USA

Mamme und das Coming-out

Viele schwule Paare fühlen sich unter dem Schirm der Gemeinden nicht willkommen. Foto: Flash 90

Orthodoxe Eltern homosexueller Kinder fühlen sich oft alleingelassen», sagt Mindy Dickler. Sie hat einen erwachsenen Sohn, Elie (21), der ihr vor drei Jahren mitteilte, dass er schwul ist. Dickler stammt aus Baltimore und plant gemeinsam mit anderen Eltern die zweite Konferenz namens «Eshel Retreat For Orthodox Parents of LGBT Children». LGBT steht für lesbisch, schwul, bi-, transsexuell. Das Treffen Anfang März in Waynesboro im US-Bundesstaat Pennsylvania soll Eltern homosexueller Kinder stärken und ihnen die Chance bieten, sich wieder als Teil der orthodoxen Gemeinschaft zu fühlen.

Wie Eshel-Gründerin Miryam Kabakov sagt, organisierte sie die erste Konferenz, nachdem wiederholt Eltern homosexueller Kinder nach einem Vortrag auf sie zukamen, um über ihre Probleme zu sprechen. Viele Eltern hätten ihre Einsamkeit zum Ausdruck gebracht und ihre Unfähigkeit, mit Freunden oder ihrem Rabbiner darüber zu reden.

Toraverse «Sobald ein orthodoxes Kind sein Coming-out hat, halten die Eltern diese Information geheim und tauchen unter», erklärt Kabakov. Zwei Toraverse bilden die Basis für das Verbot homosexueller Handlungen im Judentum: «Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; denn es ist ein Gräuel» (3. Buch Mose 18,22) und «Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, haben sie Gräuel getan und sollen beide getötet werden» (20,13).

Die Bürde, die auf orthodoxen Eltern homosexueller Kinder lastet, ist eine Mischung einerseits aus Liebe zu ihrem Kind und der Bereitschaft, es so zu akzeptieren, wie es ist; auf der anderen Seite stehen Scham und Angst vor Isolation in ihrer Gemeinde.

Dass ihr Kind lesbisch oder schwul sein könnte, haben die meisten Eltern nie in Betracht gezogen. «Ich ging immer davon aus, dass meine Kinder erwachsen werden, jemanden heiraten, der dem anderen Geschlecht angehört, und Kinder bekommen», sagt Dickler. «Als Elie mir sagte, er sei schwul, wurde mir klar, dass das, was ich mir vorgestellt hatte, niemals Wirklichkeit werden würde.» Beim Coming-out ihres Sohnes sei sie «in einen Schockzustand» geraten, sagt Dickler. Sie habe nicht gewusst, «was die Zukunft bringen würde». Inzwischen hat sie einen neuen Traum: Sie hofft, dass ihr Sohn einen Partner finden wird – einen anderen Mann – und dass die beiden heiraten, vielleicht sogar Kinder haben werden.

Aufgabe Dickler ist es gelungen, sich ein neues Ideal zu schaffen. Doch für orthodoxe Rabbiner und Gemeinden ist das keine leichte Aufgabe – weder in Baltimore noch in vielen anderen jüdischen Gemeinden.

Familie R. lebt im Nordosten der Vereinigten Staaten und möchte nicht, dass ihr Name in der Zeitung steht. Sie hat ihre Gemeinde verlassen, nachdem der Rabbiner auf der Kanzel gegen die Entscheidung der amerikanischen Pfadfinder wetterte, schwule Mitglieder aufzunehmen. Der Sohn von Familie R. hatte sein Coming-out vor zwei Jahren.

Jean Prager aus Bergen County in New Jersey sagt, ihr Rabbiner habe sehr sachlich reagiert, als sie ihm von ihrer lesbischen Tochter erzählte. Er habe darauf gedrungen, dass die Eltern ihre Tochter akzeptieren. Doch er wollte mit ihnen keine Diskussion über die halachischen Aspekte des Problems anfangen.

Aber seitdem versucht ihr Rabbiner, sich über das Thema zu informieren. Er ist einer von 200 orthodoxen Rabbinern, die eine Grundsatzerklärung unterschrieben haben, in der eingeräumt wird, dass Homosexualität veranlagt ist und Therapien dagegen verlogen sind und Schaden anrichten können. Der Rabbiner erlaubte dem Ehepaar Prager auch, einen Vortrag darüber zu halten, was es bedeutet, Eltern eines homosexuellen Kindes zu sein, und über die Probleme, denen man als Mitglied einer orthodoxen Gemeinde gegenübersteht.

Konsequenzen Herr R. sagte, er kenne weitere Familien, die ihre Synagogengemeinde verlassen hätten oder gar hätten umziehen müssen: «Manche Rabbiner sagen: Ich kann damit nicht umgehen, oder, in extremen Fällen: Du darfst unserer Gemeinde nicht angehören.»

Doch nicht nur Eltern, sondern auch die Rabbiner befinden sich in einer schwierigen Lage. Rabbi Steve Greenberg, der erste und einzige orthodoxe Rabbiner, der öffentlich bekannte, schwul zu sein, meinte, er verstehe seine Kollegen sehr gut. Orthodoxe Rabbiner, die eine liberale oder verständnisvolle Position vertreten, gerieten leicht in Gefahr, ihre Legitimation zu verlieren.

«Wenn ein orthodoxer Rabbiner seiner Gemeinde sagt, dass man gegen seine Veranlagung nichts tun kann und deshalb kein Mensch bestraft werden darf, weil er homosexuell ist, und dass er in einer gesicherten Beziehung leben darf – dann wird die Autorität des Rabbiners bestenfalls infrage gestellt. Im schlimmsten Fall wird er entlassen und seiner orthodoxen Identität beraubt», so Greenberg.

Die Folge davon ist, dass sich orthodoxe homosexuelle Paare von der jüdischen Gemeinschaft abwenden. In vielen Fällen werden auch die Eltern weniger religiös und verlieren ihre Bindung an die Gemeinde. Familie Epstein zum Beispiel sagt, ihre lesbische Tochter wolle mit nichts mehr zu tun haben, was irgendwie orthodox ist.

«Natürlich macht mich das traurig, aber noch mehr ärgere ich mich über die Gemeinde, die Menschen zurückstößt», sagt ihre Mutter. «Keiner kann ein vollkommener Jude im Sinne der Bibel sein. Sie repräsentiert ein Ideal, nach dem wir alle streben. Ich glaube, die Tora und Gott sind viel verständnisvoller und liebender als die Leute, die zuweilen von sich behaupten, im Namen von Gott und der Tora zu handeln.»

Vorerst, sagt Eshel-Gründerin Miryam Kabakov, werde ihre Initiative damit fortfahren, bei Rabbinern und Gemeinden Aufklärungsarbeit zu leisten und Eltern eine Plattform zu bieten, wo sie zusammenkommen und sich gegenseitig helfen können.

Rabbi Greenberg blickt optimistisch in die Zukunft: «Es wird allmählich besser», sagt er. «Viele Rabbiner nehmen Anteil und ringen mit dem Problem.» Die Anzahl der Menschen innerhalb der orthodoxen Gemeinden, die ein Coming-out haben, wachse; das wirke sich auch auf das Milieu aus. JNS.org

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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