»Cottoncrest«

Lebendige Untote

Cottoncrest» ist der Name eines prächtigen Herrenhauses im schwarzen Herzen Louisianas. Schwarz wie die Hautfarbe der Mehrheit seiner unterdrückten Einwohner, dunkel wie die Fluten des Mississippi, finster wie die Gesinnung weißer Rassisten, die während des Amerikanischen Bürgerkriegs 1861–1865 für ihre Vorrechte und für die Sklavenhaltung kämpften.

In dem gleichnamigen Kriminalroman von Michael H. Rubin geht es – der amerikanische Originaltitel Cottoncrest Curse ist da präziser – um einen scheinbaren Fluch. Die Ausbeutung von Boden und Landarbeitern, Rassenhass, Antisemitismus und Selbstjustiz gehen unheilige Allianzen ein.

So war es seit der dauerhaften Besiedlung Louisianas Ende des 17. Jahrhunderts, und so blieb es bis in die Anfänge der 60er-Jahre, in denen die amerikanische Bürgerrechtsbewegung mit dem charismatischen Martin Luther King jr. für faktische Gleichberechtigung auf die Straßen ging.

Selbstmord Rubin erzählt vom Selbstmord des Familienoberhaupts Colonel Judge Augustine Chastaine. Der glaubte, alle seine Söhne seien im Bürgerkrieg umgekommen. Nun, 30 Jahre später, durchtrennt sein gleichnamiger kriegsversehrter Sohn – der am Leben geblieben war – seiner geliebten Frau Rebecca 1893 die wunderschöne Kehle und erschießt sich.

Dazu wäre es nicht gekommen, hätte Sheriff Raifer Jackson nicht laut gedacht und am Tatort nach Antworten auf verschiedene Ungereimtheiten gesucht, hätte sein Deputy Bucky Starner vor seinem Kumpel nicht mit Halbwissen geprahlt, hätte Tee Ray Brady, ein weitläufiger Verwandter der Chastaines, keinen Vorwand gefunden, mit seinen «Rittern», einem Haufen weißer Halunken, eine Menschenjagd anzuzetteln und die ganze Gegend in Angst und Schrecken zu versetzen.

Vor allem aber: hätte der Hausierer und Scherenschleifer Jack Gold nicht Anfang der 1890er-Jahre das für Juden weniger gefährliche New York Richtung New Orleans verlassen und sich noch weiter nach Süden gewagt, um seine vielfältigen Dienste anzubieten. Dann wären etliche Menschen nicht zu Tode gekommen. Der Fluch über Cottoncrest hat nichts Mystisches, er entspringt überholten Normen, falschen Entscheidungen und bösen Taten.

«Die gantseh welt iz ful mit shaidim», zitiert der Erzähler, ein alter Jude, seinen Urgroßvater Yaakob Gurevitch alias Jack Gold: «Die ganze Welt ist voller Dämonen; man muss sie einfach selber austreiben» – «treib zai chotsh fun zikh arois». 1961, als er noch Student war, machte er sich auf den Weg zur früheren Baumwoll- und Zuckerrohrplantage. Er hat Dokumente und einen Brief im Gepäck, die den derzeitigen Besitzer zu einer weiteren Verzweiflungstat veranlassen.

Dramaturgie Auf drei Zeitebenen – 1893, 1961 und heute – treibt der Autor seine Leser vor sich her. Michael H. Rubin lässt einen Jazzpianisten aus New Orleans auffahren, außerdem einen Medienfachmann, Anwalt und Juraprofessor – er versteht eine Menge von Dramaturgie und Spannungsbögen, aber auch von Forensik und der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung.

Louisiana hatte die Rasentrennung nur formaljuristisch aufgehoben. An Bahnhöfen gab es nach wie vor getrennte Einstiegsbereiche für Weiße und Schwarze, und auch Hotels waren getrennt. 1961 kam es zu einigen provozierenden Aktionen: speziell organisierte gemischte Busfahrten. «Es musste einen Weg geben, Schwarze und Weiße zusammenzubringen», erinnert sich der alte Mann an seine Beteiligung am zivilen Widerstand gegen die Rassentrennung.

Lebensweisheiten Unmittelbare Zuhörerin ist – neben dem Leser – seine 15-jährige Enkelin. Ihr erzählt er von der Flucht des Ururgroßvaters aus Bialystok ins Gelobte Land Amerika. Seine Erinnerungen sind mit jiddischen Lebensweisheiten und Geschichten über den Hass gegen «Juden und Nigger», die abwertend auch «Darkies» genannt wurden, gespickt: «Tsum schlimazel darf men oych hobn mazel – Selbst zum Unglück braucht man Glück.»

Wohl wahr. Auf jeden Fall ist Cottoncrest ein zwar konventionell konstruierter, doch sorgfältig recherchierter und informationsreicher Roman. Im Krimigenre ist eine gute Übersetzung leider nicht selbstverständlich. Darum sei die flotte Lesbarkeit ausdrücklich erwähnt. Nur bei der Schreibweise der jiddischen Sprichwörter sind ein paar eigenartige phonetische Mischwesen entstanden.

Michael H. Rubin: «Cottoncrest». Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Suhrkamp, Berlin 2016, 415 S., 9,99 €

Irland

Der Präsident soll nicht reden

Wenn es nach der jüdischen Gemeinschaft geht, soll Michael D. Higgins, irischer Staatspräsident, in diesem Jahr nicht bei der Gedenkfeier zum Holocaust-Gedenktag sprechen

von Michael Thaidigsmann  16.01.2025

Ungarn

Abschied von der ältesten Olympiasiegerin

Die legendäre Turnerin Ágnes Keleti ist in Budapest gestorben – nach einem langen, außergewöhnlichen Leben voller Medaillen

von Martin Krauß  15.01.2025

Frankreich

Iris Knobloch bleibt Präsidentin des Filmfestivals Cannes

Sie ist die erste Frau an der Spitze des Festivals

 15.01.2025

Porträt

Die Krankenschwester und der Urwalddoktor

Vor 150 Jahren wurde Albert Schweitzer geboren. An seiner Seite wirkte seine Frau Helene Schweitzer Bresslau – eine Heldin, die oft vergessen wird

von Anja Bochtler  15.01.2025

USA

Betrug mit Corona-Hilfen? Jewish Voice for Peace zahlt mehr als halbe Million Dollar zurück

Um einer Verurteilung zuvorzukommen, zahlt die Organisation freiwillig 677.634 Dollar

von Ralf Balke  15.01.2025

Kalifornien

»Es ist okay, nicht okay zu sein«

Wie die jüdische Gemeinschaft in Los Angeles mit den verheerenden Bränden umgeht – ein Zeugenbericht

von Jessica Donath  13.01.2025 Aktualisiert

Essay

Ritt ins Verderben

Gedanken eines österreichischen Juden zu einer möglichen Kanzlerschaft des Rechtsextremisten Herbert Kickl

von Vladimir Vertlib  12.01.2025 Aktualisiert

Frankreich

Zuflucht vor Mobbing

Weil die Zahl antisemitischer Vorfälle dramatisch steigt, nehmen immer mehr jüdische Eltern ihre Kinder von öffentlichen Schulen und schicken sie auf private. Eine Erkundung in Paris

von Florian Kappelsberger  12.01.2025

Polen

Duda würde Netanjahu nicht verhaften lassen

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung von Auschwitz zum 80. Mal. Kommt der israelische Ministerpräsident trotz eines Haftbefehls gegen ihn?

 09.01.2025