Warschau

Polen wählt

Debatte im Sejm, dem polnischen Parlament Foto: dpa

Nach zwei Legislaturperioden und acht Jahren an der Regierung heißt es aus Sicht der rechtskonservativen, inzwischen nationalistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) womöglich: Abschied nehmen. Die mögliche Alternative ist ein Mitte-Links-Dreierbündnis der Bürgerkoalition (KO) von Ex-Premierminister Donald Tusk, dem Parteienbündnis Dritter Weg sowie der Linken.

Umfragen deuten auf ein knappes Ergebnis. Unklar und zugleich von Bedeutung wird das Ergebnis der Konfederacja sein: Zum Zünglein an der Waage könnte bei den bevorstehenden Wahlen die nationalistisch-libertäre Gruppierung werden, ohne die keine Regierung möglich wird, eine Liaison zwischen der PiS und Konfederacja scheint bislang unwahrscheinlich.

Sollte die PiS die Macht verlieren, hinterließe sie ein Land, das gesellschaftlich so gespalten ist wie wohl nie zuvor in der 34-jährigen Geschichte des demokratischen Polen. Die Partei rund um den starken Mann Jarosław Kaczyński hat das Land ökonomisch durchaus befördert, hat sozioökonomische Ungleichheiten korrigiert, mit ihrem anti-europäischen, souveränistischen Kurs Polen mehr Gehör, seit dem russischen Überfall auf die Ukraine auch mehr Gewicht verschafft. Doch sie hat auch massiv die demokratischen Grundpfeiler des Landes, insbesondere das Justizwesen, geschwächt, öffentliche Institutionen auf Linie gebracht und die Staatsunternehmen mit genehmem Führungspersonal besetzt.

Solidarität mit Israel

Zwar hat sich der aus der PiS stammende Staatspräsident Andrzej Duda angesichts der Terrorangriffe in Israel solidarisch mit dem jüdischen Staat erklärt. »Im Gespräch mit dem israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog habe ich unser Beileid und unser Mitgefühl zum Ausdruck gebracht und humanitäre Hilfe angeboten«, erklärte er. Doch die Regierung zeigte sich eher wortkarg, betonte die Hilfe für Landsleute, die sich in Israel aufhielten.

Man könnte sagen: Die Reaktion war folgerichtig. Denn die PiS geriet in den vergangenen Jahren mehrmals in Konflikt mit israelischen Regierungen. Und in Polen selbst hat die PiS eine nationalistische, xenophobe Stimmung befördert, vor allem mit Hetze gegen Flüchtlinge und gegen Minderheiten wie die LGBTQ-Gemeinschaft. Auch die in Polen lebende jüdische Gemeinschaft, die bis zu 20.000 Personen umfasst, hat davon teils schmerzhafte Splitter abbekommen.

Miriam Synger ist orthodox und lebt mit ihrer Familie in Krakau. Die Soziologin ist in der jüdischen Bildungsarbeit aktiv und betreibt einen populären Instagram-Blog, auf dem sie über jüdische Themen aufklärt. Im Gespräch berichtet sie, in den vergangenen acht Jahren habe sich vor allem eines geändert: »Es ist inzwischen schwierig, über den Holocaust zu reden. Man kann nicht negativ über Polen sprechen und sagen, dass auch polnische Bürger an Judenmorden beteiligt waren. Wenn man dieses Thema anspricht, dann kommt die Politik ins Spiel.«

»Man darf nicht mehr sagen, dass auch polnische Bürger an Judenmorden beteiligt waren.«

Miriam Synger, Soziologin

Synger hebt auf das 2018 verabschiedete »Holocaust-Gesetz« ab, mit dem die PiS die Erwähnung polnischer Mittäterschaft am Holocaust unter Strafe stellen wollte. Das Gesetz wurde nach internationalem Druck zwar im gleichen Jahr deutlich abgeschwächt. Doch der damit verbundene Geist, sagt Synger, sei geblieben und auf die Bevölkerung durchgeschlagen. »Das, was die Regierung verbreitet, ist Angst: vor Flüchtlingen, vor Homosexuellen, vor der Geschichte, vor Muslimen, vor Juden. Das muss sich ändern – in einer Demokratie soll man keine Angst haben müssen.«

Die Einschätzung Syngers bestätigt auch Anna Tatar vom Verein Nigdy Więcej (Nie Wieder), der sich gegen Rassismus und Antisemitismus einsetzt und alljährlich das viel beachtete »Braune Buch« herausgibt, das Vorfälle und Straftaten listet.

Politiker und Abgeordnete der Konfederacja verbreiten Hate-Speech

»In Polen haben sich in den vergangenen Jahren die Normen der politischen Debatte erheblich verschlechtert. Alle Minderheiten, auch die jüdische, sind Beleidigungen ausgesetzt«, sagt Tatar. Politiker und Abgeordnete vor allem der nationalistischen Partei Konfederacja verbreiteten Hate-Speech. »Es gibt darauf kaum Reaktionen und Konsequenzen seitens der Behörden.« Zwar gebe es keine tätlichen Angriffe gegen Jüdinnen und Juden. »Doch wir beobachten seit Jahren die Schändung jüdischer Friedhöfe, Hakenkreuz-Schmierereien auch an jüdischen Einrichtungen oder antisemitische Banner in Fußballstadien.« Antijüdische Stereotype, so Tatar, seien weiter lebendig.

Das sieht Artur Hofman etwas differenzierter. Hofman ist langjähriger Vorsitzender der Sozialkulturellen Gesellschaften der Juden in Polen (TSKZ). Die PiS-Regierung, sagt er, steche nicht sonderlich negativ hervor. »Bei der finanziellen Unterstützung für jüdische Belange oder der Ehrung und der Anwesenheit von Politikern bei Veranstaltungen an wichtigen Jahrestagen kann ich ihr keine Vorwürfe machen. Ich würde sogar sagen, dass diese Regierung großes Gewicht auf die Pflege jüdischen Erbes legt.«

Die Holocaust-Schicksale polnischer Juden achtet die Regierung kaum.

Hofman deutet auf einen Maßstab, der die Sicherheit von Juden im Land zeige: Bei den vielen Veranstaltungen, Konzerten oder Festivals gebe es landesweit nie besonderen polizeilichen Schutz, wie er etwa in Deutschland üblich ist. »Ich rede mit Kollegen jüdischer Vereinigungen aus Westeuropa – aus Deutschland, Frankreich, Belgien –, und sie beneiden uns. Sie fühlen sich zu Hause bedroht, wir bei uns nicht«, sagt Hofman. Auch daher dürften einige Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft durchaus auch für die PiS stimmen.

Debatte um den neuen Film »Grüne Grenze« von Agnieszka Holland

Dennoch: Wie wenig die Regierung die Holocaust-Schicksale von Polen mit jüdischen Wurzeln achtet, wenn es ihr politisch nützt, zeigt die jüngste Debatte rund um den neuen Film der Regisseurin Agnieszka Holland. Die 74-jährige Polin, die einen jüdischen Vater hatte, zeigt in Grüne Grenze das teils brutale Warschauer Grenzregime an der polnisch-belarussischen Grenze. Justizminister Zbigniew Ziobro und andere Regierungsvertreter bezichtigten Holland, die viele Verwandte im Holocaust verlor, mit ihrem Film »antipolnische Nazi-Propaganda« zu betreiben.

PiS-Chef Kaczyński sagte, Hollands Vater sei ein »stalinistischer Kommunist« gewesen – er griff dabei unterschwellig das auch in Polen seit rund 100 Jahren, vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wirkmächtige Stereotyp der »Zydokomuna« auf, des »Juden-Kommunismus«, dem gemäß besonders viele Juden vor allem in den berüchtigten kommunistischen Sicherheitsdiensten des Landes arbeiteten.

Doch insgesamt, sagt der Journalist Seweryn Blumsztajn, wird das »jüdische Problem in Polen gerade durch die zuletzt zahlenmäßig große Anwesenheit von Migranten und Flüchtlingen im Land zur Geschichte«. Polnische Städte seien bunter geworden. Dies wirke letztlich auch positiv auf die Juden und Jüdinnen im Land – ganz unabhängig, welche Partei regiere.

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