Russland

Kremlinterne Antisemitismus-Studie geleakt

Zentrum der Macht: der Rote Platz in Moskau mit dem Kreml Foto: picture alliance / pressefoto_korb

Noch am 25. Oktober hatte Präsident Wladimir Putin das harmonische Miteinander ethnischer und religiöser Gruppen in Russland gepriesen. Von einer judenfeindlichen Welle, die bereits im russischen Nordkaukasus rollte, war keine Rede. Der Kreml ging wohl davon aus, den Antisemitismus in dieser muslimisch geprägten Region unter Kontrolle zu haben. Ein Irrtum. Binnen weniger Tage eskalierte die Situation und erreichte am 29. Oktober ihren Höhepunkt, als ein Mob auf der Suche nach Israelis und Juden den internationalen Flughafen in Machatschkala stürmte. Moskau wirkte wie paralysiert, und Erinnerungen an die Wagner-Meuterei Ende Juni wurden wach.

Auch wenn Putin rückblickend die Ukraine und den Westen für die »antisemitischen Provokationen« im Nordkaukasus verantwortlich machte, handelt es sich um eine hausgemachte Krise in einer Region, wo der Judenhass bisher kaum ausgeprägt war und das Interesse am Nahostkonflikt eher klein. Doch nach dem 7. Oktober hatte der russische Staat in den sozialen Netzwerken radikale Judenhasser wochenlang ungehindert gewähren lassen, befeuert von den anti-israelischen, antisemitisch gefärbten Geschichten der staatlich kontrollierten Medien.

Die Berichterstattung ist kalkuliert und setzt die antisemitischen Entgleisungen der letzten Monate fort. Der Kreml zeigt sich nun lauthals enttäuscht vom »US-Satelliten« Israel und »den Juden«, die im Ukraine-Krieg auf Kiews Seite stünden. Dabei wird auf tradierte antisemitische Ressentiments gesetzt und das Thema angeblich bevorstehender Judenpogrome im Westen ausgeschlachtet. Die Tatsache, dass diese bisher ausgeblieben und dafür in Russland bittere Realität geworden sind, ärgert Putin; für eine neue Propagandastrategie sorgt es jedoch nicht, geschweige denn für Abstand von der Hamas.

Die Berichterstattung ist kalkuliert und setzt die antisemitischen Entgleisungen der letzten Monate fort

Und die Propaganda wirkt. Noch vor dem Angriff in Machatschkala hatte das unabhängige Moskauer Forschungsinstitut »Levada« eine neue Antisemitismus-Studie veröffentlicht. Laut der unterstützt ein Großteil der Russen (66 Prozent) weder Israel noch die Palästinenser. Allerdings stünden lediglich sechs Prozent auf Israels Seite, während immerhin 21 Prozent mit den Palästinensern sympathisierten. Letztere fänden sich vor allem unter UdSSR-sozialisierten Menschen über 55 Jahre (26 Prozent) und unter Muslimen (46 Prozent). Als Hauptverantwortliche für die Eskalation gelten die USA und NATO (45 Prozent), dann Israel (zwölf Prozent) und erst dann die Hamas (acht Prozent).

Der Kreml hatte gelassen auf die Umfrage reagiert. Doch nach dem Pogrom im Nordkaukasus wollte Moskau offensichtlich günstigere Zahlen vorlegen: Die Putin-nahe »Stiftung Öffentliche Meinung« vermeldete, dass die meisten Russen neutral seien (73 Prozent); Israel würde von neun Prozent und die Palästinenser von zehn Prozent der Befragten unterstützt.

Während sich beide Umfragen auf den Nahostkonflikt konzentrierten, gab es allerdings noch eine dritte, kremlinterne Umfrage, die Putins Präsidialamt nach dem Sturm auf den Flughafen in Auftrag gegeben haben soll und deren Ergebnisse der Exil-Zeitung »Verstka« zugespielt wurden. Diese bestätigen die bereits bekannten Tendenzen, registrieren aber einen heftigen Anstieg der propalästinensischen Einstellungen – sei es im gesamten Land (20 bis 25 Prozent) oder im Nordkaukasus (40 bis 50 Prozent). Ein weiteres Resultat: 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung in Russland sind antisemitisch eingestellt.

Überraschend sind die Zahlen nicht. Bemerkenswert sei allerdings, so »Verstka«, dass der Kreml keinen Handlungsbedarf sehe, solange es nicht zu weiteren Gewaltausbrüchen komme. Das gefährliche Spiel mit dem Antisemitismus geht in die nächste Runde.

Alan Shatter

»Dieses Vorgehen ist nun wirklich idiotisch«

Irlands ehemaliger Justizminister nimmt kein Blatt vor den Mund: Im Interview kritisiert Alan Shatter nicht nur den Boykott des Eurovision Song Contest durch sein Land. Er macht die irische Regierung auch für wachsenden Judenhass verantwortlich

von Michael Thaidigsmann  08.12.2025

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 05.12.2025

Antisemitismus

Litauen: Chef von Regierungspartei wegen Antisemitismus verurteilt

In Litauen ist der Chef einer Regierungspartei mehrfach durch antisemitische Aussagen aufgefallen. Dafür musste er sich vor Gericht verantworten. Nun haben die Richter ihr Urteil gefällt

 04.12.2025

Ukraine

Alles eine Frage der Herkunft

Wie ein Korruptionsskandal den antisemitischen Narrativen in Russland Vorschub leistet

von Alexander Friedman  04.12.2025

Europa

»Yid Army« im Stadion

Ein neues Buch erklärt, warum Fußballvereine wie Tottenham Hotspur, Austria Wien und Ajax Amsterdam zu »Judenklubs« wurden

von Monty Ott  04.12.2025

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Italien

Francesca Albanese und ihre »Mahnung« an die Presse

In Turin wurden die Redaktionsräume von »La Stampa« von Demonstranten verwüstet. Die Reaktion der UN-Sonderbeauftragten für die Palästinensergebiete verstörte viele

von Michael Thaidigsmann  02.12.2025