Belgien

»Mischung aus Inkompetenz und wahltaktischem Kalkül«

Yohan Benizri (rechts auf dem Podium) ist enttäuscht über sein Land Foto: Michael Thaidigsmann

Diese Woche gab die juristische Fakultät der Universität Antwerpen in Belgien bekannt, dass man »im Konsens« entschieden habe, ein Kooperationsabkommen mit der israelischen Bar-Ilan-Universität auszusetzen.

Grund, so die auch gleich auf Englisch veröffentlichte Begründung des Fakultätsrates, seien »unabhängige Bewertungen der Vereinten Nationen« gewesen, die angeblich ergeben hätten, dass die israelischen Streitkräfte im Gazastreifen »mehrfach gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen« hätten.

»Höchste Stellen der Bar-Ilan-Universität« hätten den Militäreinsatz »uneingeschränkt unterstützt.« Man habe als juristische Fakultät daher die Verantwortung, die institutionelle Zusammenarbeit »unter diesen Umständen nicht weiter zu fördern, um die Einhaltung des Völkerrechts zu gewährleisten«, teilte die Universität - eine der größten des Landes - mit.

Größter Problemfall

Dabei sind bislang solche Rechtsverstöße Israels keineswegs offiziell festgestellt worden, es laufen lediglich erste Untersuchungen. Erst an diesem Freitag will der Internationale Gerichtshof in Den Haag über einen Antrag Südafrikas auf einstweiligen Maßnahmen gegen Israel entscheiden. Warum also gerade jetzt der Entscheid der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Antwerpener Universität?

Für Yohan Benizri, den ehemaligen Vorsitzenden des jüdischen Dachverbands CCOJB und Mitglied im Vorstand des Jüdischen Weltkongresses (WJC), ist der Fall klar. Belgien sei mittlerweile zum größten Problemfall in Europa geworden, was den Hass auf Juden angehe, sagte Benizri am Mittwoch bei einer Veranstaltung in der hessischen Landesvertretung in Brüssel, die von der israelischen Vertretung bei der Europäischen Union, dem American Jewish Committee und der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert worden war.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Es gebe nicht nur eine Dämonisierung Israels an den Rändern, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft und in den etablierten politischen Parteien. »Ich kann auch nicht erklären, warum das so ist. Aber ich kann dagegen angehen«, so Benizri weiter.

Boykottaufrufe gegen Israel

In den letzten Wochen – und selbst unmittelbar nach dem Hamas-Massaker an israelischen Zivilisten am 7. Oktober – ist die Kritik an Israel in Deutschlands westlichem Nachbarland immer lauter geworden. Auch aus der Politik ertönen Boykottaufrufe gegen Israel und Forderungen nach Sanktionen - auch von Politikern der Regierungskoalition.

Entwicklungshilfeministerin Caroline Gennez hatte Israels Vorgehen im Gazastreifen als »ethnische Säuberung« bezeichnet und Deutschland vorgeworfen, es lasse sich vor den Karren Israels spannen, weil es wegen der NS- Geschichte noch traumatisiert sei.

Premierminister Alexander De Croo hatte Gennez dafür zwar gerügt. Aber er hat weitere Kabinettsmitglieder, die so denken wie die flämische Sozialdemokratin. De Croos Stellvertreterin Petra De Sutter von den Grünen forderte Belgien auf, der Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof beizutreten.

Antisemitische Vorfälle

Nicht nur De Sutter, auch der Vorsitzende der Sozialistischen Partei im französischsprachigen Landesteil, Paul Magnette, fordert jetzt lautstark Sanktionen gegen Israel. »Die israelische Regierung muss zur Vernunft gebracht werden, es müssen Wirtschaftssanktionen verhängt und der IGH muss aufgefordert werden, das Risiko eines Völkermords zu untersuchen«, forderte Magnette vor wenigen Tagen im Fernsehen – und nahm am Wochenende an einem Protestmarsch in Brüssel teil.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Auf den Straßen der belgischen Hauptstadt gibt es regelmäßig größere Solidaritätskundgebungen mit den Palästinensern, bei denen es auch immer wieder zu antisemitischen Vorfällen kommt. Meist hätten die aber keine Konsequenzen, findet Yohan Benizri, und das, obwohl es durchaus Gesetze gebe in Belgien gegen Antisemitismus und Holocaustleugnung. Die würden nur nicht angewandt.

Was den »Import« des Nahostkonflikts nach Belgien angehe, meinte er: »Wir sind da wahrscheinlich das schlechteste Land in Europa, zusammen mit Spanien und Irland.« Er nannte auch einen Grund dafür: »Wenn ich es zugespitzt ausdrücken müsste, würde ich sagen: Wir haben es hier mit einer Mischung aus Inkompetenz und wahltaktischem Kalkül der Politiker zu tun.« Dem könne man auch nicht mit noch so vielen rechtlichen Regelungen beikommen, fügte der Rechtsanwalt hinzu.

Kurzfristig abgesagt

Und er gab noch ein Beispiel. Ein Vortrag von Regina Sluszny, die als Kind die Schoa im Versteck überlebt hatte und mittlerweile auch Vorsitzende des Antwerpener Dachverbands Forum der Joodse Organisaties ist, an einer belgischen Schule war kurzfristig abgesagt worden. In der Schule war man der Meinung, dass Slusznys Auftritt Kontroversen und sogar Chaos unter den Schülern verursachen könnte, so Benizri. Das sei eine Schande.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Viele von Belgiens 40.000 Juden haben sich zwar an das raue politische Klima gewöhnt. Aber einige tragen sich auch mit dem Gedanken, dem Land den Rücken zu kehren. »Antisemitische Handlungen werden immer stärker und virulenter. Das bringt die Juden dazu, diesen Schritt zu wagen«, sagte Joël Rubinfeld, der Vorsitzende der Liga gegen Antisemitismus, der Zeitung »Dernière Heure«. Die jüngsten politischen Spannungen mit Israel würden die Situation nur noch verschärfen.

Auch die Gefahr konkreter Anschläge gegen Juden und jüdische Einrichtungen in Belgien ist wieder gestiegen. Im Dezember wurde in Antwerpen ein 19-Jähriger festgenommen, der verdächtigt wird, einen Anschlag auf die jüdische Gemeinschaft geplant zu haben. Es wäre nicht der erste seiner Art. Im Mai 2014 erschoss ein Dschihadist im Jüdischen Museum in Brüssel kaltblütig vier Menschen. Im September 1982 starben ebenfalls vier Menschen bei einem Attentat eines Palästinensers auf die Hauptsynagoge in Brüssel.

Dass es nicht wieder soweit kommt, ist für viele nicht mehr als eine Hoffnung. Grund zur Zuversicht haben Belgiens Juden im Moment nicht.

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Wien

Österreichs Regierung mit neuer Strategie gegen Antisemitismus

KI-gestützte Systeme zum Aufspüren von Hate Speech, eine Erklärung für Integrationskurse, vielleicht auch Errichtung eines Holocaust-Museums: Mit 49 Maßnahmen bis zum Jahr 2030 will Wien gegen Antisemitismus vorgehen

 10.11.2025

Jerusalem

Zerstrittene Zionisten

Der Zionistische Weltkongress tagt zum 39. Mal seit seiner Gründung im Jahr 1897 durch Theodor Herzl. Doch das Treffen droht zum Fiasko für die Organisation zu werden. Die Hintergründe

von Joshua Schultheis  10.11.2025

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025