Indien

Kosher Mumbai

Die imposante Eliyahoo-Synagoge in Mumbai Foto: picture alliance / DUMONT Bildarchiv

Wenn Ralphy Jihrad anfängt, von der jüdischen Geschichte seiner Heimatstadt Mumbai zu erzählen, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Der Ingenieur liebt es, Reisenden aus aller Welt die jüdischen Orte der bedeutendsten Wirtschaftsmetropole Indiens zu zeigen.

Seit Jahren führt er sie zu der nach dem Gründer der gleichnamigen Familiendynastie benannten David-Sassoon-Bib­liothek, die zwischen 1867 und 1870 im Stil der viktorianischen Neogotik erbaut wurde und eines der frühesten Bauwerke in der Umgebung war, zum Hafengelände, wo die erfolgreiche Händlerfamilie einst ihren Reichtum aufbaute, und zur Eliyahoo-Synagoge im Stadtzentrum, der zweitältesten sefardischen Synagoge in der Stadt mit der auffälligen türkisfarbenen Fassade.

Etwa 3200 Juden leben heute noch in Mumbai, schätzt Jihrad. Im Alltag einer Metropole mit mehr als 20 Millionen Menschen fallen sie auf den ersten Blick kaum auf. Jihrad selbst zählt sich zu den sogenannten Bnei Israel (Söhne Israels) oder auch »Shanivar Teli«, die Samstag-Ölpresser, die der Legende nach vor den Verfolgungen des 2. Jahrhunderts v.d.Z. in Galiläa geflohen und mit dem Schiff in Alibag gelandet waren, das heute ein Vorort von Mumbai ist. Sie sind die noch größte jüdische Gemeinschaft Indiens.

Mehrere jüdische Touren

Inzwischen ist Jihrad längst nicht mehr der einzige Fremdenführer, der Touristen in Mumbai Touren zu jüdischen Orten in der Stadt anbietet. Mehr als 170 Interessierte hätten im vergangenen Jahr bei ihm die »Jewish Heritage Route« gebucht, erzählt Harshavardhan Tanwar, Inhaber der Agentur »No Footprints«. Tanwar ist Hindu. Seine Gäste kämen vorwiegend aus den USA, Großbritannien, Australien und Südafrika, sagt er. Und viele wünschten sich eine Begegnung mit der noch aktiven jüdischen Gemeinschaft. Dann rufe er bei einem der Rabbiner oder Solomon Sopher an, so Tanwar.

Sopher ist unter anderem Vorsteher der Bagdadi-Gemeinde in Mumbai. Im Gegensatz zu den Bnei Israel kamen die Bagdadi-Juden erst Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Irak nach Indien. Gründer der die Gemeinschaft prägenden Familiendynastie war David Sassoon, dessen weißmarmorne Skulptur bis heute den Eingang der David-Sassoon-Bibliothek schmückt.
1932 gründete der Teppichhändler in der damaligen britischen Handelsmetropole Bombay seine Firma, nachdem er zuvor aus dem Irak hatte fliehen müssen.

Großer Philantrop

Neben den Teppichen begann Sassoon, auch mit Opium und Baumwolle zu handeln, und die Sassoons wurden bald eine der reichsten Familien der Stadt und deren große Förderer. Viele Gebäude, darunter auch Mumbais berühmtes Wahrzeichen, das Gateway of India, wurden mit finanzieller Unterstützung der Sassoons gebaut. Indiens Triumphbogen im indo-islamischen Stil am Ufer des Arabischen Meeres war ursprünglich als feierlicher Landungspunkt für die britischen Dampfschiffe errichtet worden. Später, während des Holocaust, gelang es der Jewish Relief Association in Mumbai mit der finanziellen Unterstützung der Sassoons, Bürgschaften für Juden zu finanzieren, die aus Nazi-Europa fliehen mussten.

Auch Mumbais Wahrzeichen, das India Gate, wurde von den Sassoons finanziert.

Sein Großvater sei in Bagdad auch Händler gewesen, erzählt Sopher, der zudem Verwalter des David Sassoon Fund und Vorsitzender und Geschäftsführer des Sir Jacob Sassoon Trust ist, der die Synagogen Knesset Eliyahoo hier in Mumbai sowie die Synagogen Magen David und Ohel David in Pune leitet. Und er erzählt auch, dass die Bagdadi »sehr starke Persönlichkeiten« seien. »Schabbat zu halten, war für sie sehr wichtig, wie die anderen Feiertage auch.« Eine seiner eigenen Kindheitserinnerungen sei das Reinigen des ganzen Hauses vor Pessach, bei dem er immer mitgeholfen habe.

Heute versteht sich Sopher auch als eine Art Botschafter der jüdischen Gemeinschaft Indiens. Auf Wikipedia steht zu lesen, dass er es unter anderem möglich gemacht habe, dass Israels aktueller Premierminister Benjamin Netanjahu, einer seiner Vorgänger, Ehud Barak, oder auch die indische Politikerin Sonia Gandhi und Prominente wie Michael Jackson und Madonna der Eliyahoo-Synagoge einst einen Besuch abgestattet hätten. Das imposante Gebäude ist bis heute das Zentrum des jüdischen kulturellen und religiösen Lebens in Mumbai und beeindruckt nach einer Restaurierung noch mehr mit seinem jüdisch-indisch-viktorianischen Stilmix, zu dem auch aufwendige Buntglasfenster und ein strahlend hellblaues Interieur gehören.

Vor Indiens Unabhängigkeit 30.000 Juden

In diesen Tagen zähle die Bagdadi-Gemeinde noch rund 250 Mitglieder, weiß Salomon Sopher. Vor der Unabhängigkeit Indiens 1947 seien es allein in Mumbai mehr als 30.000 Juden gewesen. Allerdings machte ein Großteil ein Jahr später, nach der Staatsgründung Israels, Alija. Das Besondere an Indien sei dabei, dass Juden in den vergangenen 2000 Jahren durchgängig in diesem Land gelebt hätten, erzählt Jihrad. Die älteste jüdische Gemeinschaft, die der Cochin-Juden, lebt in und um die Stadt Kochi im Süden des Bundesstaates Kerala. Die dortige Synagoge stammt aus dem Jahr 1568. Die Wurzeln der Cochin-Juden sollen bis in die Zeit von König Salomon zurückreichen. Anfang August dieses Jahres war bekannt geworden, dass mit Queenie Hallegua eine der letzten dort lebenden Jüdinnen mit europäischen Wurzeln gestorben sei. Sie wurde 89 Jahre alt.

1878 hatte Elias Sassoon, einer der Söhne von David Sassoon, für seinen Sohn Joseph den Chinchpokli-Friedhof anlegen lassen. Inzwischen sind dort zahlreiche Mitglieder der weitverzweigten Familie begraben, direkt neben der gleichnamigen Bahnstation mitten im quirligen Zentrum von Mumbai.

»Der Chinchpokli-Friedhof ist bislang kein Bestandteil der Tour, es sei denn, jemand fragt danach«, sagt Tanwar, dabei liebe er diesen Ort sehr. Denn »der Friedhof ist Ruhestätte für mehr als 1000 Menschen, und einige Gräber sind unglaublich beeindruckend«. An diesem besonderen Flecken Erde lasse sich auch gut über die Familie Sassoon erzählen, so Tanwar.

Bisher kaum bekannt war, dass hier auch rund 30 Holocaust-Überlebende aus Polen, Deutschland, Tschechien und Österreich begraben wurden. »Dieser Friedhof ist der einzige Ort in Indien, der an den Holocaust erinnert«, sagt die Historikerin Margit Franz, die davon ausgeht, dass rund 5000 Menschen in Indien den Holocaust überlebt haben.

Auch deshalb solle das jüdische Erbe in der Stadt sichtbar gemacht werden, findet Israels Botschafter Kobbi Sho­shani. Zusammen mit der Tourismusagentur des Bundesstaates, zu dem Mumbai gehört, der »Maharashtra Tourism Development Corporation«, will er die »Jewish Route« weiterentwickeln und bekannter machen. Landesweit sollen insgesamt 26 Orte dazugehören, zwölf davon allein in Mumbai. Dass der Chinchpokli-Friedhof nun mit dabei sein soll, »den man vom Bahnsteig des Bahnhofs mit einem einfachen Sprung über eine halbhohe Mauer erreichen kann«, findet der deutsche Konsul in Mumbai, Achim Fabig, wunderbar. Vor allem seit dessen Renovierung. In einem gemeinsamen Projekt des deutschen und israelischen Generalkonsulats wurde Chinchpokli gründlich aufgeräumt, renoviert und Anfang Juli der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht.

Der Tourguide wünscht sich ein Museum, das die vielfältige Geschichte der Juden in Indien zeigt.

Zu der Einweihung kam auch Jinx Akerbar. Die 93-Jährige wurde in Berlin geboren und konnte der Schoa durch die Ausreise in die USA entkommen. In den 50er-Jahren kam sie dann mit ihrem indischen Ehemann nach Mumbai. In den Anfangsjahren habe sie noch viel Kontakt zu etlichen europäischen Holocaust-Überlebenden gehalten, erzählt die alte Dame. »Ich habe Geschichten gehört von Menschen, die Nazi-Deutschland entkommen wollten und eine Schiffspassage zu den entferntesten Orten buchten, die sie finden konnten, einschließlich China.« Als die Schiffe in Bombay stoppten, seien einige Familien früher ausgestiegen und hätten entschieden, hier zu bleiben.

Am Tor des Chinchpokli-Friedhofs, der für so viel mehr steht als eine letzte Ruhestätte, befindet sich nun eine Plakette, die den Friedhof als Teil der »Jewish Route« markiert. »Es geht darum, Geschichte sichtbar zu machen«, sagt Fabig. »Die Erfahrungen des deutschsprachigen Exils in Indien sind wenig bekannt, und dessen Reflexion ist wenig ausgeprägt.«

Die beiden Touristenführer freuen sich hingegen über einen weiteren Ort, um ihren Gästen die spannende und umfangreiche jüdische Geschichte indischer Juden erzählen zu können. Während Harshavardhan Tanwar hofft, dass bald noch weitere Orte wie etwa der Landungsort Alibag für die Route erschlossen werden, denkt Ralphy Jihrad noch weiter und größer. Er wünscht sich ein Museum, das die vielfältige Geschichte der Juden in Indien zeigt. Immerhin, im kommenden Jahr soll eine wissenschaftliche Tagung des Max-Weber-Forums für Südasienstudien in Delhi die Geschichte der Geflüchteten beleuchten. Es ist sicher ein Anfang.

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