Es war ein Skandal, Futter für jemanden wie Tucker Carlson. Der ehemalige Fox-News-Talkmaster mit Vorliebe für Verschwörungstheorien, Aliens und Wladimir Putin ist seit seiner Entlassung Ende 2023 präsent geblieben durch einen eigenen Podcast mit einem Millionenpublikum, in dem er mal mit wütenden Monologen Angst schürt, mal provokante Interviews führt mit anderen Verschwörungstheoretikern oder auch Russlands Präsidenten.
Als Carlson, ein wichtiger Unterstützer von Trumps Wiederwahlkampagne, Ende Oktober jedoch dem offen antisemitischen Nationalisten Nick Fuentes – der neben Juden auch Frauen, Homosexuelle und Linke hasst, an die Überlegenheit der weißen Rasse glaubt und meint, es sei sein Recht, den Rest auszurotten – zwei Stunden Plattform bot, ohne auch nur eine kritische Nachfrage zu stellen, war es sogar einigen MAGA-Konservativen zu viel. Prominente Republikaner, jüdische Organisationen und konservative Influencer kritisierten Carlson scharf. Nach Wochen des Schweigens ist US-Präsident Trump seinem Kampagnengefährten nun zur Seite gesprungen: Man könne Carlson »nicht vorschreiben, wen er interviewen soll«, so Trump. Außerdem wisse er selbst »nicht viel über« Fuentes – was seltsam ist, da der Präsident ihn vor drei Jahren selbst in Mar-a-Lago zum Abendessen empfangen hatte. »Danke, Mister President«, postete Fuentes und meinte wohl den weiteren Reichweite-Push.
Nicht mehr krass genug
Der 27-Jährige ist nicht weniger als das neue Vorzeigekind und Idol der weißen Rassisten Amerikas. Seit dem Mord an Charlie Kirk, seinem stärksten Widersacher im Kampf um die ultrarechte Aufmerksamkeit, ist er einer der größten Hass-Influencer im Land. Frauen? Kinder, Küche, Kirche. Schwarze? Ins Gefängnis. Juden? Sind an allem schuld. Hitler? War »richtig fucking cool«. Holocaust? Hat nicht stattgefunden, sagt Fuentes, der unter anderem mexikanischer Abstammung ist und in einem kleinen Ort außerhalb Chicagos aufwuchs. Seinen Rassismus habe er von seinen Eltern, soll er gern sagen – und dabei lachen. Während des Studiums in Boston war er Fan von Trump und dem rechtskonservativen, jüdisch-orthodoxen Influencer Ben Shapiro. Doch die waren ihm bald nicht mehr krass genug.
Überall, wo in den vergangenen Jahren der hasserfüllte Extremismus ausbrach, war Fuentes dabei, sei es der Marsch von Ultrarechten in Charlottesville 2017 mit einer Toten und 35 Verletzten oder der Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 mit fünf Toten und mehr als 100 Verletzten. Um seine Weltanschauung zu verbreiten und sein Publikum zu vergrößern, sendete Fuentes ab August 2017 seine sogenannte America-First-Show online aus dem Keller seines Elternhauses. Aktuell folgen ihm 1,1 Millionen Menschen auf X und 521.000 auf der Videoplattform Rumble. Hunderttausende schauen seine Clips. Seine Anhänger nennen sich Groypers, nach einer grünen, unförmigen Comicfigur. Sie sind als Trollarmee im Netz unterwegs, aber stören auch mal ganz real MAGA-Veranstaltungen, weil sie ihnen zu lasch sind.
Denn Fuentes hasst auch Republikaner, unter anderem weil sie Israel unterstützten. Bei seinem Carlson-Auftritt nennt er sie »christliche Zionisten«, die von einem »Gehirnvirus befallen« seien. Er lehne den »Neokonservatismus« ab, dieser sei jüdischer Natur und stelle die Loyalität gegenüber Israel über traditionelle konservative Prinzipien, so Fuentes weiter. Und dann öffnet er ohne Scham die Büchse der Pandora der Nazi-Propaganda: Juden »sind ein staatenloses Volk. Sie sind nicht assimilierbar. Seit Tausenden von Jahren widersetzen sie sich der Assimilation.«
Fuentes hat zum rechtsextremen Angriff auf Mainstream-Konservative geblasen. Antisemitismus gehört zu seinen Hauptargumenten, die derzeit gerade bei jungen Menschen gut funktionieren. Auf YouTube waren die Kommentare unter Carlsons Interview vollgepackt mit antisemitischen Memes, berichtete die »Jerusalem Post«.
Trumps Verteidigung von Carlsons Interview mit Fuentes hat deshalb möglicherweise auch damit zu tun, dass dessen Anhängerschaft den Nachwuchs für die MAGA-Bewegung stellen wird.