Frankreich

Kampf um die Erinnerung

Das sind starke Worte: »Man muss betonen, dass sich diese unheilvolle Angelegenheit unter der Regierung eines Präsidenten abspielt, der allen Formen der Holocaust-Leugnung feindlich gegenübersteht. Gleichwohl handelt es sich dabei um eine Form der Leugnung des Völkermordes – in eigentümlich verdrehter Form.« Die Worte erhalten noch mehr Gewicht, wenn man erfährt, dass sie von der moralischen Autorität Claude Lanzmann, Résistance-Kämpfer und Urheber des epochalen Dokumentarfilms Shoah, vorgebracht werden.

Jenes hebräische Wort, das auch durch das klassische Werk Lanzmanns zur Chiffre für den Mord an den europäischen Juden avancierte, steht im Zentrum einer Affäre, die der 85-jährige Filmemacher durch einen am 31. August veröffentlichen Zeitungsartikel ausgelöst hat: Darin beklagt Lanzmann, in einem Bulletin des Bildungsministeriums fände sich die Direktive, das Wort »Schoa« in neuen Schulbüchern nicht mehr zu verwenden und es durch »Vernichtung« zu ersetzen.

Als Gründe müssten halbgare Argumente wie der fremdsprachige Ursprung oder die vermeintlich religiöse Einfärbung des Wortes herhalten. Im Gegensatz zum Wort Schoa, so Lanzmanns Kritik, tendiere »Vernichtung« jedoch zu einer generalisierend-fatalistischen Perspektive auf die Gräuel des 20. Jahrhunderts:
Die Einzigartigkeit des nazistischen Mordprogramms, das die Juden in besonderer Weise ins Fadenkreuz nahm, trete zurück und stehe mit der Vernichtung der Sinti und Roma, der Armenier, aber auch dem Atombombenabwurf über Hiroshima und der Bombardierung deutscher Städte in einer Reihe des Horrors.

Haken Lanzmanns ernst zu nehmender Warnruf hat jedoch einen Haken: Das von ihm zitierte »offizielle Bulletin« existiert nicht. Ebenso wenig gab es eine Order, das Wort Schoa zu tilgen, wie Bildungsminister Luc Chatel dem Dokumentarfilmer in einem eilig einberufenen Gespräch versicherte. Doch warum startete Lanzmann diese, wie das Nachrichtenmagazin Le Point hämisch kommentierte, »peinliche Offensive«?

Tatsächlich werden unterhalb der Ministerialebene aus Kreisen pädagogischer Funktionäre immer wieder Stimmen laut, die den Begriff Schoa wegen seines fremdsprachigen Ursprungs oder seiner vermeintlich religiösen Einfärbung aus dem Klassenzimmer drängen wollen. Auch Lehrer lassen zuweilen Unwillen spüren, mit dem Wort zu hantieren.

Debatte Vermutlich hätte es diese Frage jedoch nie zu einer solchen Prominenz gebracht, stünde sie nicht in einer Reihe von Auseinandersetzungen. Der Ursprung der jetzigen Debatte scheint weniger in dem konkreten Aufreger als in einer Reihe von Auseinandersetzungen über die Rolle des Holocaust im Schulunterricht zu liegen, deren Ton in den vergangenen Monaten immer schriller geworden ist.

Den ersten Akt eröffnete Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der 2008 auf dem jährlichen Festessen des jüdischen Dachverbandes CRIF mit einem Vorschlag für Verwirrung sorgte: Alle Fünftklässler sollten ein im Holocaust umgekommenes jüdisches Kind »adoptieren«, also dessen Schicksalsweg rekonstruieren und mitfühlen. Jüdische Repräsentanten wiesen den Erinnerungsübereifer konsterniert zurück.

Im Herbst 2010 kam es dann zu großem Aufruhr, als die Schulbehörde in Nancy die jüdische Lehrerin Catherine Pederzoli vom Unterricht suspendierte, weil sie die Schoa exzessiv behandelt und zu viel Zeit mit der Vorbereitung von Reisen nach Auschwitz aufgewandt hätte. Nach langem Hin und Her wurde Pederzoli wieder eingestellt.

Der bislang letzte und hitzigste Kampf ums Klassenzimmer begann im Juli. Auch hier war ein Schulbuch der Ausgangspunkt: Zwar wird der Schoa darin ausreichend Platz eingeräumt, und auch der Begriff wird verwendet, jedoch hat ein anderer nichtfranzösischer Terminus ebenfalls Eingang in den Lehrstoff erhalten: die »Nakba«, die Vertreibung der Palästinenser im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948. Kritiker werfen dem Schulbuchverlag vor, er isoliere den Zionismus von der europäischen Judenverfolgung und stemple ihn damit zu einem Projekt kolonialer Landnahme ab.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Lanzmann daran gelegen ist, die verschiedenen Qualitäten der Gewalt auch begrifflich zu unterscheiden.

Antisemitismus

Angriff auf Synagoge und Restaurant in Melbourne

Während etwa 20 Menschen Schabbat feierten, setzte ein Mann die Tür des Gebäudes in Brand. Kurz darauf wurde ein koscheres Restaurant gestürmt

 05.07.2025

Belgien

»Gaza gleich Auschwitz«-Karikatur gewinnt Wettbewerb

Der erste Preis des Press-Cartoon-Belgium-Wettbewerbs ging in diesem Jahr an eine Zeichnung einer Landkarte, in der die Umrisse des Eingangstores von Birkenau auf die des Gazastreifens gelegt sind

von Michael Thaidigsmann  04.07.2025

Kommentar

Zürich sollte Francesca Albanese keine Bühne bieten

Die antisemitische UN-Sonderberichterstatterin tritt am Freitag in der Zürcher Zentralwäscherei auf - subventioniert durch die Steuerzahler der Stadt

von Ronny Siev  03.07.2025

Großbritannien

Unterhaus: Palestine Action als Terrororganisation eingestuft

Mitglieder der radikalen Anti-Israel-Gruppe waren im Juni auf einen britischen Luftwaffenstützpunkt eingedrungen und hatten dort Flugzeuge beschädigt

 03.07.2025

Ukraine

Putins Krieg und Trumps Frieden

Während sich die Medienaufmerksamkeit auf Nahost konzentriert, bombardiert Russland weiterhin das Land. Nun schlägt sogar der US-Präsident neue Töne an

von Michael Gold  03.07.2025

Australien

Zwei Krankenpfleger, die damit drohten, jüdische Patienten zu töten, haben Arbeitsverbot

Im Februar sorgte ein TikTok-Video für Abscheu und Empörung, in dem zwei Krankenpfleger ihrem blanken Judenhass freien Lauf ließen. Nun stehen sie vor Gericht

 02.07.2025

Großbritannien

Warten auf »Bridgerton«

Die Sehnsucht nach der vierten Staffel des Netflix-Hits ist groß. Aber wie war eigentlich das reale jüdische Leben in der Regency?

von Nicole Dreyfus  29.06.2025

Glastonbury Festival

Kritik an antiisraelischen Parolen

Neben der Musik sorgt Hetze gegen Israel für Aufsehen – mit Folgen für die BBC, die alles live übertragen hat

 29.06.2025

Glastonbury

Bob Vylan ruft »Death, death to the IDF« – BBC überträgt es

Beim größten Open Air Festival Großbritanniens rufen Musiker antiisraelische Parolen

 28.06.2025