Lettland

Schritte der Lebenden

Hat als Einzige aus ihrer Familie das Ghetto überlebt: Ida Goldstein Foto: Birgit Johannsmeier

Gut 300 Menschen haben sich am vergangenen Sonntag auf dem alten jüdischen Friedhof in Riga versammelt. Im Schatten der Bäume stimmt die 78-jährige Ida Goldstein in die Gebete des Rabbiners ein. Zusammen gedenken sie der lettischen »Kristallnacht« am 4. Juli 1941. Damals steckten die Nazis alle Synagogen der Hauptstadt in Brand, und auf dem alten Friedhof starben mehr als 50 Juden in den Flammen.

An diesem Tag begann die Vernichtung jüdischen Lebens in Lettland. Hinter dem Friedhof erstreckt sich das ehemalige Ghetto, in dem mehr als 30.000 lettische Juden eingesperrt wurden. Kein Verwandter von Ida Goldstein hat das Ghetto überlebt. Als die Deutschen einmarschierten, war Lettland von den Sowjets besetzt. Sie sei mit ihrem Bruder im Pionierlager gewesen, erzählt die alte Dame. »Die Russen haben uns in der Nacht über die Grenze geschafft, wir haben die Schoa in Russland überlebt.«

Tabu Mehr als 90 Prozent aller lettischen Juden wurden von den Deutschen ermordet. Aber in Lettland wüssten heute nur die wenigsten davon, klagt Rabbiner Menachem Barkan von der jüdischen Gemeinde Riga. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Lettland Sowjetrepublik, das Thema Judenvernichtung war ein Tabu. Seit dem Zerfall der UdSSR wurden in Lettland vor allem die Verbrechen der sowjetischen Besatzer untersucht. Zwar gibt es offizielle Studien zur Mittäterschaft der lettischen Hilfspolizei an der Erschießung von Juden, und das Thema Holocaust wird heute an den Schulen unterrichtet. Aber im Bewusstsein der Letten verblasst die Auslöschung jüdischen Lebens hinter dem Sowjetterror, den jede Familie am eigenen Leibe zu spüren bekam.

Deshalb hat die jüdische Gemeinde in Riga jetzt zum Gedenkmarsch »Schritte der Lebenden« aufgerufen. Vom alten jüdischen Friedhof geht es entlang des ehemaligen Ghettos zur Ruine der Großen Choralsynagoge. »Wir sind da, wir leben hier und überall auf der Welt«, sagt Barkan.

Demokratie Die jüdische Gemeinde sei stolz auf die Polizei, ergänzt Barkan, »sie hat einen Neonazimarsch gestoppt«. Am 1. Juli wollte die Gruppe Perkonkrusts (Deutsch: Donnerkreuz) dem Einmarsch der deutschen Truppen 1941 gedenken. Rigas Bürgermeister hatte die Kundgebung verboten, die Richter hingegen erlaubten sie. Bevor die Neonazis jedoch marschieren konnten, nahm die lettische Kriminalpolizei die Anführer der geplanten Veranstaltung fest. Auch in Lettland dürfe Nazideutschland nicht öffentlich glorifiziert werden, so die Begründung. »Ein Sieg der Demokratie«, jubelt Barkan. »Diese Gruppe hat keinen Rückhalt in der Bevölkerung.«

Zum Gedenken an den Holocaust reisten zahlreiche Gäste aus Deutschland und Israel nach Riga. Allen voran der israelische Außenminister Avigdor Lieberman, der die Bemühungen um die Eröffnung eines neuen Ghetto-Museums in Riga im Herbst hervorhob. Auch Benjamin Bloch, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, hatte sich auf den Weg gemacht. Seine Großmutter kam in Lettland um, als nach der Vernichtung der lettischen Juden im Herbst 1941 mehr als 20.000 Juden aus Westeuropa ins Rigaer Ghetto deportiert wurden. Es sei das erste Mal, dass jemand aus seiner Familie in Riga sei, sagt Bloch. »Ich bin froh, dass ich heute die Möglichkeit habe, für sie das Kaddisch zu sagen.«

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Wien

Österreichs Regierung mit neuer Strategie gegen Antisemitismus

KI-gestützte Systeme zum Aufspüren von Hate Speech, eine Erklärung für Integrationskurse, vielleicht auch Errichtung eines Holocaust-Museums: Mit 49 Maßnahmen bis zum Jahr 2030 will Wien gegen Antisemitismus vorgehen

 10.11.2025

Jerusalem

Zerstrittene Zionisten

Der Zionistische Weltkongress tagt zum 39. Mal seit seiner Gründung im Jahr 1897 durch Theodor Herzl. Doch das Treffen droht zum Fiasko für die Organisation zu werden. Die Hintergründe

von Joshua Schultheis  10.11.2025

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025