Großbritannien

Schmerz und Wut

Bei einer Kundgebung in London forderten am Sonntag rund 10.000 Demonstranten die Freilassung der Hamas-Geiseln. Foto: Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

Trauerveranstaltungen prägen in diesen Tagen das Leben vieler jüdischer Briten. Rund 280.000 Juden leben im Vereinigten Königreich, 150.000 davon in London.

»Juden in Großbritannien erleben gerade ein hohes Maß an Schmerz«, sagt Rabbiner Jeremy Gordon. »Für manche sind Hoffnungen zusammengebrochen, etwa die, dass es eine friedliche Lösung mit der Hamas in Gaza geben könnte, oder dass die Grenzen Israels sicher seien.« Obwohl die Sicherheit vor Synagogen verstärkt wurde, kommen zahlreiche Mitglieder aus Angst derzeit nicht zu den Gottesdiensten.

Während sich am vergangenen Schabbat manche dennoch trauten, in die Synagoge zu gehen, versammelten sich in London rund 100.000 Menschen zu einer propalästinensischen Großdemonstration. Dabei skandierten etliche »From the river to the sea, Palestine will be free«, andere verglichen auf Plakaten den jüdischen Staat mit dem Dritten Reich oder forderten ein Ende Israels.

Auf einer Veranstaltung der salafistischen Gruppe Hizb ut-Tahrir, die am Rande der Großdemons­tration stattfand, wurde auf Bannern dazu aufgerufen, »muslimische Armeen« sollten Palästina retten, und ein Teilnehmer rief zum Dschihad auf. Die Metropolitan Police nahm zehn Personen fest, fünf Beamte wurden leicht verletzt.

10.000 Menschen bei Kundgebung am Trafalgar Square

Am Sonntag versammelten sich im Zentrum Londons rund 10.000 Menschen zu einer Kundgebung am Trafalgar Square, um die Freilassung der Geiseln zu fordern, die die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen festhält. Ein hohes Sicherheitsaufgebot der Polizei und des jüdischen Sicherheitsdienstes CST schützte die Teilnehmer. Die Botschaft der Veranstaltung: »Bring Them Home« – Bringt sie zurück nach Hause!«.

Freunde und Verwandte der Geiseln ergriffen das Wort. So versuchte Ofri Levi, über ihre entführte Schwägerin und deren Kinder zu sprechen. »Kinder zu entführen, hat nichts mit Politik zu tun«, sagte sie. Auch Noam Sagi und Ayelet Svatizky, deren Bruder im Kibbuz Nirim ermordet wurde und deren anderer Bruder und die Mutter von der Hamas als Geiseln genommen wurden, meldeten sich zu Wort. Sagi forderte die Versammelten auf, keine Angst mehr zu haben, damit ihre Stimmen gehört werden.

David Bar, ein Überlebender aus dem Kibbuz Alumim, dessen Schwester am 7. Oktober ermordet wurde, erzählte von dem schrecklichen Moment, als er den Sicherheitsraum im Kibbuz, wo er überlebt hatte, verließ und die vielen Leichen sah.

Bei der Kundgebung sprach auch der britische Oberrabbiner Ephraim Mirvis. Er dankte König Charles, Premier Rishi Sunak und Oppositionsführer Keir Starmer. »In Zeiten wie diesen sehen wir, wer unsere wahren Freunde sind.« Weiter sagte er: Wer sich weigere, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen, legitimiere deren brutale Aktionen.

Der Sender tut sich schwer, die Hamas Terrororganisation zu nennen.

Für die Regierung sprach Michael Gove, Minister für lokale Selbstverwaltung, für die Labour-Partei ergriff Schattenhandelsminister Jonathan Reynolds das Wort. Israel müsse stark bleiben, sagten beide, die Hamas dürfe nicht gewinnen.

Trotz dieser Präsenz in der Öffentlichkeit räumen manche Israelis in London ein, dass sie in der Öffentlichkeit nicht mehr Hebräisch sprechen. Dennoch komme es gelegentlich zu persönlichen Konfrontationen, zum Beispiel, wenn sie Plakate aufhängen mit Bildern der israelischen Geiseln und der Forderung, sie freizulassen.

Terrororganisation als Freiheitskämpfer oder militante Bewegung

Für zwei jüdische BBC-Journalisten ist das Maß voll. Sie verurteilten die Weigerung des Senders, die Hamas in ihrer Berichterstattung als Terrororganisation einzustufen – und kündigten deswegen ihren Dienst. »Ich kann den Sprachgebrauch der BBC, was diesen Krieg betrifft, nicht länger für richtig erklären«, erzählt einer der beiden, der Fußballmoderator Noah Abrahams. »Der wichtigste und einflussreichste Sender der Welt sieht eine Terrororganisation als Freiheitskämpfer oder militante Bewegung«, beklagt Abrahams.

Auch der englische Fußballverband (FA) sei den Israelis nach dem Hamas-Überfall nicht mit derselben Solidarität begegnet wie zuvor den angegriffenen Ukrainern nach Beginn des russischen Angriffskrieges oder den Franzosen nach dem Pariser Bataclan-Anschlag. So kommentiert Abrahams die Tatsache, dass der Verband erst sechs Tage nach den Angriffen mit einer Solidaritätsaktion für die Opfer auf beiden Seiten reagierte.

So sah es auch die Präsidentin des britisch-jüdischen Dachverbands Board of Deputies, Marie van der Zyl. Sie forderte Rechenschaft von BBC-Intendant Tim Davie. Daraufhin änderte die BBC am Donnerstagabend vergangener Woche ihre Haltung – sie spricht nun zumindest von »einer in Großbritannien und anderen Staaten als terroristisch eingestuften Organisation«.

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