Österreich

Pita und Krautrouladen

»Ich bin auch geprägt vom Essen meiner Eltern«: Food-Unternehmerin Haya Molcho Foto: picture alliance/dpa

Mazal tov, Frau Molcho! Sie sind kürzlich 70 geworden. Was hat man Ihnen gekocht?
Leider war es nicht der Moment, um zu feiern. Mein Bruder ist kurz vor meinem Geburtstag gestorben, und mir war nicht zum Feiern zumute. Ich war unendlich traurig, bin es immer noch. Aber meine Familie war da. Wir waren gemeinsam in Südfrankreich, und mein Sohn Elior hat für uns alle gekocht. Das war wunderschön, auch weil wir zusammen waren.

Familie ist ein Glück. Wo fühlen Sie sich kulinarisch zu Hause?
Auf der ganzen Welt. Wir sind Nomaden, Weltenbummler. Wir haben so viele Länder bereist und fremde Kulturen besucht, was mich und meine Küche natürlich sehr beeinflusst hat. Ich bin in Israel mit unterschiedlichen Einflüssen groß geworden. Diese eklektische Küche ist ein enormer Reichtum. Jede und jeder bringt hier sein eigenes Land, seine Herkunft auf den Teller und reichert sie mit dem Orientalischen an. Egal ob Äthiopier, Russen, Österreicher oder Jemeniten, alle hatten ihre Rezepte im Gepäck. Das macht die israelische Küche so interessant. Ich bin gleichzeitig mit Sarma und Wiener Schnitzel aufgewachsen. Das ist meine Inspiration.

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Was ist Sarma?
Rumänische Krautrouladen. Meine Eltern stammen aus Rumänien, da liegen meine Wurzeln. Natürlich bin ich mit Falafel und Pita groß geworden, aber ich bin auch geprägt vom Essen meiner Eltern. Erst kürzlich haben wir eine Reise durch Rumänien gemacht. Eine gute Freundin hat für uns Sarma gekocht. Wenn ich nur an die Kohlrouladen denke, wird mir warm ums Herz.

Was ist so besonders daran?
Die Verbundenheit, die man mit der eigenen Herkunft hat und die, zumindest bei mir, stark übers Essen funktioniert. Auch wenn ich Ikra esse, bin ich glücklich. Diese Fischrogen, wie sie dort zubereitet werden, finde ich sonst nirgendwo auf der Welt.

Wie setzen Sie Ihren persönlichen Geschmack auf die Speisekarte Ihres Unternehmens?
Meine Devise lautet zu vereinen. Was auch immer ich koche, wird mit der Küche der Levante kombiniert. Doch wenn man ein Unternehmen wie das »Neni« führt, müssen viele Arbeitsprozesse der Restaurantküche angepasst werden. Wir müssen die Rezepturen so zusammenstellen, dass sie sich in großen Mengen kochen lassen und gleichzeitig weder an Qualität noch an Geschmack einbüßen. Es ist ein Unterschied, ob man für 200 Restaurantgäste oder für den Familienbrunch am Wochenende kocht.

Woran haben Sie mehr Freude?
Am Wochenende koche ich für 15 bis 20 Leute. Wir treffen uns immer sonntags zum Brunch. Natürlich liebe ich es, meine Gäste zu verwöhnen. Aber es bedeutet auch, dass ich planen, einkaufen und kochen muss. Für mich ist das positiver Stress und Inspiration.

Was sind die aktuellen Herausforderungen in der Gastronomie?
Auch wir werden früher oder später nicht ohne Künstliche Intelligenz auskommen. In Japan räumen bereits Roboter die Tische ab. Für mich ist das undenkbar, aber es ist die Realität und vermutlich Teil unserer Zukunft.

Vielerorts in der Welt herrscht gerade Krieg. Wie wirkt sich das auf die Branche aus?
Der Krieg in der Ukraine, der Krieg in Israel und im Gazastreifen, Donald Trumps neueste Hirngespinste – das landet gewissermaßen alles bei uns auf dem Teller. Denn ich muss immer überlegen: Wo kriege ich jetzt die beste Tahina aus Israel her? Was ist, wenn die Grenzen dichtgemacht werden? Wo gibt es andere Tahina, die unseren Ansprüchen entspricht? Vielleicht in Äthiopien oder in der Türkei? All diese Aspekte müssen mit einberechnet werden, während wir planen und gleichzeitig die Welt aus den Fugen gerät. Aber das wissen unsere Gäste im Restaurant nicht. Sie wollen einfach eine ausgezeichnete Tahina genießen.

Sie sind Israelin und leben in Wien. Spüren Sie die politische Unruhe auch in Ihren Restaurants?
Einmal wurde die Hauswand eines unserer Restaurants mit »Free Palestine« beschmiert. Das haben wir gleich entfernen lassen. Aber ich stehe für Frieden, »Neni« steht für Frieden. Was am 7. Oktober 2023 passiert ist, tut mir unglaublich weh. Doch egal ob Trump, Netanjahu oder Erdogan – diese Leute machen mit ihrer rechten Politik vieles kaputt. In Israel haben Menschen wie meine Eltern in aufwendiger Arbeit das Land aufgebaut. Sie waren Zionisten, haben auf dem Feld gearbeitet. Ich bin eine Sabra, und mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass die Demokratie durch Politiker wie Ben-Gvir einreißt. Ich liebe mein Land und bin mindestens viermal im Jahr dort. Doch was gerade passiert, darf nicht geschehen. Ich habe mehrfach an den Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen. Die Proteste sehe ich als Chance.

Was für Menschen waren Ihre Eltern?
Sie waren Freigeister, haben viel gelacht. Ich bin nicht mit dieser Holocaust-Last aufgewachsen, die ich später in Europa – auch in Wien – bei vielen Familien kennengelernt habe.

Wie war der Geschmack Ihrer Kindheit?
Mein Vater war ein Feinschmecker, den ich jeden Freitag vor Schabbat zum Schuk begleitet habe. Meine Mutter war, wie meine Großmutter, eine außerordentlich gute Köchin. Von ihnen habe ich Kochen gelernt.

Sie haben ursprünglich Psychologie studiert. Wie kamen Sie zur Gastronomie?
Gekocht habe ich immer. Aber als mein Sohn Nadiv Barmizwa hatte, habe ich das Catering übernommen. So fing es an. Es machte mir Spaß, eine große Feier für so viele Leute zu planen, zu kochen und zu dekorieren. Ich habe zum Beispiel die Kippot in Indien aus Sari-Stoff anfertigen lassen. Ich hatte schon immer verrückte Ideen und habe anders gekocht, als man es bisher kannte.

Ihre Familie betreibt mittlerweile 13 Restaurants in Europa – von Wien über Berlin und Paris bis nach Mallorca. »Balagan« ist Ihr Kochmotto. Gibt es auch Momente, in denen Sie genug vom Durcheinander haben?
Ich koche nicht jeden Tag. Es gibt auch Wochen, in denen ich wenig esse oder versuche zu entgiften. Und ich liebe es, am Abend nur etwas Brot und Käse zu essen. Dazu ein Glas Wein. Das ist sehr rumänisch.

Wenn Sie sich Ihre Karriere ansehen: Was hat Sie zu der gemacht, die Sie heute sind?
Ich bin nun 70, aber neugieriger denn je. Ich will ausprobieren, auf Reisen gehen. Mir ist natürlich bewusst, dass das alles nur im Zusammenspiel von Körper und Geist funktioniert. Ich werde nicht jünger und achte auf meine Gesundheit. Ich habe aber gelernt, dass Älterwerden auch bedeutet, Verzicht zu lernen. Das zu realisieren, ist eine Befreiung. Wenn ich Mutter werde, kann ich vielleicht für eine Weile nicht in die Disco gehen. Genauso ist es im Alter. Es gibt Dinge, auf die man verzichtet. Aber das ist in Ordnung so.

Mit der Köchin, Autorin und Food-Unternehmerin sprach Nicole Dreyfus.

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