Grossbritannien

Krisen-Labo(u)r

Hält Hitler für einen Zionisten: Londons früherer Bürgermeister Ken Livingstone (70) Foto: imago

Erst ein Jahr ist es her, da feierte die Labour-Patei Naz Shahs Erfolg als Abgeordnete für West-Bradford bei den britischen Nationalwahlen. Endlich war man den Egozentriker George Galloway los, der aus seiner Antipathie gegen Israel nie ein Geheimnis gemacht und Bradford im Vorjahr zur »israel-freien Zone« erklärt hatte.

Die Bevölkerung Bradfords besteht zu 25 Prozent aus Muslimen. Da mag es sein, dass mancher Politiker sich Vorbehalte gegenüber Israel gezielt zunutze macht. Mit Shahs Wahlsieg wurde aber nicht nur Galloway bezwungen, sondern ihr Erfolg bedeutete, dass eine von wenigen Frauen mit britisch-muslimischem Hintergrund ins Unterhaus einzog.

Man staunte nicht schlecht, als vergangene Woche auf dem rechtskonservativen Blog »Guido Fawkes« zu lesen war, dass Shah bereits vor zwei Jahren, also noch vor ihrer Wahl, auf Facebook gepostet hatte, dass Israelis in die Vereinigten Staaten deportiert werden sollten.

wahlen Nach einem eintägigen Hin und Her und einer Entschuldigung wurde Shah trotz anfänglichen Zögerns des Parteichefs Jeremy Corbyn vorläufig aus der Labourpartei ausgeschlossen. Ihr Fall war ein weiterer in einer Reihe von antisemitischen Bemerkungen diverser Labour-Mitglieder, die daraufhin aus der Partei vorübergehend ausgeschlossen wurden. Schlimm genug, Shah war immerhin die Sekretärin von John McDonald, der Corbyn nahesteht, denn er ist Mitglied seines Schattenkabinetts. Und zu allem Überfluss geschah das ausgerechnet eine Woche vor den Wahlen in Schottland, England und London.

Aber es kam noch schlimmer. Der von Corbyn designierte Verteidigungsberater, langjährige Co-Ideologe des sozialistischen Parteiflügels und ehemalige Londoner Bürgermeister Ken Livingstone (70) kommentierte Shahs Suspendierung im BBC-Radio. Dabei sagte er, es handele sich hier um eine orchestrierte Kampagne der Israellobby, und behauptete, dass es nach 1933 Hitlers Strategie gewesen sei, »die Juden nach Israel zu bringen«. Hitler habe den Zionismus unterstützt, »bis er verrückt wurde und am Ende sechs Millionen Juden umbrachte«.

Binnen einer Stunde wurde auch Livingstone suspendiert. Zu denjenigen, die dies verlangten, gehörte neben Londons Bürgermeisteranwärter Sadiq Khan auch der Vorsitzende des Jewish Labour Movement, Jeremy Newmark.

Attacken Die jüdische Schattenkabinettsabgeordnete Lucia Berger, die vor einigen Jahren selbst Zielscheibe antisemitischer Attacken war, twitterte, Livingstones Kommentare seien eine Schande, »die keinen Platz in unserer Partei haben«.

Es ist nicht das erste Mal, dass »der rote Ken« suspendiert wird. Als er noch Londons Bürgermeister war, hatte ihn die parlamentarische Ordnungsbehörde einen Monat beurlaubt, weil er den jüdischen Journalisten Oliver Finegold als KZ-Wächter bezeichnet hatte.

Auch Anfang der 80er-Jahre fiel Livingstone antisemitisch auf. Er war damals Mitherausgeber der Zeitschrift Labour Heralds, als diese Israels damaligen Premierminister Menachem Begin als SS-Mann abbildete. Und man erinnert sich in diesen Tagen auch daran, dass jüdische Labour-Mitglieder 2012 dem damaligen Parteivorsitzenden Ed Miliband ihre Bedenken gegenüber Livingstone ausdrückten, da dieser annehme, dass Juden nicht Labour wählen würden, »weil sie reich sind«.

untersuchungsausschuss Nur einen Tag nach Livingstones BBC-Interview richtete Corbyn einen unabhängigen Untersuchungsausschuss zum Antisemitismus in der Labourpartei ein. An dessen Spitze stehen zwei Experten: Shami Chakrabarti, der frühere Chef der Menschenrechtsorganisation Liberty, und David Feldman, Direktor des Pears-Instituts für Antisemitismusforschung.

Feldman erklärte in einem BBC-Interview zur Affäre, dass Juden in Großbritannien oft als einziger Minderheit das Recht abgesprochen werde, Rassismus und Antisemitismus selbst zu definieren, und dass generell die Auswirkungen bestimmter Bemerkungen beachtet werden müssten. Darüber hinaus, sagte er, wolle die Partei jetzt klare Regeln in Bezug auf Antisemitismus aufstellen. Der britisch-jüdische Schriftsteller Howard Jacobson meint, es sei eine wunderbare Gelegenheit, dass sich jetzt, da das Thema ans Tageslicht gekommen ist, Mitglieder der Labourpartei in Sachen Israel schulen und fragen, warum der Zionismus überhaupt entstand.

Labour-Chef Corbyn und andere in der Partei behaupten, dass es in ihren Reihen keinen Rassismus gebe. Auch Diane Abbott, Labourabgeordnete für Stoke Newington und Nord-Hackney, wo viele orthodoxe Juden leben, meint, Labour habe kein Problem. Die Partei habe rund 200.000 neue Mitglieder aufgenommen, und es habe bisher nur zwölf Suspendierungen gegeben.

Anfang dieser Woche wurden allerdings weitere Labourmitglieder beurlaubt. Zwei hatten ähnlich wie Shah argumentiert, ein anderer hatte einen Fußballer mit Hitler verglichen. Laut Angaben der rechtskonservativen Tageszeitung The Daily Telegraph soll Labour inzwischen 50 weitere Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen haben – stillschweigend.

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