Aufarbeitung

Späte Lektion

Das Mahnmal »Kaddisch« in Luxemburg Foto: Anina Valle Thiele

Jahrzehntelang dominierte in Luxemburg ein Narrativ, das das Großherzogtum allein in der Opferrolle sah: eine kleine, von den Deutschen überfallene und besetzte Nation. Erst sehr spät begann man mit der Aufarbeitung der Vergangenheit. So wurde das Thema Mitschuld, beispielsweise die systematische Erfassung von Juden durch Beamte des Staates, erst anlässlich der Veröffentlichung des sogenannten Artuso-Berichts im Jahr 2015 angesprochen.

Im selben Jahr besuchte Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel im heute polnischen Slonsk das einstige KZ Sonnenburg und prägte die Formel »Wir waren nicht alle Helden«. Und mehr als 70 Jahre sollte es dauern, bis im Juni 2018 ein nationales Denkmal eingeweiht wurde, das an die Ermordung der aus Luxemburg deportierten Juden erinnert: Das »Kaddisch«, ein Mahnmal des Bildhauers Shlomo Selinger, der selbst neun Konzentrationslager und zwei Todesmärsche überlebt hatte, steht heute an prominenter Stelle direkt vor der großen Kathedrale in der Hauptstadt.

»Der Aspekt der jüdischen Verfolgung wurde lange von der luxemburgischen Geschichtsforschung ignoriert«.

Insbesondere Bettel ist dieses Umdenken beim Thema Geschichtspolitik zu verdanken. Er hatte gegenüber der jüdischen Gemeinschaft Luxemburgs nicht nur eine offizielle Entschuldigung ausgesprochen, sondern auch ein Komitee ins Leben gerufen, in dem sich die drei Opfergruppen, in diesem Fall die Zwangsrekrutierten, Widerstandskämpfer und Juden, zusammenfanden.

Opfergruppen Genau das ist problematisch – schließlich werden Kontexte ausgeblendet, und es entsteht der Eindruck, als handele es sich bei allen drei Gruppen gleichermaßen irgendwie um »Heimatvertriebene«. Erst 2018 wurde eine Stiftung eingerichtet, die an die Opfer der Schoa erinnert. Offen bleibt aber weiterhin die Frage der Entschädigung. Die Mehrheit der Juden, die damals enteignet und aus Luxemburg vertrieben wurden, besaß entweder keine luxemburgische Staatsangehörigkeit oder war staatenlos, weshalb es nie Gelder für die Wiedergutmachung von erlittenem Unrecht gab.

»Der Aspekt der jüdischen Verfolgung wurde lange von der luxemburgischen Geschichtsforschung ignoriert«, bedauert der Publizist Laurent Moyse, der zugleich Mitglied der offiziellen Luxemburger Delegation in der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ist. »Erst vor Kurzem haben sich jüngere Historiker dieser Sache angenommen und versucht, ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen. Wir befinden uns aber noch immer am Anfang dieses Prozesses.«

Gelegenheit Nun übernimmt das Großherzogtum den Vorsitz Luxemburgs in der IHRA. Dieser fällt in eine Zeit vermehrter antisemitischer Vorfälle in Europa – selbst die Luxemburger Familienministerin Corinne Cahen wurde auf Facebook als »Judenpaak« beschimpft. Doch für das kleine Land könnte das auch eine gute Gelegenheit sein, als Zeichen gegen den Judenhass die Aufarbeitung der eigenen Geschichte voranzutreiben.

Erst jüngere Historiker haben sich dieser Sache angenommen und versucht, Licht ins Dunkel zu bringen.

Neben Ausstellungen wie State of Deception: The Power of Nazi Propaganda des Holocaust Memorial Museum in Washington, die in der Abtei Neumünster gezeigt wird, fallen zwei große Plenarsitzungen in den Zeitraum des luxemburgischen IHRA-Vorsitzes: eine im Juni in Mondorf und eine im Dezember in Luxemburg-Stadt.

Dabei steht auch die Neufassung der Deklaration von Stockholm zur Debatte, also genau jener Erklärung, die das Fundament der IHRA bildet und im Jahr 2000 von Göran Persson verabschiedet wurde. »Das werden die zwei großen Momente der Luxemburger Präsidentschaft sein«, glaubt Moyse.

Bedeutung Der Kurort Mondorf ist von historischer Bedeutung. Hier wurden unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges prominente NS-Größen im Hotel Palace verhört, und zwar noch vor den Nürnberger Prozessen. »Es ist ein historisches Ereignis, das viele Leute nicht kennen, weder im Ausland noch in Luxemburg«, so Moyse.

Ein kultureller Höhepunkt wird die Ausstrahlung des Films Ashcan des Produzenten Willy Perelsztejn sein. »Im internationalen Bereich geht die Präsidentschaft bis in den März 2020«, unterstreicht der Diplomat Georges Santer, der den Vorsitz leitet. Deutschland wird Luxemburg dann ablösen.

Vorher fallen jedoch noch zwei große Gedenktage in den Zeitraum des luxemburgischen IHRA-Vorsitzes: 75 Jahre Befreiung von Auschwitz-Birkenau und 20 Jahre Deklaration von Stockholm. Bereits bei der letzten Plenarsitzung wurde erörtert, welche Elemente in eine Neuauflage dieser Erklärung einfließen sollten.

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  17.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  17.11.2025

Mexiko

Antisemitisches Graffiti gegen Claudia Sheinbaum sorgt für Empörung

Die Worte »puta judía« wurden auf Gebäude des Obersten Gerichtshofs geschmiert. Die jüdische Gemeinschaft des lateinamerikanischen Landes verurteilt den sich immer wieder äußernden Judenhass

 17.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

"Stiller & Meara"

Abschied von den Eltern

Leinwandstar Ben Stiller hat eine erstaunlich persönliche Doku über seine berühmte Familie gedreht

von Patrick Heidmann  16.11.2025

Jerusalem

Nach Streit: Zionistischer Weltkongress einigt sich

Zwei Wochen lang zogen sich die Verhandlungen in dem globalen jüdischen Gremium hin. Nun gibt es ein Abkommen, das der Mitte-links-Block als Sieg für sich wertet

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Kiew

Bargeldberge, Geschäfte und Liebschaften auf Russisch 

Eingeschweißtes Bargeld aus US-Notenbanken, Liebe unter Ministern, heimlicher Hauskauf im Ausland und alles in der falschen Sprache. Die Korruption in der Ukraine bietet Stoff für einen Thriller

von Andreas Stein  14.11.2025

Award

Sarah Jessica Parker erhält Golden-Globe-Ehrenpreis

Die Schauspielerin soll für besondere Verdienste um das Fernsehen ausgezeichnet werden

 14.11.2025

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  13.11.2025