USA

Mendy, der Baumeister

»Es geht um Neugier, Lernen – und um die Freude dabei«: Rabbi Mendy Mentz Foto: Katja Ridderbusch

Als Rabbi Mendy Mentz ein Kind in Kalifornien war, fünf oder sechs Jahre alt, schickte ihn sein Vater in eine Werkstatt, wo er lernte, aus einem alten Widderhorn sein erstes Schofar zu machen. Er brachte es nach Hause, hütete es, nahm es mit, als er nach New York zog und später nach Jerusalem. »Wenn man ein Schofar fertigt, schafft man ein Stück jüdische Tradition, auch Familientradition«, sagt Mentz. »Das Schofar wandert mit einem durchs Leben. Man weiß nie, wo die Geschichte einmal endet.«

Zwei Jahrzehnte später steht Rabbi Mentz – mit Tischlerschürze, Leuchtweste und Schutzhelm – vor einer Gruppe von 20 Kindern der Sunshine School, einer jüdischen Vorschule in Atlanta, und erklärt, wie man sein eigenes Schofar für die anstehenden Hohen Feiertage fertigt. Die Kinder sitzen auf dem Boden in der Aula und folgen gespannt der Vorführung des jungen Rabbiners. Anschließend basteln sie ihr eigenes Schofar. Widderhörner und Sandpapier liegen auf Basteltischen bereit.

workshop Mentz arbeitet für JCrafts, eine Organisation, die Workshops zu jüdischen Traditionen und Handwerkskunst an Kindergärten, Schulen, Synagogen und Colleges anbietet. Mendys Bruder Levi leitet JCrafts in Atlanta. In den Wochen vor Rosch Haschana haben die Schofar-Workshops Hochkonjunktur. Eigentlich lebt Mentz in New York. Er ist dort aktiv in der chassidischen Chabad-Bewegung. Vor dem Neujahrsfest hilft er seinem Bruder in Atlanta, die Tradition fortzuführen, die ihn selbst so prägte. »Es geht um Neugier, Lernen und um die Freude dabei«, sagt Mentz.

Das Schofar wird aus dem Horn eines Widders oder einer Antilope gefertigt. Die rituelle Bedeutung des Instruments beginnt in biblischer Zeit: Die Israeliten bliesen es, als Moses zum zweiten Mal auf den Berg stieg, um Gott gnädig zu stimmen. Heute wird das Schofar im Elul an jedem Wochentag vor Rosch Haschana sowie danach bis zum Ende von Jom Kippur geblasen.

Ein Schofar herzustellen, sei überhaupt nicht schwer, erklärt Mentz. Das Rohmaterial bringt er zu den Workshops mit. JCrafts sammelt das ganze Jahr über Widderhörner. »Wir rufen bei koscheren Schlachtereien an, und die sind oft froh, dass sie die Hörner nicht auf den Abfall werfen müssen.«

fertigungsprozess Außer dem Horn selbst brauche man einen Topf mit heißem Wasser, Bleichmittel, eine Säge, eine Bohrmaschine, eine Schleifmaschine und Schellack aus der Sprühflasche. Der gesamte Fertigungsprozess dauert etwa zwei Stunden. »Dann hat man ein einfaches Schofar, nichts Kunstvolles, aber es funktioniert.« Zum Abschluss seiner Vorstellung bläst Mentz das Widderhorn, die drei gängigen Signaltöne – von langgezogen bis abgehackt schluchzend. »Ihr müsst viel üben«, mahnt er die Kinder, »am besten, ihr fangt gleich an.«

Davia ist fünf und bastelt ihr erstes Schofar. Sie reibt mit einem Blatt Sandpapier über die geriffelte Oberfläche des Horns und zieht dabei die Stirn kraus. Will sie ihr Horn den Eltern schenken? Davia überlegt kurz, schüttelt dann energisch den Kopf. »Nein, ich behalte es.«

Rund 80 Kinder lernen an der Sunshine School. »Wir wollen ihnen auf spielerische Art jüdische Werte vermitteln«, sagt Schulleiterin Raye Lynn Banks. Und das nicht nur zu Rosch Haschana. Vor Pessach veranstaltet die Schule, ebenfalls in Zusammenarbeit mit JCrafts, einen Workshop zum Mazzebacken. Und rund um Chanukka lernen die Kinder, wie man Olivenöl herstellt.

Handwerkskunst Die Nachfrage nach Workshops für jüdische Handwerkskunst habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, sagt Rabbi Mentz. Wie überhaupt unter amerikanischen Juden der Trend zur Tradition geht: So holen in den USA immer mehr Erwachsene in ihren 30ern, 40ern und 50ern die Bar- oder Batmizwa nach.

Auch JCrafts hat das Ziel, »Kinder wieder näher an jüdische Bräuche heranzuführen«, sagt Mentz. Dabei seien die Workshops selbst immer gleich – »egal, ob ich in einer orthodoxen, konservativen oder reformjüdischen Schule bin«.

Das stimmt nicht so ganz. Denn zwei Tage später steht Mendy Mentz erneut vor einer Schülergruppe, wieder in Handwerkerkluft, mit den bunt bemalten Stellwänden der »Schofar-Werkstatt« und einem Tisch mit Widderhörnern und Werkzeugen. Doch diesmal handelt es sich um eine reine Mädchenklasse der orthodoxen Torah Day School in Atlanta. In seine Vorführung streut der Rabbi hebräische Wörter ein, zitiert aus der Tora und erklärt, was ein echt koscheres Schofar ausmache: Das müsse nämlich nicht nur von einem koscheren Tier stammen, sagt er, sondern dürfe auch keine Risse haben und innen kein Metall, weil das die Reinheit des Klangs verfälsche.

beispiele »Ich passe meine Sprache und meine Beispiele natürlich schon immer ein bisschen an«, räumt Mentz ein. Unverändert ist in jedem Fall die Freude der Kinder. Während die Schülerinnen an ihren Schofarot werkeln, spielt der Rabbi über einen kleinen Lautsprecher jüdische Folklore ein. Es dauert nicht lange, bis die Mädchen, alle in langen dunklen Röcken, zu tanzen beginnen, einige auf den Stühlen, die meisten zwischen den Stuhlreihen.

Den Tanz hätten sie im Sommercamp gelernt, erzählt Miri, schlaksig, neun Jahre alt, glattes Kastanienhaar und große Augen. Sie hält ihr Schofar fest in der Hand. Sie will es zu Hause noch schöner machen, sagt sie, heller, glatter, glänzender – und es dann im nächsten Jahr mit nach Israel nehmen und ihrem Großvater zeigen. Wieder einmal könnte ein Schofar ein kleines Stück Familiengeschichte schreiben. Rabbi Mentz packt seine Werkzeuge zusammen. Auftrag erfüllt.

Hollywood

80 Jahre Goldie

Die quirlige Schauspielerin feiert ihren runden Geburtstag – und ist nicht zu bremsen

von Barbara Munker, Sophie Albers Ben Chamo  23.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

USA

Zwölf Familien, eine Synagoge

Die meisten Juden in Nordamerika leben in Großstädten, auf dem Land gibt es nur wenige Gemeinden – aber gerade dort wächst eine besonders starke Identität. Ein Besuch in der Kleinstadt Rome im Bundesstaat Georgia

von Katja Ridderbusch  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

Judenhass

»Wir wollen keine Zionisten«: Mamdani reagiert auf antisemitische Kundgebung vor Synagoge

Die Teilnehmer schrien unter anderem »Tod den IDF!« und »Globalisiert die Intifada!«

von Imanuel Marcus  21.11.2025 Aktualisiert

New York

Neonazi wollte als Weihnachtsmann jüdische Kinder mit Süßigkeiten vergiften

Der Antisemit soll zudem »Interesse an einem Massengewaltakt« gezeigt und Anleitungen zum Bau von Bomben geteilt haben. Nun wird er angeklagt

 21.11.2025

Philosophie

Hannah Arendt und die Freiheit des Denkens

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Sie sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Die politische Theoretikerin starb vor 50 Jahren

von Jürgen Prause  20.11.2025

Russland

Der Vater der israelischen Rüstungsindustrie

Emanuel Goldberg war ein genialer Erfinder in der Weimarer Republik. Die Nazis sorgten dafür, dass er in Europa vergessen wurde. Doch bis heute macht der Mann aus Moskau Israel sicherer

von Leif Allendorf  20.11.2025