Frankreich

»Mach hier nicht auf Jude«

Die Umfrage wurde vom Institut Ifop im Auftrag des jüdischen Dachverbands CRIF durchgeführt Foto: IMAGO/Andia

Es sind Erkenntnisse, die verstören und die dennoch nicht überraschend kommen: Unter französischen Teenagern sind antisemitische Vorurteile weit verbreitet, hat eine aktuelle repräsentative Umfrage ergeben.

Von Kindesbeinen an kommen Schüler in ihrem familiären oder sozialen Umfeld mit judenfeindlichen Stereotypen in Berührung und geben sie an andere weiter, so das Ergebnis. 2000 Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren an den Collèges und Lycées in ganz Frankreich wurden vom Institut Ifop befragt. Auftraggeber war das CRIF, der Zentralrat der jüdischen Organisationen in Frankreich.

Die gute Nachricht: Drei Viertel aller befragten Schüler missbilligen Antisemitismus, halten judenfeindliche Äußerungen für grundsätzlich falsch oder sogar verwerflich. Doch auch das zeigt die Studie: Die Akzeptanz für stigmatisierendes Verhalten gegenüber Juden ist bei vielen dennoch vorhanden.

Die Hälfte der Befragten gab an, im eigenen Umfeld bereits mindestens einmal gehört zu haben, wie jemand schlecht über Juden geredet hat. Ein Viertel sagte sogar, regelmäßig solche Aussagen zu hören. Hauptquelle der Beschimpfungen sind demnach meist Mitschüler (51 Prozent), gefolgt von Familienangehörigen (25 Prozent), Verantwortlichen in den Religionsgemeinschaften (24 Prozent) und sogar Lehrern (13 Prozent).

Auch an französischen Schulen sind judenfeindliche Sprüche mittlerweile gang und gäbe. Knapp die Hälfte der Schüler konnten davon berichten und rund ein Viertel gab an, selbst schon einmal Adressat von Sätzen wie »Mach hier nicht auf Jude« oder »Ein Jude ist reich« gewesen zu sein. 

Lesen Sie auch

Generell sind antijüdische Vorurteile unter französischen Schülern verbreitet. Mehr als die Hälfte der Befragten äußerte Zustimmung zu mindestens einer Verschwörungserzählung, beispielsweise der, dass Juden loyaler zu Israel als zu Frankreich seien oder dass sie über »mächtige Lobbys« verfügten, um ihre Interessen durchzusetzen. Besonders hoch war der Wert zu solchen Aussagen unter den Schülern, die sich politisch der extremen Rechte und der extremen Linken zuordneten. Hier lag die Zustimmung sogar über 70 Prozent.

Zeugen von antisemitischen Anfeindungen

Antisemitismus an Frankreichs Schulen zeigt sich allerdings nicht nur bei den Einstellungen, sondern wird auch in Form von Mobbing und sogar Gewalt sichtbar. Von den Befragten, die jüdische Mitschüler haben oder hatten, gab fast die Hälfte an, bereits Zeuge von Aggressionen gewesen zu sein, insbesondere in den sozialen Netzwerken, aber auch auf dem Schulhof.

Immer mehr jüdische Schüler meiden daher zur eigenen Sicherheit öffentliche Schulen. Jeder siebte Befragte in der Ifop-Umfrage gab an, schon einmal davon gehört zu haben, dass jüdische Mitschüler ihre Schule verlassen mussten, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlten. Besonders groß ist das Problem an den Sonderschulen im Land. Dort gaben zwei Fünftel der befragten Schüler an, von den Problemen ihrer jüdischer Mitschüler Kenntnis zu haben.

Zwar lehnen es insgesamt nur 16 Prozent der in der Umfrage konsultierten jungen Leute grundsätzlich ab, freundschaftliche oder gar romantische Beziehungen zu jüdischen Mitschülern zu haben. Allerdings liegt dieser Wert gerade unter jungen Menschen mit Migrationshintergrund drastisch höher. So gaben 52 Prozent der Befragten mit Eltern aus dem nichteuropäischen Ausland an, dass sie dies kategorisch ablehnen würden. Auch 45 Prozent der befragten muslimischen Schüler äußerten sich negativ hinsichtlich der Freundschaft zu jüdischen Mitschülern.

Einem Viertel der Befragten in dieser Gruppe werde es »schlecht« bei der Vorstellung, ein Familienmitglied könnte eine Liebesbeziehung mit einer Jüdin oder einem Juden eingehen. Noch stärker als bei muslimischen Schülern (28 Prozent) ist diese Einstellung bei jenen vertreten, die sich am rechten (30 Prozent) oder linken (34 Prozent) Rand des politischen Spektrums positionieren.

Jüdischen Schülern wird eine bestimmte Identität zugewiesen

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 sei der Hass auf Juden an französischen Schulen spürbar angestiegen, konstatieren die Meinungsforscher. Sie sprechen von einer »identifizierenden Vermischung« zwischen jüdischen Schülern und dem Staat Israel. Jungen Juden in Frankreich werde an der Schule eine bestimmte Identität zugewiesen.

Der schulische Raum sei zunehmend politisiert, und es habe sich eine »Dreieckskonstellation« herausgebildet, in der Antisemitismus sowohl von einem linksextremen Diskurs, einer ideologischen Radikalisierung eines Teils der jungen Muslime als auch einer traditionell rechtsextremen Ablehnung von Juden getragen werde, schlussfolgern François Kraus vom Ifop-Institut und Iannis Roder von der Bildungsabteilung der Stiftung Jean Jaurès in ihrer Bewertung der Studie.

»Diese Dreieckswirkung erzeugt zwar einen Antisemitismus der ‚neuen Generation‘, der manchmal mit antirassistischen und antikolonialen Begründungen gerechtfertigt wird. Sie reproduziert aber letztlich die gleichen Mechanismen der Ausgrenzung und Stigmatisierung«, schreiben die beiden Forscher. Jüdische Schüler müssten an öffentlichen Schulen sowie an nicht-jüdischen Privatschulen heute damit rechnen,  Äußerungen zu hören oder Vorfälle zu erleben, die mit ihrer Herkunft oder jüdischen Identität zusammenhingen.

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025