USA

Orthodox und egalitär

Gemeinsam Lernen im Hadar-Institut Foto: Hadar Institut

Washington, die Hauptstadt der Vereinigten Staaten, hat mit etwa 300.000 jüdischen Einwohnern die sechstgrößte jüdische Einwohnerzahl im Land. Wie im Rest der USA gehören viele einer liberalen Strömung des Judentums an oder praktizieren ihr Judentum nicht. Für Orthodoxe gibt es in der Hauptstadt keine Jeschiwa.

Rabbiner Shmuel Herzfeld, bis vor Kurzem spirituelles Oberhaupt der orthodoxen Ohev-Sholom-Synagoge, der ältesten und größten orthodoxen Gemeinde in Washington, findet diesen Zustand unerträglich. »Zehntausende Juden und keine einzige Jeschiwa?«, entrüstet er sich. Herzfeld, dessen Ton Ernsthaftigkeit und Zuversicht versprüht, verließ kürzlich nach 18 Jahren seine Position bei Ohev Sholom, um Abhilfe zu schaffen.

Beit MidrascH Mit Spendengeldern finanziert, gründete er Yeshivas Reb Elimelech, eine Ausbildungsstätte, die orthodoxen Standards genügt – und gleichzeitig alle willkommen heißt, nicht nur Männer. Herzfeld und seine Mitstreiter kauften im Nordwesten der Metropolregion mit ihren mehr als sechs Millionen Einwohnern ein Gebäude, das derzeit renoviert und ausgebaut wird.

Das Herzstück wird ein Beit Midrasch sein, ein Lehrhaus, in dem Frauen, Männer und – so heißt es offiziell – »Menschen, die zur Community der LGBTQIA+ gehören«, Seite an Seite jüdische Texte nach traditionellen Lehrmethoden erarbeiten, die sonst nur orthodoxen Männern vorbehalten sind. Ein Studentenwohnheim ist auch geplant. Es wird zunächst nur 15 Plätze ausschließlich für Männer haben. Herzfeld übernimmt die Leitung der Einrichtung.

Trotz aller Fortschrittlichkeit legt Herzfeld, der unter seinen modern-orthodoxen Kollegen den Ruf eines Erneuerers, aber auch den eines Enfant terrible genießt, Wert darauf, dass sein Projekt nicht »auf Inklusivität reduziert« wird. »Wir sind keine ›woke‹ Jeschiwa«, stellt er klar. »Es geht uns ums lebenslange Lernen der Tora.« Dabei stehe die sexuelle Orientierung oder Genderidentität eines Menschen wenig bis gar nicht im Vordergrund. »Wenn es für die spirituelle Reise eines Menschen wichtig ist, mir davon zu berichten, höre ich aber natürlich zu«, sagt er. Ansonsten interessiere ihn das Thema nicht.

LERNZENTRUM Auch das Hadar-Institut mit Sitz in New York expandiert. Die 2006 gegründete Einrichtung bietet schon seit einigen Jahren Kurse und Seminare auch in Washington, Boston und Jerusalem an. In den nächsten Monaten soll Chicago dazukommen. Rabbi Elie Kaunfer, Geschäftsführer und Mitgründer, beschreibt seine Organisation als einen Ort, der es Laien erlaubt, die nicht unbedingt Rabbiner werden wollen, jüdische Texte auf höchstem Niveau zu studieren.

»Das schlagende Herz unserer Organisation ist ein Lernzentrum, eine Jeschiwa, in dem sowohl Männer als auch Frauen und Menschen aller Geschlechtsidentitäten und allen Alters die Texte unserer Tradition tiefgehend und substanziell studieren können«, sagt Kaunfer. Das Ins­titut biete Kurse in jüdischem Recht und jüdischer Lehre an, die sonst nur Experten vorbehalten blieben.

Genau das hat Alyx Bernstein angezogen. Die Studentin besuchte vor ein paar Jahren eine Veranstaltung des Instituts für queere Menschen. Vergangenes Jahr nahm sie an einem der mehrwöchigen Sommerkurse teil, mit denen die Arbeit von Hadar 2007 begonnen hatte.

gemeinschaft »Ich habe hier eine Gemeinschaft gefunden«, sagt sie. Als sie sich als trans outete, befürchtete sie zunächst, ihre religiöse Identität aufgeben zu müssen. Bernstein wuchs in England auf und zog als Neunjährige mit ihrer Familie in die USA. Sie spreche besonders das egalitäre Konzept an, welches das Institut und seine Professoren praktizierten. In anderen Bereichen ihres Lebens, zum Beispiel an ihrer Hochschule, dem Jewish Theological Seminary (JTS), empfindet sie ihre Umgebung oft entweder als nicht orthodox genug oder als nicht egalitär genug.

Wie an der Jeschiwa von Rabbi Herzfeld können Studierende, wenn sie weit genug fortgeschritten sind, auch am Hadar-Institut die Smicha erhalten. Der Fokus liegt jedoch auch hier auf dem lebenslangen Lernen. »Im Kern ist Hadar eine Vision für ein jüdisches Leben«, sagt Rabbiner Kaunfer.

Nach Rechtsruck

Auschwitz Komitee zur Österreich-Wahl: »Neues alarmierendes Kapitel«

Erstmals hat die rechte FPÖ in Österreich eine Nationalratswahl für sich entschieden. Das Internationale Auschwitz Komitee zeigt sich besorgt

 01.10.2024

Mexiko

Claudia Sheinbaum tritt Präsidentinnenamt an

Sie ist die erste Frau und die erste jüdische Person an der Spitze

 01.10.2024

Los Angeles

»Wenn die Wellen gut sind«

Omer Levy hat nach dem 7. Oktober den Shabbat Surf Club gegründet. Ein Gespräch über das Weitermachen, die Hohen Feiertage und Westsamoa

von Katrin Richter  01.10.2024

Analyse

In Österreich schlägt die Stunde des Bundespräsidenten

Der Alpenrepublik stehen turbulente Zeiten bevor

von Stefan Schocher  30.09.2024

Nationalratswahl

Rechtsruck in Österreich

Die rechtspopulistische FPÖ mit Parteichef Herbert Kickl ist erstmals stärkste politische Kraft – eine Zäsur für das Land

von Matthias Röder  29.09.2024

USA

Borscht-Belt-Renaissance

Tausende jüdische Familien genossen einst am Rande der Catskills nördlich von New York ihre Sommer. Nach Jahrzehnten des Verfalls wird die Region nun wiederentdeckt. Unser Autor hat sich dort umgeschaut

von Sebastian Moll  29.09.2024

Frankreich

Sinn in der Sinnlosigkeit

Laura Blajman Kadar hat das Nova-Festival-Massaker überlebt. Seit einem Jahr reist die Franko-Israelin durch Europa

von Laura Blajman Kadar  29.09.2024

Österreich

»Herbert Kickl hätte uns deportiert«

Die FPÖ könnte bei der Nationalratswahl am Sonntag stärkste Partei werden. Was würde das für jüdisches Leben bedeuten?

von Stefan Schocher  28.09.2024

Porträt

Erste jüdische Präsidentin in Mexiko: Iztapalapa als Vorbild

Am 1. Oktober wird Claudia Sheinbaum als Mexikos neue Präsidentin vereidigt. Ihr Vorgänger López Obrador hinterlässt ein von Gewalt gezeichnetes Land. Doch es gibt auch Projekte, die hoffen lassen - etwa im Bezirk Iztapalapa in Mexiko-Stadt

von Wolf-Dieter Vogel  27.09.2024