Interview

»Sie sitzen auf einem Pulverfass«

Maram Stern Foto: Marco Limberg

Interview

»Sie sitzen auf einem Pulverfass«

Maram Stern über jüdisches Leben in der Türkei und die Wiedereröffnung der Synagoge in Edirne

von Tobias Kühn  30.03.2015 18:14 Uhr

Herr Stern, Sie waren vergangene Woche bei der Wiedereröffnung der restaurierten Synagoge in Edirne, dem größten jüdischen Bethaus in der Türkei. Wie verlief die Zeremonie?
Es war äußerst bewegend. Der Präsident der jüdischen Dachorganisation hatte Tränen in den Augen. Und alle, auch jüngere Juden, meinten, die Wiedereröffnung sei ein historisches Ereignis. Es hat mich überaus beeindruckt, zu sehen, wie berührt die Menschen waren. Diese Emotionalität hatte ich nicht erwartet. Wissen Sie, es ist in der Türkei eben nicht wie in Deutschland, wo alle paar Jahre irgendwo eine neue Synagoge eröffnet wird, sondern dort war es das erste Mal nach etlichen Jahrzehnten!

Wie viele Mitglieder hat die Gemeinde in Edirne?
In der Türkei leben heute rund 15.000 Juden, aber in Edirne gibt es keine Gemeinde mehr.

Wie erklären Sie sich, dass die Regierung in Ankara mehr als zwei Millionen Euro für die Restaurierung einer Synagoge ohne Gemeinde ausgibt und sogar der Vizepremier an der Eröffnung teilnimmt?
Die türkische Regierung möchte ganz klar unterscheiden zwischen der jüdischen Gemeinde des Landes und dem Staat Israel. Die Wiedereröffnung der Synagoge war das größte Zeichen, das sie setzen konnte, um zu zeigen: Wir haben nichts gegen die Juden in der Türkei, aber wir sind nicht einverstanden mit der israelischen Politik.

Dann ist die Wiedereröffnung der Synagoge also eher Symbolpolitik?
Es ist eine gute Gelegenheit, auf die Juden zuzugehen. Ankara wusste, es gibt in Edirne eine schöne Synagoge in schlechtem Zustand, und da hat man sich ihrer angenommen.

Nun sind die Sonntagsreden vorbei. Wie wird es jetzt im Alltag weitergehen? Offenbar aus Angst sprechen ja Vertreter jüdischer Gemeinden nicht mit Journalisten.
Das ist nichts Neues. Der Kontakt zur Außenwelt ist sehr gedämpft, weil man nichts Falsches sagen will. Denn immerhin ist die Türkei ja ein muslimisches Land. Juden sind da vorsichtig.

Welchen Eindruck haben Sie von der aktuellen Lage der Juden in der Türkei?
Alle, die ich kenne, gehören zur Mittelschicht und haben sich irgendwie arrangiert. Aber sie müssen jonglieren. Einerseits ist es ihr Land, sie kennen sich aus, fühlen sich zu Hause, doch andererseits wissen sie, dass sie als Juden auf einem Pulverfass sitzen.

Was kann der Jüdische Weltkongress für die Juden in der Türkei tun?
Das Judentum gehört genauso zur Türkei wie der Islam zu Deutschland. Noch braucht die Gemeinde unsere Hilfe vielleicht nicht, aber der Dialog zwischen der Regierung in Ankara und uns ist dennoch wichtig. Leider gibt es seit über einem Jahr keinen Kontakt mehr zwischen dem Jüdischen Weltkongress und der türkischen Regierung.

Mit dem Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses sprach Tobias Kühn.

USA

Der reichste Mann der Welt – für einen Tag

Larry Ellison gehört zu den Großen des Silicon Valley und hält Künstliche Intelligenz für die wichtigste Erfindung der Menschheit

von Sara Pines  26.10.2025

Nachruf

Letzter Kämpfer des Aufstands des Warschauer Ghettos gestorben

Michael Smuss wurde 99 Jahre alt

 24.10.2025

Wien

Nobelpreisträger warnt vor technischer Abhängigkeit von den USA

Joseph E. Stiglitz kritisiert Präsident Trump und ruft Wissenschaft und Medien zur Verteidigung der Medienfreiheit weltweit auf

von Steffen Grimberg  24.10.2025

Polen

Antisemitische Hetzer verhindern Konzert jüdischer Musiker

Der Chor der Pestalozzi-Synagoge in Berlin war eingeladen, in Września gemeinsam mit dem dortigen Kinderchor den Komponisten Louis Lewandowski zu ehren. Nach Hetze und Drohungen wurden alle Veranstaltungen abgesagt

von Sophie Albers Ben Chamo  23.10.2025

Großbritannien

Jiddisch verbindet

Zwischen Identitätssuche, Grammatik und Klezfest. Unsere Autorin war beim Sprachkurs »Ot Azoy« in London

von Sabine Schereck  23.10.2025

Rabbiner Noam Hertig aus Zürich

Diaspora

Es geht nur zusammen

Wie wir den inneren Frieden der jüdischen Gemeinschaft bewahren können – über alle Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten hinweg

von Rabbiner Noam Hertig  23.10.2025

Großbritannien

Ärztin wegen antisemitischer Agitation festgenommen

Dr. Rahmeh Aladwan wurde vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, weil sie die Hamas-Verbrechen vom 7. Oktober verherrlicht hatte. Nun muss der General Medical Council über ihre Approbation entscheiden

von Michael Thaidigsmann  22.10.2025

Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion Natalie Rickli lehnte die unverbindliche Anfrage des Bundes ab, 20 Kinder aus Gaza in der Schweiz aufzunehmen.

Schweiz

Kinder aus Gaza bald in Zürich?

In der Schweiz wird eine politische Debatte darüber geführt, ob verletzte Kinder aus dem Gazastreifen aufgenommen werden sollen

von Nicole Dreyfus  22.10.2025

Mexiko

»La Doctora« liefert

Die Sozialdemokratin und Physikerin Claudia Sheinbaum ist seit einem Jahr Präsidentin. Eine erste Bilanz

von Michael Ludwig  21.10.2025