Frankreich

Liaison fatale

Marine Le Pen beruft sich auf ein biblisches Vorbild: Wie einst David werde auch sie mit der Liebe zum Vaterland den übermächtig erscheinenden Goliath (Macron) zur Strecke bringen. Foto: dpa

Eine neue »Union sacrée«, einen heiligen Bund der Republik, konnte das Onlineportal »Le Monde Juif« noch am Abend nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen ausmachen. Sowohl die Große Moschee von Paris und die muslimische Föderation als auch der jüdische Dachverband CRIF verbreiteten nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse nahezu gleichlautende Aufrufe:

Bei der Stichwahl gelte es, »massenhaft« für Emmanuel Macron zu stimmen, der – immer im Respekt vor den republikanischen Werten und den Prinzipien des Laizismus – für den Weg des Vertrauens in die spirituellen und bürgerschaftlichen Kräfte der Nation stehe.

Republikanisch Der Rückgriff des Onlineportals auf die republikanische Semantik des Ersten Weltkriegs schien am Wahlabend tatsächlich berechtigt, denn auch die Parteiführungen der Konservativen und Sozialisten riefen umgehend dazu auf, nun einen »Damm« gegen den Front National (FN) zu errichten und für den Kandidaten von »En Marche!« zu stimmen.

Marine Le Pen hingegen berief sich auf biblische Vorbilder: Die Liebe zum Vaterland sei der Stein gewesen, mit dem David einst Goliath zur Strecke brachte. Und genau damit werde sie nun den übermächtig erscheinenden »Kandidaten der Oligarchie« besiegen.

Die Hochfinanz, der Unternehmerverband und die Patrone der Presseverlage – das sind die wahren Unterstützer von Emmanuel Macron, wenn man Marine Le Pen Glauben schenkt. In einem Frankreich, dessen politische Landschaft im ersten Wahlgang in vier fast gleich große Lager zerfallen ist, wird diese Ansicht von nahezu der Hälfte der Wähler nachvollzogen. Diejenigen der extremen Linken jedenfalls würden das kaum anders formulieren, und ihr Kandidat Jean-Luc Mélenchon verweigert eine ausdrückliche Wahlempfehlung für Macron. Und ein Satz, den so manche seiner Wähler nun über Marine Le Pen sagen, hatte zuvor schon andere zu ihr gebracht: »Nicht ich bin ihrer, sondern sie ist meiner Meinung.«

Es gibt noch eine weitere Beschwichtigungsformel, die immer wieder zu hören ist: So schlimm kann Le Pen ja nicht sein, wenn sogar viele Juden für sie stimmen. Das ist zwar nicht ganz richtig – aber eben auch nicht ganz falsch. Zwar liegt für diesen Wahlgang noch kein Zahlenmaterial vor, die Statistik aus der vorherigen Präsidentschaftswahl 2012 besagt aber, dass damals im ersten Wahlgang 13 Prozent der jüdischen Wähler für Marine Le Pen gestimmt haben. Rechnet man diese Zahl nun auf den zweiten Wahlgang hoch, dürften an diesem Sonntag immerhin ein Fünftel der französischen Juden für die rechtsextreme Kandidatin stimmen.

Schoa-Leugnung Die Liaison zwischen dem Front National und etlichen jüdischen Wählern ist nicht neu, und schon länger auch nicht mehr heimlich. Die erste jüdische Organisation, die sich dem FN verbunden fühlte, war der »Cercle National des Français Juifs«, den der Elsässer Robert Hemmerdinger 1986 gegründet hatte.

Unter Vater Le Pen blieb der Erfolg der Bemühungen, Juden für den Holocaustleugner zu gewinnen, eher bescheiden. 2011 war es dann der Ex-Kommunist Michel Ciardi, der mit der »Union des Français Juifs« einen Verband ins Leben rief, der ganz offen für den Front National – nun unter Jean-Marie Le Pens Tochter – warb, was ihn allerdings nicht davon abhielt, den Antisemitismus einzelner Parteimitglieder scharf zu kritisieren.
Im vergangenen Jahr schließlich gründete Michel Thooris, dessen Mutter Jüdin ist, die »Union des Patriotes Français Juifs« innerhalb des FN. Als dessen Vorsitzender gehört der 36-jährige Polizist auch dem Zentralkomitee der Partei an.

Er war es auch, der sich gegen die Stellungnahme des Präsidenten der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, verwahrte, nach einem Sieg Le Pens würden viele Juden Frankreich verlassen. Das Gegenteil sei richtig, behauptet Michel Thooris, denn nur die Vorsitzende des FN würde als französische Präsidentin mit der notwendigen Härte gegen den Islamismus vorgehen, der die Juden aus ihrem Vaterland vertreiben wolle.

Und Michel Ciardi legte nach: »Die gesamte Linke und die Hofjuden sollten heute aus Scham schweigen, sie haben mit ihren Lügen und ihrer Laschheit, ihrer moralischen Komplizenschaft durch das Abstreiten der islamistischen Gefahr erst das Klima des intellektuellen und juristischen Terrorismus gegen all jene geschaffen, die sich weigern, diese Gefahr zu unterschätzen«, so der Vorsitzende der »Union der französischen Juden«.

Ein wenig klingt das nach der Parole: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Denn obwohl die Parteichefin schon seit Jahren daran arbeitet, das rechtsextreme Image des FN abzuschütteln, kommt es immer wieder zu antisemitischen Ausfällen von Parteigängern. Vergangene Woche erst stellte ausgerechnet ihr Parteivize – und im Falle des Wahlsiegs ihr designierter Nachfolger – Jean-François Jalkh seine Gesinnung bloß, als er seine bereits im Jahre 2000 kundgetanen Zweifel an der Existenz der Gaskammern verteidigte. Er musste zwar seinen Hut nehmen, aber sein Fall lüftete doch einmal kurz den mühsam über die rechtsradikale Ausrichtung der Partei drapierten Vorhang.

Laizismus Zudem sind von Marine Le Pen, die im Wahlkampf immer wieder den Laizismus beschwört, keine Rücksichten auf religiöse Gepflogenheiten zu erwarten. Geht es nach ihr, würde das Schächten endgültig verboten werden. Ebenso strikt lehnt sie den Doppelpass ab, was auch jene Franzosen beträfe, die gleichsam israelische Staatsbürger sind.

So bleibt für Juden als wichtigstes Argument, für Le Pen zu stimmen, eigentlich nur die Vorstellung übrig, sie stelle das effektivste Bollwerk gegen den Islamismus dar. Nicht von ungefähr lässt der FN in der Endphase des Wahlkampfes Plakate mit der Parole kleben: »Sicherheit, das ist Marine«.

Dem überwiegenden Teil der französischen Juden wird das nicht ausreichen, sich für Le Pen zu erwärmen. Die meisten werden entsprechend dem Aufruf des CRIF für Emmanuel Macron stimmen – was aber weniger daran liegt, dass sie dem Dachverband Folge leisteten. Denn letztlich wählen auch französische Juden wie alle Franzosen. Ausschlaggebend für ihre Wahlentscheidung ist die sozioökonomische Stellung, der Bildungs- und Berufsstand, und Juden sind in den Milieus der Arbeiter und Angestellten, wo der FN am besten abschneidet, unterrepräsentiert.

Noch liegt ihr Kandidat in den Umfragen vorn, das heißt aber noch lange nicht, dass die Gefahr gebannt ist. Denn über den Wahlsieg am Sonntag entscheiden dieses Mal nicht in erster Linie die Wähler, sondern die Nichtwähler. Als enttäuschte Wähler der Linken und Konservativen oder aus Verärgerung über »die politische Klasse« oder dem Frust der vergangenen Jahre werden sie einen »weißen« Stimmzettel abgeben und auf diese Weise mit denen, die gar nicht erst an die Urne gehen, eine »unheilige« Allianz bilden.

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