Polen

Streit um eine Baracke

Eigentlich nur ausgeliehen: Häftlingsbaracke aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im Holocaust Memorial Museum in Washington Foto: HMM

Wem gehört die Häftlingsbaracke 30 aus dem ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau? Wo soll sie stehen? In einem Museum in den USA oder dort, wo sie im Zweiten Weltkrieg tatsächlich stand? Der Streit um die Holzbaracke begann bereits Ende 1999. Damals lief der Vertrag aus, den das Holocaust Memorial Museum in Washington mit der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau geschlossen hatte. Doch nun eskalierte der Streit. Denn das Museum erklärte offiziell, dass die Baracke bereits 1989 als wertvollstes und authentisches Ausstellungsstück fest in das Museumsgebäude eingemauert wurde und eine Rückgabe mit seiner Beschädigung enden könnte.

Vertragswidrig Nicht nur Piotr Cywinski, der Direktor der Gedenkstätte Auschwitz, ist konsterniert und entsetzt. Er werde die Zusammenarbeit mit jedem Museum aufkündigen, das eine Leihgabe vertragswidrig behalte, statt sie zurückzugeben. Scharf reagierte auch Wladyslaw Bartoszewski, Auschwitz-Überlebender und Regierungsbeauftragter für Beziehungen zu Deutschland und Israel: »Die Menschen wurden nicht in Washington ermordet«, empört er sich. »Der größte jüdische Friedhof ist nicht in Washington. Die Amerikaner haben kein Recht darauf, die Erinnerung an den Holocaust zu usurpieren.« Sollte die Museumsleitung in Washington ihre Haltung gegenüber Polen nicht ändern, würden die Gedenkstätten in Polen mit keinem jüdischen Museum außer mit Yad Vashem in Jerusalem mehr zusammenarbeiten.

Einem neuen Gesetz zufolge müssen Leihgaben alle fünf Jahre nach Polen zurückkehren. Polens Kulturminister Bogdan Zdrojewski fordert nun zwar ebenfalls die Rückgabe aller Leihgaben, räumt aber ein, dass sich eventuell eine andere Lösung für das Holocaust-Museum in Washington finden lasse. Offiziell begeht das Museum 2013 sein 20-jähriges Bestehen. Bis dahin solle die Baracke in Washington bleiben. Auch Staatspräsident Bronislaw Komorowski versucht zu vermitteln. Sicher sei das Recht auf polnischer Seite, gibt er zu bedenken, aber das Museum in Washington und die Gedenkstätte Auschwitz hätten doch im Grunde ein gemeinsames Interesse: Man wolle den heute Lebenden möglichst authentisch zeigen, was der Holocaust war.

Empörung Auch die jüdische Gemeinde in Polen ist gespalten. Während zunächst die Empörung über die Amerikaner überwog, die bereits 1989 nicht daran dachten, die Baracke je an Polen zurückzugeben, findet die Mehrheit inzwischen, dass sie trotz der amerikanischen Arroganz in Washington bleiben soll. Denn wenn dort statt der echten Baracke demnächst eventuell eine nachgebaute stünde, könnte dies den Holocaust-Leugnern in den USA Auftrieb geben.

Dass Polen inzwischen kaum noch etwas zum Ausstellen hat, wurde den Museumsleuten in Warschau schmerzlich bewusst, als sie mit der Suche nach Exponaten für das neue Geschichtsmuseum der Juden Polens begannen. 1989 waren Martin Smith, der Gründungsdirektor des amerikanischen Holocaust-Museums, und etliche seiner Mitarbeiter auf Einkaufstour durch Europa gezogen und hatten Tausende Exponate für das US-Museum gekauft und geliehen. In Polen, das 1989 als erster Ostblockstaat seine Unabhängigkeit zurückgewonnen hatte, freuten sich Politiker und Museumsdirektoren über das Interesse der Amerikaner. Großzügig gab man Häftlingskleidung, Schuhe, Koffer, Töpfe, Bilder, Briefe, Eisenbahnwaggons und Teile ehemaliger Ghettomauern weg.

Auch Yad Vashem in Jerusalem, die größte und wichtigste Holocaust-Gedenkstätte der Welt, erhielt aus Polen Tausende Exponate. Ebenso erging es jüdischen Museen in Europa, den USA und Kanada.

Instandhaltung Neben völlig neuen historischen Museen, die seit einigen Jahren in Polen gegründet werden, entstanden spezialisierte Werkstätten rund um die Gedenkstätten Auschwitz, Majdanek, Stutthof, Großrosen. Denn ohne permanente Instandhaltung und Konservierung würde in wenigen Jahren kaum noch etwas übrig sein von den ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagern.

Die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erwägt nun sogar, eine Obergrenze für Besucher festzulegen. Knapp 1,5 Millionen Menschen sehen sich jedes Jahr die beiden Lager an, gehen durch das Tor mit der Aufschrift »Arbeit mach frei« oder stehen an der Rampe in Birkenau, von der aus der Weg direkt in die Gaskammern führte oder zu den Baracken, die zumindest noch ein paar Tage oder Wochen Leben bedeuteten. Noch mehr Besucher kann die Gedenkstätte nicht mehr aufnehmen.

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  18.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  18.11.2025

Philosophie

Hannah Arendt und die Freiheit des Denkens

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Sie sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Die politische Theoretikerin starb vor 50 Jahren

von Jürgen Prause  18.11.2025

Mexiko

Antisemitisches Graffiti gegen Claudia Sheinbaum sorgt für Empörung

Die Worte »puta judía« wurden auf Gebäude des Obersten Gerichtshofs geschmiert. Die jüdische Gemeinschaft des lateinamerikanischen Landes verurteilt den sich immer wieder äußernden Judenhass

 17.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

"Stiller & Meara"

Abschied von den Eltern

Leinwandstar Ben Stiller hat eine erstaunlich persönliche Doku über seine berühmte Familie gedreht

von Patrick Heidmann  16.11.2025

Jerusalem

Nach Streit: Zionistischer Weltkongress einigt sich

Zwei Wochen lang zogen sich die Verhandlungen in dem globalen jüdischen Gremium hin. Nun gibt es ein Abkommen, das der Mitte-links-Block als Sieg für sich wertet

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Kiew

Bargeldberge, Geschäfte und Liebschaften auf Russisch 

Eingeschweißtes Bargeld aus US-Notenbanken, Liebe unter Ministern, heimlicher Hauskauf im Ausland und alles in der falschen Sprache. Die Korruption in der Ukraine bietet Stoff für einen Thriller

von Andreas Stein  14.11.2025

Award

Sarah Jessica Parker erhält Golden-Globe-Ehrenpreis

Die Schauspielerin soll für besondere Verdienste um das Fernsehen ausgezeichnet werden

 14.11.2025