Warschau

Keinen Zloty für Brodno

Umgestürzt und aufgestapelt: Grabsteine auf dem Friedhof im Warschauer Stadtteil Praga-Brodno Foto: Gabriele Lesser

Nur wenige Meter hinter dem schmiedeeisernen Tor liegen Tausende Grabsteine, aufgestapelt, umgestürzt, von Moos bewachsen. Die hebräischen Buchstaben sind nur noch mit Mühe zu entziffern. Vor zwei Jahren gab Warschaus Oberbürgermeisterin den einst verstaatlichten jüdischen Friedhof im Warschauer Stadtteil Praga-Brodno an die jüdische Gemeinde zurück.

Doch eine Zusage, sich an der Wiederherstellung zu beteiligen, fehlt bislang. Nicht nur die Stadt drückt sich, das Kulturministerium lehnte den Antrag auf einen finanziellen Zuschuss aus EU-Mitteln mit drastischen Worten ab: Der älteste jüdische Friedhof in Warschau habe für Polen einen Kulturwert von »null«.

Anträge »Wir sind entsetzt«, sagt Piotr Kadlcik, der Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes. »Die mehr als 3000 Grabsteine, die da heute aufgestapelt liegen, standen 1945 noch. Es waren Polen, die den jüdischen Friedhof in Brodno auf einen Kulturwert von ›null‹ gebracht haben.« In seinem Büro deutet er auf die Aufstellung abgelehnter Anträge auf Finanzzuschüsse. »Seit es in Warschau das Museum der Geschichte der polnischen Juden gibt, werden immer mehr Anträge der jüdischen Gemeinden abgelehnt.« Sarkastisch setzt er hinzu: »Ein virtuelles polnisches Judenparadies ist eben hübscher anzuschauen als ein von Polen zerstörter jüdischer Friedhof.«

Für die Sanierung des Friedhofs veranschlagt die Gemeinde umgerechnet zwei Millionen Euro. Vier thematisch angelegte Lehrpfade sollen den Besuchern die jüdische Geschichte Warschaus auf der rechten Weichselseite näherbringen, die Grundsätze des Judentums vermitteln, berühmte jüdische Warschauer vorstellen und einen vertieften Einblick in die polnisch-jüdische Kultur ermöglichen.

EU-Geld Kadlcik wirkt niedergeschlagen: »Wir haben doch eine Verpflichtung gegenüber unseren Vorfahren.« Er habe sowohl im Kulturministerium als auch in der norwegischen Botschaft in Warschau nachgehakt. Denn bei den beantragten Mitteln handle es sich um Zuschüsse aus dem Kohäsions-Fonds, den die mit der EU assoziierten Länder Island, Liechtenstein und Norwegen finanzieren. »Doch die Norweger waschen ihre Hände in Unschuld. Sie hätten keinen Einfluss auf die Mittelvergabe. Das sei allein Sache der Polen.«

Es gebe mehr als 1000 jüdische Friedhöfe in Polen. Aber die jüdische Gemeinde habe nicht genügend Geld, um alle wieder herzurichten. »Für den in Brodno werden wir eine knappe Million Euro aufwenden. Die Summe haben wir als Entschädigung für ein einst verstaatlichtes jüdisches Gebäude samt Grundstück erhalten. Aber das Geld reicht nicht.«

Jan Jagielski, Polens berühmtester Experte für jüdische Friedhöfe, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: »Kulturwert null? Der Friedhof steht auf der Liste denkmalgeschützter Kulturobjekte. Es ist der älteste jüdische Friedhof in Warschau.« Jagielski blättert im Ablehnungsschreiben des Kulturministeriums. »Zu behaupten, der jüdische Friedhof habe keinen Kultur- und Erziehungswert für junge Menschen, ist einfach unmoralisch. Dieser Friedhof soll sterben, weil Polen das so wollen. Das war nach dem Krieg so, und das ist heute so.«

Denkmalschutz
Der Wissenschaftler zeigt häufig Schülern und Studenten die jüdischen Spuren in Warschau, vor allem aber die beiden jüdischen Friedhöfe. »Was soll ich denn den jungen Leuten jetzt sagen? Dass die ältesten Friedhöfe der Stadt zwar unter Denkmalschutz stehen, aber ruhig verfallen können? Dass man dort ruhig sonnenbaden, mit dem Hund Gassi-Gehen und Saufgelage abhalten kann?« Der über 70-Jährige schüttelt den Kopf und lächelt ironisch: »Ich kann sie natürlich auch fragen, was sie davon halten würden, wenn Juden den ältesten katholischen Friedhof Warschaus als Steinbruch benutzen und ihn als ›kulturell wertlos‹ bezeichnen würden.«

Kadlcik hat noch nicht aufgegeben. Die Gemeinde werde in jedem Fall den Friedhof öffentlich zugänglich machen und auch eine Fotoausstellung über seine bewegte Geschichte zeigen. »Wenn das Ministerium seine Entscheidung nicht revidiert, rahmen wir den Satz und hängen ihn als Zitat an exponierter Stelle auf: ›Der Kulturwert dieses Friedhofs ist null‹ – das Ministerium für Kultur in Warschau.«

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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