Grossbritannien

Nackte Tatsachen

Grenzen: Der Unterricht beschränkt sich auf die Theorie – ohne Demonstrationen. Foto: imago

Damit der jüdische Nachwuchs in Großbritannien die Kindergeschichten von Bienchen, Blümchen und Störchen endlich hinter sich lassen und den Tatsachen ins Auge sehen kann, wurde dieses Jahr an allen Schulen, die der Staat finanziell unterstützt, Sexualkunde zum Pflichtfach erklärt.

Die Neuregelung des nationalen Lehrplans war vergangenes Jahr eine der letzten Amtshandlungen der scheidenden Labour-Regierung. In einem offenen Brief schrieb der damalige Bildungsminister Ed Balls: »Der Unterricht soll sich mit den Themen Verhütung und der Wichtigkeit von stabilen Beziehungen, einschließlich Ehe und zivilen Partnerschaften (für homosexuelle Paare), befassen. Die Lehre von Homophobie ist nicht gestattet.«

Schwanger Jedes Jahr liegt Großbritannien bei der Anzahl an Teenager-Schwangerschaftsraten in Europa ganz vorn. Durch die Vermittlung von Faktenwissen hoffte die Labour Party, die Rate zu senken, denn Sexualkunde wurde an britischen Schulen bislang nicht als Pflichtfach unterrichtet.

Auf Druck der Interessenvertretung für katholische Erziehung und Bildung (CES) reichte Balls allerdings vor der entsprechenden Parlamentsdebatte einen Änderungsantrag ein: Konfessionelle Schulen haben die Möglichkeit, den Sexualkundeunterricht mit dem religiösen Charakter ihrer Einrichtung in Einklang zu bringen.

Eine Sprecherin des Board of Deputies of British Jews erklärte, jüdische Schulen müssten trotzdem »alle Elemente« der Neuregelung in die Unterrichtsgestaltung einbringen: »Sie haben allerdings die Freiheit, dies in Übereinstimmung mit ihrem Ethos zu tun«, sagte die Sprecherin weiter. Außerdem dürften Eltern ihre Kinder bis zum 15. Lebensjahr vom Sexualkundeunterricht fernhalten.

HIV Ist es jüdischen Schulen erlaubt, wichtige Details zu verschweigen, weil sie ihnen unangemessen erscheinen? »Nein, wir lassen nichts weg«, bekräftigt Rabbiner Barry Katz, Leiter des Fachs Jüdische Studien an der orthodoxen Hasmonean Boys School im Londoner Stadtteil Mill Hill. »Unser Unterricht entspricht dem nationalen Lehrplan und behandelt Themen wie Fortpflanzung, Verhütung und HIV/Aids. Natürlich versuchen wir, solche Sachverhalte aus der Perspektive der Tora und dem damit einhergehenden Ethos zu vermitteln.

Wir beschäftigen uns mit Verhütung im Hinblick auf Ehe und Moral«, sagt Katz weiter. Es sei wichtig, solche Themen in einen Kontext einzubetten, betont er. In der siebten Klasse behandele man Pflanzen und Tiere, die menschliche Fortpflanzung stünde in der 9. Klasse auf dem Lehrplan. »Wir wollen, dass unsere Jungs eine ausgewogene Sicht der Dinge haben«, so Katz.

Und wie steht es um das Thema Homosexualität? »Natürlich ist die biblische Sichtweise, dass wir einen solchen Lebensstil nicht dulden«, sagt Katz. Aber es sei nicht so, dass die Tora Homosexualität verbiete, »sondern sie untersagt uns nur die praktische Umsetzung. Die Tora fördert die traditionelle Ehe«. Natürlich wolle man Homosexuellen gegenüber nicht voreingenommen sein, fügt Katz hinzu. »Wir erziehen unsere Schüler zu Mitgefühl. Wir sind nicht hier, um andere zu verurteilen oder sie als zweitrangige Mitglieder der Gesellschaft abzustempeln.«

Offenheit Auch Jeremy Bruce, stellvertretender Direktor der King Solomon High School im Londoner Stadtteil Ilford, betont, dass an seiner Schule Offenheit vorherrsche: »Im Unterrichtsfach ›Persönliche und soziale Gesundheitserziehung‹ gehen wir die wichtigen Aspekte von Beziehungen, Verhütung und Geschlechtskrankheiten an. Außerdem veranstalten wir Workshops zu diesen Themen.«

Bruce bekräftigt, die Wissensvermittlung sei lückenlos, doch habe die Offenheit ihre Grenzen: Der Unterricht beschränkt sich auf die Theorie. »Während es in nicht-religiösen Lehranstalten auch praktische Demonstrationen gibt, verzichten wir darauf«, sagt Bruce. »Das wäre doch ein Schritt zu weit für uns.«

Auch an der King-Solomon-Schule wird das Thema Homosexualität nicht ausgespart: »Eine Reihe von schwulen Schülern hat sich geoutet. Das sorgte zwar für Wirbel, der sich aber lediglich als Sturm im Wasserglas entpuppte.« Laut Bruce würden Eltern und Schulkameraden diese Mitschüler offensichtlich akzeptieren, denn es hätte keine Beschwerden gegeben. »Der Konsens bei uns ist, dass das Judentum Homosexualität nicht billigt, aber wir beschränken uns auf die Verhaltensweisen, nicht auf die Personen, die sie praktizieren.«

USA

Angriff auf Cousin einer ermordeten Geisel

Ariel Yaakov Marciano wurde in Santa Monica angegriffen und geschlagen, weil er Hebräisch sprach

 17.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025