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Auf dem Balkon des Hotels »Drei Könige«: Theodor Herzl 1901 in Basel Foto: dpa

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Eine Reisegruppe auf den Spuren Theodor Herzls

von Peter Bollag  27.04.2010 11:52 Uhr

Die größte Aufmerksamkeit erringen das Fahrrad und die junge Dame, die es lässig festhält. »Is this a real Swiss bicycle?«, fragt ein Mann in einem gestreiften Hemd und betätigt seine Kamera, ohne die Antwort abzuwarten. So werden gute Einfälle eben belohnt – in diesem Fall der, ein historisches Foto nachzustellen, auf dem Theodor Herzl einst offensichtlich stolz mit (s)einem Zweirad posiert.

Dass der »Erfinder« des Zionismus, dessen 150. Geburtstag am 2. Mai begangen wird, das vermutlich nicht in Basel getan hat, scheint keinen der etwa 150 Reisenden zu stören. Auf ihrer Jubiläumsfahrt durch Europa auf den Spuren Herzls ist die Gruppe mit vielen jungen Teilnehmern aus den USA, Lateinamerika, aber auch Israel in der Schweizer Grenzstadt angekommen und macht sich dort sofort auf den Weg in den Großen Saal des Stadt-Casinos. Dorthin, wo Herzl 1897 die Delegierten zum ersten Zionistischen Kongress der Geschichte zusammenrief und wo nun die Dame mit Fahrrad wartet.

festakt Begonnen hat dieser spezielle Trip unter dem Motto »A journey with Herzl in pursuit of he Zionist idea« (Eine Reise mit Herzl auf den Spuren der zionistischen Idee) am Vorabend in der Pariser Oper. Dort hat die Gruppe zusammen mit Israels Staatspräsident Shimon Peres an einem Festakt teilgenommen. Enden soll die Reise in Jerusalem, wo Herzl begraben liegt.

Hier in Basel wollen die Reisenden vor allem einmal den Hauch der Geschichte spüren. »Das ist der wichtigste Teil Ihrer Fahrt«, stimmt Helena Glaser die Angekommenen ein, »hier hat alles begonnen!« Helena Glaser ist Präsidentin der Frauen-Organisation WIZO (Women’s International Zionist Organization). Sie verweist darauf, dass an den Zionistenkongressen auch weibliche Delegierte teilnahmen. Mit bewegter Stimme sagt sie: »Schauen Sie sich genau um, der Saal, wie Sie ihn hier sehen, ist seit 1897 nicht verändert worden!«

Vermutlich ahnt Glaser gar nicht, wie sehr sie da ein umstrittenes Stück Basler Lokalpolitik anrührt: Seit das schlecht gelaunte Stimmvolk der Stadt vor einigen Jahren den Abriss des historischen Casinos und gleichzeitig damit einen Neubau der Londoner Star-Architektin Zaha Hadid abgelehnt hat, ist die Zukunft des vor allem für Konzerte genutzten Gebäudes nämlich völlig offen.

Nur eines war das Haus nie – ein Spielkasino. Dieser Umstand muss den Hauptveranstaltern der Reise, der World Zionist Organisation und dem American Zionist Movement, allerdings völlig entgangen sein. Denn auf den Besuch im Basler Kasino stimmen sie sich im Reiseprogramm mit dem Satz ein, hier habe Herzl einst um die Zukunft des jüdischen Volkes gespielt.
tagespolitik Aber die historischen Geschehnisse treten in Basel ohnehin etwas in den Hintergrund angesichts der Herausforderungen der Tagespolitik. So beklagt der israelische Botschafter in der Schweiz in seinen Begrüßungsworten die schlechten Beziehungen zwischen seinem Heimat- und dem Gastland. Und der Präsident des Jüdischen Nationalfonds (KKL), Efi Stenzler, benutzt seine Redeminuten vor allem, um an die aktuellen Aufgaben zu erinnern, die den KKL heute beschäftigen. Seine Begrüßung der mitgereisten Funktionäre nimmt mehrere Minuten ein.

Da hat sich die Aufmerksamkeit der Zionismus-Reisenden offensichtlich längst von den 1897-Ereignissen ab- und der Gegenwart zugewendet: Wie viel Zeit haben wir für den Lunch, wo kaufen wir die leckerste Schweizer Schokolade, wo die beste Uhr? Oder: Wo finde ich ein Ladegerät für mein Handy?

Entsprechend knapp gestaltet sich dann auch das Nachmittagsprogramm: Mahlzeit im koscheren Restaurant, Augenschein im Hotel »Drei Könige« inklusive der berühmten Herzl-Terrasse, Fototermin im Rathaus. Die Führung durch das Jüdische Museum muss entfallen, denn das Tagesprogramm verspricht auch Shopping – und da soll es keine Abstriche geben. Etliche sind zum ersten Mal in der Schweiz.

Etappenziele Wenige Stunden später besteigt die Gruppe auch schon den Zug nach Zürich, wo der zionistische Visionär seinen Kongress ursprünglich durchführen wollte. Doch die Stadt war damals derart voll von zaristischen Spitzeln, dass er nach Basel auswich.

Beim Herzl-Trip 2010 ist Zürich allerdings nur der Ausgangspunkt für die nächsten Etappenziele Wien und Budapest. Dort immerhin könnten die Reisenden allenfalls etwas Anschauungsunterricht über zeitgenössischen Judenhass erhalten. Denn bei den jüngsten Wahlen in Ungarn wurde die rechtsextreme Jobbik-Partei drittstärkste Kraft im Parlament.

Auf dem Weg dorthin freuen sich die Reisenden einmal mehr über Herzl als Visionär: Auch er war gerne mit der Eisenbahn unterwegs, was ihm seine Jünger nun nachmachen – und damit den Auswirkungen eines isländischen Vulkans auf den Flugverkehr entgehen.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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