährige unterrichtet am Colegio León Pinelo, der einzigen jüdischen Schule in Peru. Die genießt einen exzellenten Ruf: Neben dem Nachwuchs aus der kleinen jüdischen Gemeinde werden hier auch Kinder aus nichtjüdischen Familien unterrichtet. Rund 800 Plätze bietet der moderne, teilweise von einem Zeltdach überspannte Schulkomplex in San Isidro, einem Viertel im Zentrum der Hauptstadt Lima. Hier spielt sich das Gros des jüdischen Lebens ab, denn zwei der drei Synagogen befinden sich in relativer Nachbarschaft, und so haben sich viele Familien in dem Viertel angesiedelt.

Deutsche Synagoge »Nur wir machen da eine Ausnahme. Unsere Synagoge liegt im benachbarten Miraflores«, erklärt Guillermo Bronstein schmunzelnd. Der 62-Jährige ist Rabbiner der sogenannten deutschen Gemeinde in Lima. Rund 230 Familien gehören ihr heute an. Nach dem Jahr ihrer Gründung wird sie oftmals nur »1870« genannt. Heute sprächen allerdings nur noch die Wenigsten Deutsch, sagt Arnoldo Schwarzmann, dessen Großeltern einst aus der Ukraine eingewandert sind.

Schwarzmann ist Rentner und verbringt viel Zeit in der Bibliothek. Sie gehört genauso zum Gemeindezentrum wie die Synagoge, die Büros, der Saal und die kleine Galerie, die den Flur schmückt. Dort hängen an den Wänden die Porträts früherer Gemeinderabbiner und -vorsitzender. Unter ihnen sind viele Männer mit deutschen Namen wie der Pädagoge León Trachtenberg, der lange das Colegio León Pinelo leitete, oder der im ganzen Land bekannte Sportreporter Eddie Fleischman.

»Gesprochen wird in unserer Synagoge in aller Regel Spanisch und Hebräisch«, erklärt Bronstein. Er selbst kam 1984 aus dem argentinischen Mar de Plata nach Lima – und vieles spricht dafür, dass er bleibt. »In Argentinien sind viele Uhren stehen geblieben, doch in Peru geht es voran. Die Wirtschaft wächst, und die Lebensqualität steigt«, sagt er. Dies sei ein wesentlicher Grund, weshalb die Peruaner zwar auch heute ins Ausland gehen, um zu studieren und sich weiterzuqualifizieren, aber anders als früher kommen sie zurück, vor allem wegen der Wachstumsquoten, die seit einigen Jahren zwischen sechs und neun Prozent liegen.

Demografie Die jüdische Gemeinde ist in Politik und Wirtschaft des Landes gut vernetzt. Zwei Mitglieder, Salomón Lerner Ghitis und Pedro Pablo Kuczynski, waren in den vergangenen Jahren sogar Premierminister des Landes, wenn auch jeweils nur für kurze Zeit. Im Mediensektor arbeiten mit Baruch Ivcher oder Moises Wolfensohn ebenfalls bekannte Juden.

Außerhalb der Hauptstadt Lima leben nur wenige jüdische Familien. Nur in der Kautschukstadt Iquitos oder in Cusco gibt es noch ein paar. Guillermo Bronstein schätzt, dass in Peru insgesamt rund 3000 Juden leben. Die Zahl der Gemeindemitglieder hat in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig abgenommen. »Das liegt auch daran, dass junge jüdische Paare aus anderen Ländern kommen, um in Peru ihr Glück zu suchen. Anders als in anderen Ländern ist unsere Gemeinde daher nicht überaltert«, erklärt Bronstein.

Er ist sich sicher, dass das auch der guten Jugendarbeit zu verdanken ist. Gleich neben dem Colegio León Pinelo befindet sich der Club der Juventud Sionista, der zionistischen Jugend, und für die Freizeitaktivitäten gibt es den jüdischen Sport- und Kulturklub in La Molina im Südosten Limas. Dort trifft sich die gesamte Gemeinde, die in der jüdischen Dachorganisation Asociación Judía del Perú organisiert ist. Die betreibt das Colegio León Pinelo und den Klub. Getragen werden die Einrichtungen von den drei Synagogen gemeinsam. Die Unión Israelita, in der die Aschkenasim organisiert sind, stellt mit rund 500 Familien die größte Gruppe, die Sefarden sind mit rund 200 Familien die kleinste. Und zur ältesten jüdischen Gemeinde des Landes, der von 1870, die Bronstein vertritt, zählen 230 Familien.

Kolonialwaren Deutsche, aber auch russische Juden kamen in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts nach Peru, weil der Handel mit Kolonialwaren, darunter Kautschuk, attraktiv war. Viele von ihnen blieben. Davon zeugt der jüdische Friedhof, der 1868 nicht weit vom Hafen in Callao eingerichtet wurde. »Der Friedhof ist genauso wichtig für die Gemeinde wie die Synagogen, denn die Bestattungskultur in Peru ist mit der unseren nicht vereinbar«, erklärt Moisés Calpac. Er ist der Verwalter des Friedhofs mit seinen zum Teil prächtigen Gräbern.

Calpac lässt Gäste nur nach Anmeldung durch die parkähnliche Anlage streifen. Manche, wie Guillermo Bronstein, halten das für übertrieben. Aber so sei nun einmal das strikte Sicherheitskonzept, sagt der Rabbiner. »Zwar hat es in Peru nie ernsthafte Anfeindungen gegeben, aber nach den Anschlägen von Buenos Aires sind in den 90er-Jahren die Sicherheitsstandards auch in Peru erhöht worden.«

Von der Mehrheitsgesellschaft schotten sich die Juden in Peru aber deshalb keineswegs ab. Im Gegenteil: Die Gemeinde ist sehr bekannt für ihr soziales Engagement. »Beim Erdbeben 2007 haben wir drei Lastwagen mit Hilfsgütern losgeschickt, und unser Jugendklub hat sich beim Wiederaufbau engagiert«, sagt Bronstein. Er hat sich schnell einen Schal umgeworfen, um die Synagoge zu verlassen, denn beinahe hätte er seinen Termin im Colegio León Pinelo vergessen.

Der Vorfall ereignete sich vergangene Woche im AZ Zeno Campus-Krankenhaus in Knokke-Heist in Belgien.

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