Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) ein neues Präsidium. Zur Wahl stellen sich Noëmi van Gelder sowie für ein etwaiges Co-Präsidium Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein. Ein Gespräch über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen. 

Frau van Gelder, Herr Rosenstein, Herr Brauschweig, was motiviert Sie drei persönlich, für das Amt für das Präsidium der ICZ zu kandidieren? 
Noëmi van Gelder: Die ICZ ist für mich wie ein Zuhause, das mich geprägt hat. Die Gemeinde umfasst viele Mitglieder mit großem Fachwissen, die sich engagiert in die Gemeindearbeit einbringen. Das ist wichtig für die Zukunft einer Gemeinde. Zudem bin ich sehr verantwortungsbewusst und möchte mich als starke jüdische Stimme in der Öffentlichkeit gegen den Antisemitismus und Hass, den wir im Moment erleben, einbringen. Es wäre mir eine Ehre, dieses Amt auszuüben, und ich bin bereit, dies zu tun. 

Edi Rosenstein: Ich bin sozusagen mit einer ICZ-DNA aufgewachsen. Ich möchte aus meiner Erfahrung und meinem Verantwortungsbewusstsein gegenüber der jüdischen Gemeinschaft der Gemeinde etwas zurückgeben. Ich habe schon viel für die jüdische Gemeinschaft gemacht, so war ich unter anderem dafür verantwortlich gewesen, dass die Jüdische Schule Noam und das jüdische Zürich eine Turnhalle bekamen. Was ich damit sagen will: Ich möchte einen Beitrag an die Zukunft der Gemeinde leisten, verschiedene Bereiche mitgestalten und Verantwortung tragen. 

Arthur Braunschweig: Ich habe den Eindruck, dass wir alle ungefähr ähnlich getrieben sind, inklusiv der Bereitschaft für die jüdische Gemeinschaft vorne hinzustehen. Sonst hätten wir nicht kandidiert und uns zur Verfügung gestellt, ein solches Amt auszuführen. Aber natürlich hat jeder seine eigene Motivation. Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen und es interessieren mich die Themen, die die jüdische Gemeinschaft beschäftigen. Und ich weiß, dass ich auch Freude daran hätte. Und das ist genauso wichtig. Sonst muss man die Finger davonlassen. 

Welche drei Schwerpunkte würden Ihre Präsidentschaft prägen? 

Arthur Braunschweig: Wir wollen den Schalom Bait wiederherstellen. Wir haben keinen offenen Krach, aber es gibt Spannungen in unserer Gemeinde. Das ist normal, aber sie helfen in der aktuellen Situation nicht. Was den Antisemitismus angeht, da braucht es viel Arbeit von unserer Seite. Auch in Bezug auf das jüdische Leben in Zürich gibt es Optimierungsbedarf, nicht nur im Hinblick auf die Finanzen der Gemeinde. Für mich ist klar, dass Neumitglieder die einfachste Lösung sind, um die finanzielle Lage zu verbessern. 

Noëmi van Gelder: Für mich zählen vor allem jüdisches Leben, jüdisches Heimatgefühl und die jüdische starke Stimme. Um beim ersten Punkt zu beginnen: Unsere Einheitsgemeinde umfasst verschiedene jüdische Strömungen. Unsere Mitglieder sind verschiedenster Herkunft, leben unterschiedliche religiöse Observanz und verschiedene Traditionen. Das alles gilt es, unter dem Dach des modern-orthodoxen Rabbinats zu vereinen. Jeder sollte sich repräsentiert fühlen, was zwangsläufig zu Diskussionen führt. Debattieren, streiten und ringen um Identität ist etwas sehr Jüdisches und Demokratisches. Aber wichtig ist mir auch die Tatsache, dass jedes Mitglied weiß, dass es in der ICZ willkommen ist. Wir sind genug von Hass und Feindschaft von außen umgeben. Umso zentraler ist es, sich in der ICZ wie in einem sicheren Hafen zu fühlen. Als dritter Punkt ist mir wichtig, mit der ICZ eine starke jüdische Stimme in der Öffentlichkeit zu haben. Wir müssen uns konsequent und fachkundig gegen Antisemitismus wehren. Das erwarte ich von der größten jüdischen Gemeinde der Schweiz. Diesbezüglich sind wir nicht nur für unsere Mitglieder, sondern für gesamte jüdische Gemeinschaft in Zürich verantwortlich. 

Wie definieren Sie die Rolle der ICZ innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Zürich – eher als religiöse Institution, Kulturzentrum oder politische Stimme? 

Noëmi van Gelder: Das geht meines Erachtens Hand in Hand. Erstens der Kontakt zur lokalen Politik – den pflegen wir bereits sehr gut mit Stadt- und Kantonsrat. Wir sind dankbar, dass wir durch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) die uns zustehenden Subventionen für Sicherheit und Staatsschutz erhalten. Zweitens der interreligiöse Dialog: Der ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Drittens brauchen wir stabile Beziehungen zu anderen Gemeinden in Zürich, in der Schweiz und darüber hinaus in Europa. Man unterstützt sich einander und handelt nach dem Prinzip: Gemeinsam ist man stärker. 

Edi Rosenstein: Wir sind ein verlässlicher Partner auf dem Platz Zürich und schweizweit – für Medien, Politik und andere Organisationen. Die ICZ als größte jüdische Gemeinde der Schweiz muss mit ihnen zusammenarbeiten. 

Wie steht Ihre Kandidatur doch zu spezifisch halachischen Fragen, Frage also wie Kaschrut oder getrennte Sitzordnung? 

Noëmi van Gelder: Diesbezüglich richten wir uns nach unserem modern-orthodoxen Rabbinat. 

Edi Rosenstein: Es ist durchaus plausibel, dass eine halachische Frage vor die Gemeindeversammlung kommt. Sie ist der Souverän und steht über dem Rabbiner. Je nach Entscheidung hätten wir mit den Konsequenzen zu leben. Aber ich hoffe nicht, dass dieser Fall eintrifft, denn wir haben einen ausgezeichneten Rabbiner und einen ebenso ausgezeichneten Assistenz-Rabbiner. 

Arthur Braunschweig: Vor fast einem Jahrhundert wurde entschieden, dass die Synagoge eine Orgel braucht. Dies führte zur Gründung der Israelitischen Religionsgesellschaft Zürich. Jahrzehnte später wurde ein neuer Rabbiner gesucht und der Wunschkandidat wollte nur zusagen, wenn die Orgel wieder abgebaut würde. Und die Gemeinde war einverstanden. Daraus hat sich das modern-orthodoxe Rabbinat der ICZ entwickelt. 

Edi Rosenstein: Deshalb musst du nun im Synagogenchor ohne Orgel singen. 

Arthur Braunschweig: Sonst würde ich vermutlich falsch singen. Spaß beiseite Wir haben ein orthodoxes Rabbinat, aber gemäss Statuten ist die Gemeindeversammlung die oberste Instanz. Vorstand und Präsidium führen im Rahmen von Statuten und GV.  

Dennoch gibt es innerhalb der ICZ verschiedene religiöse Strömungen. Wie möchten Sie den Zusammenhalt zwischen ihnen stärken? 

Arthur Braunschweig: Das Modell der Einheitsgemeinde stellt uns vor die Herausforderung, dies zusammenzuhalten. Das Rabbinat spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die derzeitigen Rabbiner arbeiten sehr gut, achten auf die Reputation der Gemeinde und sichern so ein funktionierendes System. Das Präsidium muss diese Dynamik wahrnehmen und situativ handeln, um die zentrifugalen Kräfte nicht zu stark werden zu lassen. Meinungsvielfalt ist wichtig – sei es in kulturellen Veranstaltungen, Musik, Theater oder politischen Diskussionen. Aber externe Referenten mit extremen oder gar gewaltbereiten Positionen werden wir in der ICZ nicht sprechen lassen. Ansonsten soll innerhalb der ICZ ein offener Dialog stattfinden. 

Noëmi van Gelder: In unserer Gemeinde gibt es Mitglieder von links bis rechts, von sehr säkular bis sehr religiös. Das ist eine Stärke, keine Schwäche, und es macht die Einheitsgemeinde aus. Denn Einheit bedeutet Vielfalt. Aber dem gilt es, gerecht zu werden, innerhalb des modern-orthodoxen Rabbinats. Und innerhalb dieses Rahmens kann jeder seinen individuellen Weg gehen. Wichtig scheint mir, dass wir einander wieder mehr zuhören müssen. Die Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten – ähnlich wie in einer Familie. Unterschiede müssen respektiert werden. Dabei ist es entscheidend, dass alle Mitglieder, unabhängig davon, ob sehr religiös oder nur punktuell im Gemeindeleben aktiv, Platz haben und sich vertreten fühlen. 

Edi Rosenstein: Bitte halten wir fest: In der ICZ funktioniert das sehr gut, von Minjan Wollishofen bis zu Schabbat Jachdav – alle Strömungen werden anerkannt und respektiert. Jetzt gilt es noch, den Umgang mit verschiedenen politischen Ansichten zu verbessern – und wie gesagt: Zuhören ist entscheidend. 

Der Wahlkampf gilt als ein Duell zwischen traditionell und progressiv. Stimmen Sie dieser Einordnung zu? 

Arthur Braunschweig: In der Gemeinde spüre ich ein Spannungsfeld sowohl auf religiöser als auch auf politischer Ebene – einerseits zwischen orthodox und liberal bzw. weltlich, und anderseits zwischen bedingungslosem Israel-Support und eigenständiger Meinungsäußerung nach außen. Bei unseren beiden Kandidaturen spüre ich dieses Spannungsfeld jedoch kaum. Laute Stimmen, die man in WhatsApp-Kanälen oder Gesprächen hört, interpretieren offenbar mehr Unterschiedlichkeit in die Kandidaturen hinein, als tatsächlich vorhanden ist. 

Noëmi van Gelder: Ich kann weder für Edi Rosenstein noch für Arthur Braunschweig sprechen, sondern nur für mich selbst: Ich sehe mich als traditionell und für mich gilt das klare, unantastbare Bekenntnis zu Israel und seinem Existenzrecht. Gleichzeitig bin ich aufgeschlossen bezüglich neuer Ideen zum Wohle der Gemeinde. Dabei gibt es natürlich unterschiedliche Auffassungen – das gehört zur Meinungsvielfalt dazu.  

Der 7. Oktober war für die jüdische Diaspora eine Zäsur in doppelter Hinsicht: Wie blicken Sie auf die letzten zwei Jahre zurück? Inwiefern hat sich die Gemeinde verändert? 

Noëmi van Gelder: Mein Bekenntnis zu Israel als jüdischer Staat und zu seinem Existenzrecht ist vorbehaltlos. Ich sehe nicht ein, weshalb sich eine Diaspora-Gemeinde in die Politik Israels einmischen muss. Wer sich aktiv einbringen will, sollte nach Israel gehen. Gleichzeitig ist das Schicksal jüdischer Gemeinden in der Diaspora untrennbar mit dem Schicksal Israels verbunden. Das zeigt sich auch daran, dass der Antisemitismus bei uns in den letzten zwei Jahren zugenommen hat. Als größte jüdische Gemeinde der Schweiz ist es unsere Aufgabe, nicht nur für unsere Mitglieder, sondern für die gesamte jüdische Gemeinschaft konsequent gegen Antisemitismus einzustehen. 

Edi Rosenstein: Wir sollen uns als Gemeinde nicht zur Tagespolitik in Israel äußern – das ist nicht unsere Aufgabe. Aber unsere bedingungslose Liebe und Verbundenheit zum Staat Israel sollte bei jedem Mitglied einer Diaspora-Gemeinde vorhanden sein. Damit meine ich selbstverständlich nicht die Regierung, sondern die Beziehung zum Land und zum jüdischen Staat selbst. Gerade deshalb empfinde ich es als störend, dass in den letzten zwei Jahren innerhalb der ICZ ideologische Gruppen gegeneinander gekämpft haben, anstatt die Ressourcen gemeinsam im Kampf gegen Antisemitismus einzusetzen. 

Sie sprechen interne Grabenkämpfe an. Wie haben sich diese manifestiert? 

Edi Rosenstein: Man muss nur die vielen Chatverläufe und die teils aggressiven persönlichen Diskussionen verfolgen, um zu sehen, was wir erlebt haben. Das hat sich auch im Wahlkampf gezeigt. 

Arthur Braunschweig: Die Spannungen innerhalb der Gemeinde haben bei vielen Mitgliedern emotionale Ressourcen gekostet. Gleichzeitig hat dies auch Engagement ausgelöst und gezeigt, dass wir bereit sind, uns einzubringen. 

Sie und Herr Braunschweig wurden während des Präsidentschaftswahlkampfs wegen Ihrer Verbindung zum umstrittenen Netzwerk Gescher heftig kritisiert. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf? 

Edi Rosenstein: Arthur Braunschweig und ich haben vor anderthalb Jahren das gleiche Statement unterschrieben. Es forderte ein klares Bekenntnis zu humanistischen und liberalen Werten. Darin steht, es sei kein Widerspruch, sich gegen den Hamas-Terror und Antisemitismus, und zugleich für die israelischen Geiseln sowie die Zivilbevölkerung in Gaza einzusetzen. Dahinter stehe ich nach wie vor. Eine weitere Verbindung zu Gescher haben wir nicht.  

Würden Sie sich denn mittlerweile von Gescher distanzieren? 

Edi Rosenstein: Ich distanziere mich nicht von dem Statement, das ich damals unterschrieben habe. Viele, die darüber reden, haben es gar nicht gelesen, und halten automatisch die Unterzeichner für »schlecht«. Diese pauschale Einordnung ist aus meiner Sicht sehr indifferent. 

In Zürich ist jüngst eine Debatte entfacht, ob die Stadt kranke Kinder aus Gaza aufnehmen und behandeln soll. Die Zürcher Regierung entschied sich dagegen, worauf Gescher in einem Brief der Regierung Rassismus vorgeworfen hatte. Was sagen Sie dazu? 

Edi Rosenstein: Wie sich Gescher geäussert hat, ist in meinen Augen nicht hilfreich. 

Arthur Braunschweig: Ich habe mich nicht im Detail damit beschäftigt, was Gescher getan hat, ausser dass sich das Netzwerk für die Aufnahme verletzter Kinder eingesetzt hat. Daraus wurde dann eine Debatte über die Sicherheitsfrage. Zweijährige Kinder stellen selbstverständlich kein Risiko dar – ihre Begleitpersonen potenziell schon. Wenn man jedoch möglichst vielen Menschen helfen will, dann bringt es wenig, Kinder aus ihrem sprachlichen, kulturellen und sozialen Umfeld herauszureißen und sie in ein Hochpreisgebiet wie die Schweiz zu bringen, wohin zusätzliche Betreuungspersonen mitreisen müssten. Mit den gleichen finanziellen Mitteln könnte man in der Region drei- bis zehnmal so vielen Menschen helfen. Man sollte es dort tun, wo die Hilfe die größte Wirkung entfaltet. Und deshalb bin ich – aus humanitären Gründen –für eine Hilfe, aber gegen die Aufnahme in Zürich. 

Wie positionieren Sie sich zu Gescher, Frau van Gelder? 

Noëmi van Gelder: Zu Gescher kann ich einzig sagen: Ich habe das Statement nicht unterschrieben. 

Edi Rosenstein: Kann man zu einem humanistischen Statement nichts sagen? 

Noëmi van Gelder: Das Ganze hat nicht nur mit dem humanistischen Statement zu tun, sondern mit Gescher selbst. Das lässt sich nicht voneinander trennen. Es ist miteinander verwoben, und viele in der Gemeinde sehen das genauso. Du hast mir vorgeworfen, Edi, ich hätte das humanistische Statement nicht unterschrieben – das stimmt. Aber nicht, weil es humanistisch ist, sondern weil die Situation komplex ist und die verschiedenen Ebenen – humanitär, politisch, organisatorisch – eng miteinander verschränkt sind. Und gewisse Punkte hätte ich in dieser Form nicht mittragen können. Deshalb habe ich das Statement nicht unterschrieben, und dabei bleibe ich. 

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Soll die ICZ künftig politische Stellungnahmen zu Konflikten rund um Israel abgeben, oder sich bewusst zurückhalten? 

Noëmi van Gelder: Wir müssen uns dort einbringen, wo es um sicherheitsrelevante Fragen geht – verantwortungsbewusst und faktenbasiert. Das haben wir in Vergangenheit auch getan, etwa beim Thema UNRWA-Gelder. Wenn es eindeutige Hinweise gibt, dass Mittel an Organisationen fließen, die in extremistische oder terroristische Netzwerke verstrickt sind, dann haben wir die Pflicht, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen. Das ist kein Einmischen in Außenpolitik, sondern eine verantwortungsvolle Haltung. Es ist unsere Aufgabe, dort klar Stellung zu beziehen, wo die Sicherheit jüdischen Lebens – sei es in der Schweiz, in der Diaspora oder in Israel – direkt betroffen ist. Es sollte aber nicht unser Ziel sein, alles alleine stemmen zu wollen. Als größte jüdische Gemeinde sind wir eine tragende Säule des SIG, und es ist unsere Aufgabe, dessen Arbeit zu stärken. 

Ist es nicht die Aufgabe des SIG, vor allem auf nationaler Ebene, sich im Kampf gegen den Antisemitismus zu engagieren? 

Noëmi van Gelder: Nicht nur. Wenn wir, wie beim Beispiel UNRWA-Gelder, reagieren, dann geht es letztlich um Antisemitismus und Sicherheitsfragen. Sicherheit ist eines der größten Anliegen der jüdischen Gemeinde. Erlauben Sie mir ein Beispiel: Auf den Brief von Gescher an den Zürcher Regierungsrat reagierte der noch amtierende ICZ-Präsident Jacques Lande umgehend und betonte, dass sich die Gemeinde bewusst sei, wie sehr der Regierungsrat die Sicherheitsbedenken der jüdischen Gemeinschaft in Zürich ernst nehme. Das war in meinen Augen richtig. In solchen Fällen müssen wir sofort reagieren, da es sich meist um kantonale oder städtische Entscheidungen handelt, die direkt die Sicherheit unserer Gemeinde betreffen. 

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Arthur Braunschweig: Die ICZ leistet zurzeit gute Arbeit, weil sie doppelt agiert: Einerseits engagiert sie sich klar gegen Antisemitismus, andererseits fördert sie das Verständnis und die Sympathie für jüdische Belange in der Bevölkerung. Ein wichtiger Teil davon ist der interreligiöse Dialog. Bei Synagogenführungen beispielsweise lernen Menschen, die sonst wenig Kontakt zu jüdischem Leben haben, unsere Kultur kennen. Das ist nicht nur Engagement gegen Antisemitismus, sondern schafft auch Sympathie. 

Noëmi van Gelder: Ich bin der Meinung, dass jede gegen Antisemitismus kämpfen muss – unabhängig davon, ob er jüdisch ist oder nicht. Denn Antisemitismus zerstört unsere ganze Gesellschaft. 

Edi Rosenstein: Aber wir müssen realistisch bleiben. 

Noëmi van Gelder: Natürlich müssen wir dagegen ankämpfen, aber nicht alleine. Es geht doch auch darum, die Gesellschaft so zu stärken und zu befähigen, dass sie selbst Verantwortung übernimmt.  

Edi Rosenstein: Wir sind es, die vom Antisemitismus betroffen sind und darüber aufklären müssen. 

Noëmi van Gelder: Aufklärung über den Antisemitismus müssen alle machen, nicht nur wir Juden.  

Welche Veränderungen sind für Sie unverzichtbar, damit die Gemeinde in Zukunft stark bleibt? 

Edi Rosenstein: Es braucht nicht zwingend einschneidende Veränderungen. Betrachten wir das Rabbinat – es muss mindestens so stark bleiben wie heute und weiter gestärkt werden. An den Finanzen der Gemeinde wird bereits intensiv gearbeitet. Darüber hinaus gilt es, die Mitgliederbasis nicht nur zu halten, sondern auszubauen. Ziel ist, dass jedes Mitglied in verschiedenen Bereichen der Gemeinde seinen Nutzen findet, nicht nur beim Friedhof. 

Noëmi van Gelder: Für mich bedeutet die große Herausforderung der ICZ der Zusammenhalt in der Vielfalt. Dazu gehören langfristige finanzielle Stabilität und das Angebot von der Geburt bis zum Tod. Das muss verantwortungsvoll finanziert werden – mit Steuergeldern und Mitgliederbeiträgen treuhänderisch umgehen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Stärkung des Solidaritätsprinzips. Früher war es unantastbar; heute tendieren viele dazu, zuerst für sich selbst zu schauen. Diese Haltung müssen wir durch Gesprächsführung und Vermittlung ändern: den Mitgliedern und potenziellen Mitgliedern klarmachen, warum die Zugehörigkeit zu einer jüdischen Gemeinde wichtig ist. Neue Formen der Mitgliedseinbindung sind dabei ebenso entscheidend. Nicht jedes Mitglied möchte in einer Kommission aktiv sein, aber viele haben Fachwissen und möchten projektbezogen beitragen. Beispiele sind die Organisation der Flüchtlingshilfe oder die mittelfristige Finanzplanung. Wer sich konkret einbringen kann, identifiziert sich automatisch stärker mit der ICZ und entwickelt eine engere Bindung zur Gemeinde. 

Aber Hand aufs Herz: jüngere Menschen haben oft andere Interessen, als sich in einer Gemeindestruktur einzubringen. Wie wollen Sie diese zurückholen? 

Arthur Braunschweig: Wir möchten in Zürich einen Ort schaffen, an dem sich jährlich oder alle zwei Jahre junge jüdische Erwachsene aus Mitteleuropa treffen. Das bringt den Teilnehmenden viele Vorteile und kann zugleich junge Erwachsene motivieren, in Zürich eine Familie zu gründen – was die ICZ mittelfristig stärkt. Solche Projekte brauchen Vorbereitung und Finanzierung, bieten aber große Chancen, für die ganze Gemeinde. 

Noëmi van Gelder: Ohne Jugend gibt es keine Gemeinde und keine Zukunft. Wir müssen uns überlegen, wo wir mit der Jugend in zehn, 20 oder 50 Jahren stehen wollen. Die Jugend muss unterstützt, ernst genommen und aktiv einbezogen werden. Wir müssen gezielt, auf ihre Anliegen eingehen und vor allem gezielt investieren – nicht als Nebensache, sondern als grundlegenden Pfeiler der Gemeinde. Letztlich geht es darum, das jüdische Heimatgefühl zu stärken. Die ICZ ist mit ihren über 2500 Mitgliedern groß.  

Was möchten Sie am Ende Ihrer Amtszeit konkret erreicht haben, damit Sie sagen können: »Es hat sich gelohnt!« 

Arthur Braunschweig: Gelohnt hat es sich, wenn es uns gelingt, jährlich zum Beispiel ein großes Treffen von jungen Erwachsenen zu organisieren mit 320 Leuten beim ersten und 474 beim zweiten Mal. Wenn wir für Schiurim auch säkulare Mitglieder gewinnen, und wir obendrauf noch 250 Neumitglieder zählen. Dann waren wir erfolgreich. 

Edi Rosenstein: Und wir die Steuern um zehn Prozent gesenkt haben… 

Noëmi van Gelder: Ich glaube, es ist wichtig, das jüdische Leben weiter zu stärken und dafür zu sorgen, dass sich alle Mitglieder – insbesondere neue – willkommen fühlen: mit offenen Armen und offenen Herzen. 

Das Interview führte die Schweiz-Redakteurin der Jüdischen Allgemeinen, Nicole Dreyfus.

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