Grossbritannien

Smicha trifft MBA

Hat in Harvard seinen Abschluss gemacht und arbeitete lange bei renommierten Firmen: Marc Meyer Foto: Daniel Zylbersztajn

In einem kleinen Restaurant im Norden Londons sitzt ein braun gebrannter Mann mit kurzem Haar. Er trägt ein rosa Hemd und blickt durch eine leicht getönte Brille. Seine Kippa sieht man erst, wenn man genauer hinschaut. Er nimmt sich Süßstoff in seinen Kaffee und sagt auf Englisch mit starkem französischen Akzent: »Sie sollten die Croissants probieren. Es sind die besten koscheren in ganz London!«

Marc Meyer ist gebürtiger Pariser und lebt seit 21 Jahren in London. Er hat einen Harvard-Master of Business Administration in der Tasche, arbeitete lange bei renommierten Firmen wie PolyGram oder Baxter und hatte dann eine Position im französischen Konsulat in Detroit inne. »Ich habe all diese Posten verlassen«, sagt er lächelnd. Grund sei seine Rückkehr zum orthodoxen Judentum. Die Anforderungen eines religiösen Lebens machten einen Einsatz im herkömmlichen Businessleben schwer, sagt er. So ist Meyer schon seit Längerem selbstständiger Kapital- und Investmentberater. Da kann er sich die Zeit so einteilen, wie es der religiöse Alltag von ihm fordert.

Strategie Vielleicht hat es etwas mit seiner Religiosität zu tun, dass er dann gesteht, dass finanzielle Erträge ihn nicht ausreichend befriedigen. Über den ehrenamtlichen Einsatz für seine Synagoge, dessen Präsident er ist, kam die Gelegenheit, die neue Strategie der United Synagogues zu entwerfen, einer Organisation, zu der 63 orthodoxe Gemeinden in ganz Großbritannien gehören. »Die Strategie ist richtungsweisend für die nächsten 20 Jahre, ganz im Kontrast zu kurzfristigen Kapitalanlagen«, meint er nahezu philosophisch.

Als er die Arbeit für die Strategie abgeschlossen hatte, bekam Meyer schon sechs Monate später eine neue Aufgabe: Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) ernannte ihn zu ihrem Direktor für Öffentlichkeitsarbeit. Die Stelle wurde neu geschaffen, da sich die fehlende Mitarbeit einiger verstorbener Mitglieder immer stärker auswirkte.

Zur CER gehören mehr als 700 orthodoxe Rabbiner. Sie ist seit 1956 die Stimme des orthodoxen Judentums in Europa und vertritt dessen Rechte. Der derzeitige Präsident der Conference of European Rabbis ist der Moskauer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt.

Aufgabe Meyers Rolle in der Rabbinerkonferenz soll strategisch und Programm führend sein. Er soll Vorschläge machen und Ideen aus dem Vorstand weiterentwickeln. Dabei geht es auch um die bessere Koordinierung sowie um die Vermittlung bewährter Arbeitsmethoden für Gemeinden in ganz Europa: zum Beispiel, wie man der feindlichen Israel-Boykott-Bewegung BDS entgegentritt oder die gemeinsame Aufstellung eines Programms für Flüchtlinge aus dem arabischsprachigen Raum, um deren oft realitätsfremden Vorstellungen von Juden echte Begegnungen entgegenzustellen.

Obwohl die CER die Tradition sehr hoch hält, gibt es unter ihrer Obhut doch auch ganz Modernes. So verwaltet Meyer den mit 26.000 Euro dotierten CER-Internet-Entrepreneurpreis, bei dem es um Programme geht, die sich dem jüdischen Prinzip des Tikkun Olam, der Heilung der Welt, verschrieben haben.

Teilzeit Meyer weiß, dass er mit seiner neuen Teilzeitstellung ausgelastet sein wird. »Ich arbeite hier mit vielen Freiwilligen, für deren Mitarbeit ich immer dankbar sein muss, und von denen man trotz Training, nicht zu viel verlangen darf, genauso wenig wie von überarbeiteten Festangestellten«, sagt er.

Dass er die neue Aufgabe neben der Präsidentschaft seiner Synagoge, seiner Arbeit als Investmentberater und seiner Rolle als Vater zweier jugendlicher Kindern unter einen Hut bringen kann, habe, wie er sagt, mit seiner Frau zu tun. Meyer schätzt sich glücklich und nennt sie »die beste Frau der Welt«. Darüber hinaus helfen dem Franzosen vielleicht auch kurze Momente des nostalgischen Genusses jener besten koscheren Croissants.

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