Es ist so etwas wie das »O’zapft is« Spaniens: Um Punkt 12 Uhr wurde am vergangenen Sonntag in Pamplona das Volksfest zu Ehren des katholischen Heiligen Fermín eröffnet. Mehr als 10.000 Menschen in weißen oder vom Calimocho schon rot gefärbten Hemden und roten Halstüchern drängten sich ausgelassen zum »Chupinazo« auf dem kleinen Marktplatz der nordspanischen Stadt.
Pamplonas San-Fermín-Festivitäten sind spätestens seit Ernest Hemingways Buch »Fiesta« von 1926 weltweit bekannt. Sie sind auch berüchtigt, vor allem wegen der allmorgendlichen Stierrennen durch die Gassen der Altstadt. Der Auftakt des Volksfestes wird ebenso wie die Stierrennen und -kämpfe live im Fernsehen übertragen. Wer vom Balkon des Rathauses die Eröffnungsworte rufen darf, wird jedes Jahr von den Einwohnern Pamplonas neu bestimmt.
Da in ganz Spanien, aber insbesondere im vorwiegend baskischen Navarra, dessen Hauptstadt Pamplona ist, viele Linke und Nationalistische mit der Sache der Palästinenser sympathisieren, war es wenig verwunderlich, dass in diesem Jahr »Yala Nafarroa con Palestina« (Auf geht’s Navarra mit Palästina) diese Ehre zuteilwurde. Eigenen Angaben zufolge handelt es sich um einen Zusammenschluss von 225 Vereinigungen und mehr als 1700 Menschen »gegen Völkermord und Besatzung und für ein freies Palästina«.

Eigentlich darf beim Chupinazo nur der Satz: »Pamplonesinnen und Pamplonesen, es lebe San Fermín!»auf Spanisch und Baskisch gerufen werden. Doch Lidón Soriano Segarra, eine der drei Aktivisten von Yala Nafarroa, die auf dem Balkon stehen durften, hielt sich nicht daran. Mit fast hysterischer Stimme fügte sie noch zwei Parolen hinzu: »Stop Genocide! Free Palestine!«
Kritik an Politisierung
Mit dem Schlachtruf »Viva Palestina libre« (Es lebe das freie Palästina) zündeten die drei Aktivisten dann die Rakete, den Chupinazo. Die Feierlichkeiten waren nun offiziell eröffnet. An vielen Balkonen der Altstadt waren palästinensische Flaggen befestigt, einige mit der Aufschrift »Stop Genocide«. Die Menschenmasse auf dem Platz antwortete mit frenetischen »Viva«-Rufen und hielt ihre roten, zu Dreiecken geformten Halstücher in die Höhe.
Doch die Politisierung des San-Fermín-Festes war nicht nach jedermanns Geschmack. Israels Botschaft in Spanien sprach in einem Post auf der Plattform X von »Hass gegen Israel« und einer »Obsession gegen den jüdischen Staat«, die den Antisemitismus in Spanien nur noch weiter anheize. Auch einige spanische Kommentatoren sahen den diesjährigen Chupinazo kritisch.

Pamplonas Bürgermeister Joseba Asiron von der linksnationalistischen Partei EH Bildu, die der baskischen Terrororganisation ETA nahesteht, widersprach. Es gehe da um den Schutz der Menschenrechte, sagte er. Warum das ausgerechnet bei diesem Fest, bei dem jährlich Dutzende Menschen von Stieren schwer verletzt oder sogar getötet werden, der Fall sein soll, erklärte der Bürgermeister nicht. »Man hat San Fermín in eine Hommage an den Terrorismus verwandelt«, schrieb dagegen ein Kritiker auf X.
Seit dem 16. Jahrhunderts wird in Pamplona das San-Fermín-Fest gefeiert. Auch zahlreiche Konzerte und Prozessionen sowie andere Veranstaltungen finden in seinem Rahmen statt. Die Stierhatz ist aber der Höhepunkt: Einmal täglich, um acht Uhr morgens, werden acht Bullen und Ochsen von Corrales zur Arena getrieben, wo sie am abendlichen Stierkampf teilnehmen. Beim »Encierro« rennen mutige (und oft übermütige, weil alkoholisierte) Männer vor den Tieren her. Die Strecke ist zwar nur 875 Meter lang, doch wegen der engen Gassen gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten.
Nicht nur Tierschützer, auch Mediziner kritisieren das Event. Seit 1910 haben 16 Menschen beim San Fermín in Pamplona ihr Leben verloren, Hunderte weitere wurden durch die Stiere zum Teil schwer verletzt. Dass das Volksfest aber von politischen Kontroversen überschattet wird, ist hingegen selten.
Doch der Krieg in Gaza mobilisiert viele Spanier, und die linksgerichtete Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez gießt immer wieder rhetorisch Öl ins Feuer. Am Wochenende sagte Sánchez bei einem Treffen seiner Sozialistischen Partei: »Was Ministerpräsident (Benjamin) Netanjahu im Westjordanland und im Gazastreifen tut, verdient nur einen Namen: Das ist Völkermord.« (mit dpa)