Die Gerüste wurmen Olga Hodálová – ausgerechnet ganz vorn, wo das Auge zuerst hinschaut, müssen die Restauratoren heute arbeiten. Halb verdeckt sind die üppigen Ornamente, wenn man vom Saal aus zum Aron Hakodesch blickt: Grün, lila und tiefblau leuchtet die Wand im abendlichen Sonnenlicht. »Entschuldigen Sie bitte, wenn Sie irgendwo etwas entdecken, das noch nicht ganz perfekt ist«, sagt sie zu den Besuchern und fügt hinzu: »Das kriegen wir aber noch rechtzeitig hin!«
Nichts weniger als perfekt soll es sein, wenn am 9. November die Synagoge in TrenčÍn wiedereröffnet wird: Weit über die 55.000-Einwohner-Stadt im Westen der Slowakei wird dieses Ereignis hinausstrahlen, denn es ist seit Jahrzehnten das erste Mal, das im Land eine Synagoge eingeweiht wird – ihre Synagoge, kann man sagen, denn Olga Hodálová ist der unermüdliche Motor des Projekts.
Geschichte gestaltet und geprägt
Die promovierte Psychologin ist Vorsitzende der kleinen jüdischen Gemeinde von Trenčín und Vorstandsmitglied in der slowakischen Föderation der jüdischen Gemeinden. Und vor allem ist sie Tochter und Enkelin von Vorfahren, die ihrerseits die Geschichte dieser ganz besonderen Synagoge gestaltet und geprägt haben. Derzeit führt sie oft Gruppen von Besuchern und Honoratioren durch die Baustelle, um den Fortschritt zu zeigen und die großen Eröffnungsfeiern vorzubereiten. Bis dahin, so ist der Plan, sollen auch die letzten Gerüste verschwunden sein.
Das Bemerkenswerte: In Trenčín sind es nicht nur die 60 Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die sich auf den Eröffnungstag freuen – es ist tatsächlich die ganze Stadt. Trenčín wird im nächsten Jahr zusammen mit dem finnischen Oulu Kulturhauptstadt Europas sein, und der Synagoge mitten im historischen Zentrum im Schatten der Burg kommt dabei eine besondere Rolle zu: Etliche Veranstaltungen werden hier abgehalten, Konzerte, Lesungen, Begegnungen. »Wir haben die Renovierung unserer Synagoge bewusst so geplant, dass sie beide Funktionen hat, die religiöse und die gesellschaftliche«, sagt Olga Hodálová.
In Trenčín jedenfalls ist Stolz zu spüren – auf die Synagoge und ihren märchenhaften Aufstieg buchstäblich aus Trümmern: Auf Fotos und in Prospekten wird sie herausgestellt und im Programm des Kulturhauptstadtjahres prominent beworben. »Wir sind weiter gekommen, als ich jemals gehofft habe«, sagt Olga Hodálová – und es klingt Staunen mit bei diesem Satz.
Es ist das dritte Mal, dass die jüdische Gemeinde der Stadt ihre Synagoge aufgebaut hat.
Es ist das dritte Mal, dass die Trenčíner Gemeinde ihre Synagoge aufgebaut hat. Das erste Mal war 1913: Da errichteten sie am Ort, wo seit fast zwei Jahrhunderten ein hölzernes Bethaus stand, die strahlende Synagoge. Ein Meisterwerk seiner Zeit, geschaffen von Richard Scheibner, einem Berliner Architekten, der in der Nähe von Trenčín aufgewachsen war.
Überspannt ist die Synagoge von einer gewaltigen Kuppel, die großen bunten Fenster ließen zu jeder Tageszeit reichlich Licht hinein, die farbenprächtigen Wände leuchteten. Ornamente mit maurischem, mit orientalischem Anklang verwendeten die Gestalter, mischten sie mit Art Déco und Jugendstil, um eine Verbindung von der traditionellen Synagogen-Bauweise zur damaligen Avantgarde zu schaffen.
»Sie gaben sich größte Mühe, alles kaputt zu machen«
Dann kamen die slowakischen Faschisten, die im Schlepptau von Hitler-Deutschland gegen die Juden losschlugen. »Sie gaben sich größte Mühe, alles kaputt zu machen«, sagt Olga Hodálová bitter: Ihre Pferde ließen sie durch den Gebetsraum traben, exerzierten dort, wo die Bänke standen. Gleich nach dem Krieg baute eine Handvoll überlebender Juden die Synagoge wieder auf, einer der Initiatoren war Hodálovás Vater.
Hinter der Eingangstür befestigten sie Tafeln mit den Namen der fast 1600 ermordeten Juden aus der Region, im Innern hielten sie wieder Gottesdienste ab – so lange, bis die Kommunisten die Macht in der Tschechoslowakei übernahmen. Die verstaatlichten im Jahr 1953 die Synagoge. Erst wurde sie zum Lager der nahe gelegenen Textilfabrik, dann eine Kunstgalerie. »Und weil kein Gemälde vor den farbigen Ornamenten auf der Wand zur Geltung kommen würde«, sagt Tomáš Michalík vom Stadtmuseum in Trenčín, »weißelten sie die Wände.« Nur die Kuppel ließen sie aus, da wäre die Zerstörung vermutlich zu mühsam geworden.
Michalik ist einer der Forscher, die sich mit der Geschichte der Synagoge und des jüdischen Lebens in Trenčín beschäftigen. Und er gehört zum Team hinter der dritten Wiederauferstehung der Synagoge. »Wir hatten Glück im Unglück«, erzählt er: »Die Arbeiter haben damals den Putz nicht abgeschlagen, sie übertünchten ihn einfach.« Mit Sonden konnten die Restauratoren die ursprünglichen Muster und Farben wieder rekonstruieren. Bezeichnenderweise war fast nichts davon überliefert – nicht einmal Olga Hodálová wusste um die einstige Gestaltung der Synagoge. »Viele Eltern haben ihren Kindern nichts erzählt, was mit dem Judentum zu tun hat«, sagt sie, »sie wollten sie schützen.«
»Je schöner die Synagoge wurde, desto mehr Leute traten der Gemeinde bei«
Genau damit hängt ein kleines Wunder zusammen: Die Gemeinde in Trenčín wächst. Teilweise kommen Kinder auf die Welt – vor allem aber melden sich Einwohner, die nicht in der jüdischen Tradition aufgewachsen sind, aber wissen, dass ihre Vorfahren zur Gemeinde gehörten. »Je schöner die Synagoge während der Renovierung wurde«, sagt Rabbiner Mykhaylo Kapustin, »desto mehr Leute traten der Gemeinde bei.«
Dass wieder Bewegung in die jüdische Gemeinde von Trenčín gekommen ist, wirkt anziehend. Kapustin ist Rabbiner in Bratislava, er kümmert sich von dort aus auch um jene jüdischen Gemeinden, die zu klein sind für einen eigenen Rabbiner.
Mit Trenčín verbindet ihn eine besondere Erinnerung: Unlängst hat seine Tochter hier Batmizwa gefeiert – und Rabbi Kapustin ließ das Ereignis zu einer Art Programmerklärung werden für die erneuerte Synagoge: Er lud alle Geistlichen aus der Stadt in den Gottesdienst ein, einen griechisch-katholischen Pfarrer und zwei evangelische Pfarrer. Sein römisch-katholischer Kollege brachte sogar ein paar Mönche mit, die mit ihrem Habit in die Synagoge kamen – »vermutlich waren sie zum ersten Mal bei einem jüdischen Gottesdienst«, sagt Rabbi Kapustin schmunzelnd. Er bezeichnet das als sein persönliches Programm gegen den Antisemitismus: in Kontakt zu sein mit den verschiedenen Gruppen vor Ort. »Wir wollen ein guter Nachbar sein, wie es ja schon im Talmud steht. Dafür tun wir alles.«
Damit hängt ein kleines Wunder zusammen: Die Gemeinde wächst, und das wirkt anziehend.
Die gute Nachbarschaft soll auch während des Kulturhauptstadtjahres gepflegt werden. Denn es ist nicht nur die Synagoge, die gerade auflebt – die ganze Stadt ist jetzt, kurz vor Beginn des Hauptstadt-Jahres, eine einzige Baustelle. Eine Fußgängerunterführung wird zur Kunstgalerie, der Platz vor der brutalistischen Kreisverwaltung wird neu angelegt, und auch hinter der Synagoge wird gegraben.
Sie steht mitten im Zentrum, ein paar Schritte entfernt vom ovalen Hauptplatz. Die schönste Barockkirche der Slowakei, da sind sich Kunsthistoriker einig, ist die, die hier auf dem Platz steht, neben dem funktionalistischen Rathaus und dem historischen Stadtturm. Über dieser Kulisse erhebt sich die markante Burg von Trenčín.
Erwartungen an das Kulturhauptstadtjahr sind hoch
Die Erwartungen an das Kulturhauptstadtjahr sind hoch in der Slowakei. Was bei der Vergabe des prestigeträchtigen Titels vor mehreren Jahren noch nicht vorhersehbar war: die Bedeutung der militärischen Tradition von Trenčín. Die Stadt ist der größte Standort des slowakischen Heeres, also der Landstreitkräfte – und der politische Kurs gegenüber dem überfallenen Nachbarland Ukraine ist in der Slowakei schwer umstritten.
»Die Kultur sollte ein strategischer Bestandteil der Landesverteidigung sein«, so formuliert es Stanislav Krajči, der Direktor der Kulturhauptstadt-Gesellschaft: »Man kann nicht über die Verteidigung, über europäische Werte sprechen ohne die Kultur.« Die Botschaft dahinter ist eindeutig – trotz der Krisen in der Welt soll das Verbindende, das Schöne, das Lebenswerte nicht vergessen werden.
In Trenčín soll deshalb der gesellschaftliche Zusammenhalt bewusst im Mittelpunkt des Kulturhauptstadt-Jahres stehen, weniger die Hochkultur. Viele Aktionen zum Mitmachen wird es geben, eine stillgelegte Eisenbahnbrücke über die Waag soll zur Flaniermeile werden und Stadtteile ans Zentrum anbinden, die bislang durch Ausfallstraßen und den Fluss abgeschnitten sind.
Genau in diesem Sinne soll auch die Synagoge wirken: Die jüdische Gemeinde soll endgültig wieder zum selbstverständlichen Teil der Stadt werden.