Hintergrund

Polen: Schaumparty auf jüdischen Gräbern

Luftaufnahme von Kazimierz Dolny an der Weichsel Foto: IMAGO/ingimage

Vor der Schoa waren in Kazimierz Dolny, einer an der Weichsel gelegenen Kleinstadt im Landkreis Lublin in Ostpolen, rund die Hälfte der 2800 Einwohner Juden. Einer der ehemaligen jüdischen Friedhöfe des Ortes, dessen Grabsteine bereits in der Zeit des Kommunismus vor gut 50 Jahren entfernt wurden und auf dem sich seit einigen Jahren ein Spielplatz befindet, war am 1. Juni Schauplatz eines Kinderfestes.

Auf Fotos und Videos ist zu sehen, wie sich zahlreiche Kinder in einem Schaumbad vergnügten. Das zynische daran: Die Gebeine der Toten liegen weiterhin dort vergraben. Seit fünf Jahren bereits versucht die jüdische Gemeinschaft Polens und ihr Oberrabbiner Michael Schudrich, für den Ort eine Lösung zu finden.

Dem Bürgermeister von Kazimierz Dolny unterbreitete man bereits das Angebot, einen anderen Ort für einen Spielplatz zu finden und diesen von Seiten der jüdischen Gemeinde auch zu finanzieren.

GESPRÄCHE Schudrich sagte der amerikanischen Agentur »Jewish Telegraphic Agency« (JTA): »Wir haben eine wirklich gute Lösung angeboten, bei der wir einen neuen Spielplatz finanzieren und den Friedhof auf ein leeres Feld in der Nähe verlegen würden. Aber sie halten uns hin oder sagen Treffen ab, und es scheint, als wäre der Stadt die Sache einfach egal.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Über die Entscheidung der Stadtverwaltung, dennoch die Schaumschlacht der Kinder auf dem ehemaligen Friedhof abzuhalten und darüber in den sozialen Netzwerken ausführlich zu berichten, zeigte sich der Oberrabbiner empört. »Ist es das, was wir unseren Kindern beibringen wollen, wie wir die Toten, unsere Vorfahren, behandeln?« fragte er rhetorisch.

In einem Brief an Bürgermeister Artur Pomianowski, aus dem die JTA zitierte, schrieb Schudrich, das Ganze lasse Zweifel an der »Sinnhaftigkeit weiterer Gespräche” über die Nutzung des Geländes aufkommen.

In Polen, vor dem Zweiten Weltkrieg Heimstatt der größten jüdischen Gemeinschaft in Europa, gibt es zahlreiche jüdische Friedhöfe. Man habe »jede Woche mit mehreren Friedhöfen zu tun«, sagte Schudrich der JTA. In 99 Prozent der Fälle finde man schnell eine gute Lösung. Aber, so der Oberrabbiner weiter: »Kaziemierz gehört zu den 1 Prozent.«

ENTSCHULDIGUNG Es wird vermutet, dass der Rabbi Yehezkel Taub aus Kuschmiri aus dem 19. Jahrhundert auf dem ehemaligen Friedhof begraben ist. Orthodoxe Haredi-Anhänger der vom Rabbiner gegründeten chassidischen Modzitz-Dynastie strömen jedes Jahr auf den zum Spielplatz umfunktionierten Friedhof, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, doch ihrer Forderung nach Schutz der Stätte wurde nicht entsprochen.

Immerhin bekam Schudrich am Mittwoch doch eine Antwort. Zwar nicht von Pomianowski selbst, sondern von seinem Stellvertreter Bartłomiej Godlewski. Der bedauerte in dem Schreiben den ganzen Vorgang und bat die jüdische Gemeinschaft um Entschuldigung. Es sei »die falsche Entscheidung« gewesen, den Kindertag zu organisieren.

»Wir haben eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Heimat, und es war nie unsere Absicht, Gefühle zu verletzen - es war menschliches Versagen. Ich hoffe, dass dieses Ereignis unseren Dialog und unsere Zusammenarbeit in Zukunft nicht beeinträchtigen wird.« Auch die Facebook-Seite der Stadt, auf der die Fotos der Kinder im Schaumbad gepostet waren, war am Mittwochnachmittag vorübergehend nicht erreichbar - angeblich wegen eines »technischen Fehlers«. mth

USA

Trauer um Dianne Feinstein

Die demokratische Senatorin wurde 90 Jahre alt

 29.09.2023

USA

Biden intensiviert Kampf gegen Judenhass

Die Administration nimmt acht Ministerien in die Pflicht

 29.09.2023

London

»Zoo-kah« unter Tieren

Zoo-Direktor Matthew Gould, früher Botschafter in Israel, lässt zwischen den Käfigen eine Sukka aufstellen

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  29.09.2023

Antony Blinken

US-Außenminister überrascht mit Auftritt an der E-Gitarre

Bei dem Termin wurde eine Initiative zur Förderung von Musik als diplomatisches Mittel vorgestellt

 29.09.2023

USA

Bohemien im besten Sinne

Beatnik, Künstler, Aktivist: Vor 100 Jahren wurde Naphtali »Tuli« Kupferberg in New York geboren

von Katharina Cichosch  28.09.2023

Großbritannien

Nazis früh auf dem Radar

Die Wiener Holocaust Library feiert mit zwei Ausstellungen den 90. Jahrestag ihrer Gründung

von Sabine Schereck  27.09.2023

Meinung

Juden zweiter Klasse

Giurim: Dürfen künftig nur noch Juden einwandern, die dem israelischen Innenministerium orthodox genug sind?

von Nicole Dreyfus  27.09.2023

USA

JPMorgan zahlt Millionen wegen Epstein-Vorwürfen

Die Bank will 75 Millionen Dollar zahlen. Sie habe Sexualstraftaten von Jeffrey Epstein ermöglicht

 27.09.2023

USA

Mann mit Menschenkenntnis

Nach der Biografie von Steve Jobs erzählt der Journalist Walter Isaacson nun die Lebensgeschichte des Businessmoguls Elon Musk

von Dana Wüstemann  26.09.2023