Grossbritannien

Plötzlich Jude

Seit Anfang des Jahres im Amt: Justin Welby (57) Foto: dpa

Grossbritannien

Plötzlich Jude

Der anglikanische Erzbischof Justin Welby hat erst vor Kurzem von seinen Wurzeln erfahren

von Daniel Zylbersztajn  26.08.2013 18:41 Uhr

Wer dem Mittfünfziger morgens um 6.30 Uhr begegnet, staunt darüber, wen er vor sich hat. Der Mann in rotem T-Shirt und schwarzen Shorts, der da durch Londons Straßen joggt, wird ein paar Stunden später schwere Gewänder und Mitra tragen. Es ist Erzbischof Justin Welby, seit Anfang des Jahres Oberhaupt der anglikanischen Kirche. In der Londoner Tageszeitung The Times nennt er sich »einen joggenden Diener Jesu Christi«.

Typisch für das englische Establishment ging der 1956 in London geborene Welby in Eton zur Schule, danach studierte er in Cambridge und stieg ins Ölgeschäft ein. Als er sich elf Jahre später »von Gott berufen fühlte«, brach er seine Karriere ab und fing an, Theologie zu studieren. Dem Studium folgten Ämter als Kurator und Pfarrer, bis er 2002 Kanon der Kathedrale von Coventry wurde. Dort arbeitete er in einem Versöhnungszentrum, vermittelte in Afrika zwischen Muslimen und Christen, verhandelte mit Al-Quaida-Funktionären und wurde gar als Geisel genommen. Zuletzt war er Bischof von Durham im Norden Englands.

So viel war über Welby bekannt, bis die britische Zeitung The Daily Telegraph noch einiges mehr über ihn herausfand – mehr, als er angeblich selbst wusste. So soll sein Vater verheimlicht haben, dass er aus einer deutsch-jüdischen Familie stammte und eigentlich Bernhard Gavin Weiler hieß. Er wanderte 1929 in die USA aus, soll Alkoholiker gewesen sein und mit »italienischen Freunden« Geschäfte gemacht haben. Verheiratet mit der Tochter eines Fabrikbesitzers, hatte er mehrere Affären, unter anderem mit der Schwester John F. Kennedys und der Schauspielerin Vanessa Redgrave. Die Ehe zerbrach.

Offenbarungen Zurückgekehrt nach London, heiratete er Jane Portal, eine ehemalige Privatsekretärin Winston Churchills. Aus dieser Ehe, die auch nicht hielt, ging Justin Welby hervor. Tim Welby, der älteste Sohn des Erzbischofs, sagte der Jüdischen Allgemeinen, »die Offenbarungen über meinen Großvater« hätten ihn und seinen Vater wirklich überrascht. Justin Welby selbst erzählt über seinen Vater, dieser sei »ein komplizierter und brillanter Mann« gewesen, »der im angetrunkenen Zustand oft Sachen sagte, von denen man nicht wusste, ob sie falsch waren oder wahr«.

Welby gilt als moderater Kirchenmann. Aufgrund seiner langen Erfahrungen im Geschäftsleben schätze er deutliche Worte, sagt er über sich selbst.

Israel Ende Juni reiste er in den Nahen Osten. Bereits in seinem früheren Amt habe Welby versucht, Israelis und Palästinenser zusammenzubringen, sagte Kanon Andrew White der Online-Zeitung Times of Israel. Welby habe »von Anfang an ein Verständnis der negativen Geschichte von Christentum und Judentum gehabt und antiisraelische Positionen der Kirche auch in diesem Kontext verstanden«.

Als die Vollversammlung der Anglikaner im Sommer 2012 über das Programm einer kirchlichen Organisation zum Thema »Leben unter israelischer Besatzung« abstimmte, enthielt sich Welby. Das Votum der Kirche führte zu Protesten vonseiten britisch-jüdischer Organisationen. Welby sagte später, er hätte eigentlich dagegen stimmen müssen, »da das Projekt nicht die Komplexität der Situation im Nahen Osten ausdrücke«.

Nach Welbys Besuch in Nahost sagte der Vorsitzende der Zionistischen Föderation in Großbritannien, Paul Charney, der Jüdischen Allgemeinen, es sei »deutlich, dass Welby intensiv daran arbeite, die Beziehungen zwischen jüdischen und anglikanischen Gemeinden zu verbessern«.

Beschwerden Doch aus dem palästinensischen Lager kamen Beschwerden. So waren Mitglieder einiger Kirchen in Bethlehem und die Politikerin Hannan Ashrawi darüber verärgert, dass Welby sie nicht vor Ort besuchte, sondern sie in Jerusalem traf.

Im Gespräch mit Israels Staatspräsident Schimon Peres sowie mit Vertretern des Oberrabbinats unterstrich Welby Israels Recht, in Sicherheit und Frieden innerhalb international anerkannter Grenzen zu leben – Worte, die nicht jeder Kirchenmann über die Lippen bringt. In einer Rede vor führenden christlichen Repräsentanten kritisierte Welby Israel jedoch und wiederholte die Worte des anglikanischen Bischofs von Jerusalem, Suheil Dawani: »Diejenigen, die Macht und Sicherheit suchen, werden nichts von beidem finden.«

Belgien

»Gaza gleich Auschwitz«-Karikatur gewinnt Wettbewerb

Der erste Preis des Press-Cartoon-Belgium-Wettbewerbs ging in diesem Jahr an eine Zeichnung einer Landkarte, in der die Umrisse des Eingangstores von Birkenau auf die des Gazastreifens gelegt sind

von Michael Thaidigsmann  04.07.2025

Kommentar

Zürich sollte Francesca Albanese keine Bühne bieten

Die antisemitische UN-Sonderberichterstatterin tritt am Freitag in der Zürcher Zentralwäscherei auf - subventioniert durch die Steuerzahler der Stadt

von Ronny Siev  03.07.2025

Großbritannien

Unterhaus: Palestine Action als Terrororganisation eingestuft

Mitglieder der radikalen Anti-Israel-Gruppe waren im Juni auf einen britischen Luftwaffenstützpunkt eingedrungen und hatten dort Flugzeuge beschädigt

 03.07.2025

Ukraine

Putins Krieg und Trumps Frieden

Während sich die Medienaufmerksamkeit auf Nahost konzentriert, bombardiert Russland weiterhin das Land. Nun schlägt sogar der US-Präsident neue Töne an

von Michael Gold  03.07.2025

Australien

Zwei Krankenpfleger, die damit drohten, jüdische Patienten zu töten, haben Arbeitsverbot

Im Februar sorgte ein TikTok-Video für Abscheu und Empörung, in dem zwei Krankenpfleger ihrem blanken Judenhass freien Lauf ließen. Nun stehen sie vor Gericht

 02.07.2025

Großbritannien

Warten auf »Bridgerton«

Die Sehnsucht nach der vierten Staffel des Netflix-Hits ist groß. Aber wie war eigentlich das reale jüdische Leben in der Regency?

von Nicole Dreyfus  29.06.2025

Glastonbury Festival

Kritik an antiisraelischen Parolen

Neben der Musik sorgt Hetze gegen Israel für Aufsehen – mit Folgen für die BBC, die alles live übertragen hat

 29.06.2025

Glastonbury

Bob Vylan ruft »Death, death to the IDF« – BBC überträgt es

Beim größten Open Air Festival Großbritanniens rufen Musiker antiisraelische Parolen

 28.06.2025

Militär

Name des schwulen Bürgerrechtlers Harvey Milk von US-Kriegsschiff gestrichen

Das nach Milk benannte Versorgungsschiff heißt jetzt »USNS Oscar V. Peterson«

 28.06.2025